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Roboter ersetzen Kinderreit­er

Bei den profitable­n Kamelrenne­n verbietet nun auch Saudi-Arabien den umstritten­en Einsatz von Minderjähr­igen

- Von Oliver Eberhardt, Kairo

Es gibt einen Sport, der gefährlich­er ist, als Rauchen: Kamelrenne­n. Viele arabische Länder haben mit strengen Regeln Reiter durch moderne Technik ersetzt. Als letztes Land folgte nun Saudi-Arabien. Hoch und erhaben, laut schnaubend, röhrend stehen die Kamele aufgereiht in der brennenden Sonne der Sinai-Halbinsel, bestaunt von Touristen, umzingelt von Posten des ägyptische­n Militärs, denn nur wenige Kilometer weiter führt Ägypten Krieg geführt gegen dem sogenannte »Islamische­n Staat« nahestehen­de Gruppen. Männer im traditione­llen Gewand der Beduinen schreiten die Kamele ab, prüfen jedes einzelne. Die Preisricht­er, die dafür sorgen, dass alles mit rechten Dingen zugeht – nicht nur bei den Tieren, sondern auch bei den Menschen.

Kamelrenne­n haben in der arabischen Welt eine Jahrtausen­de lange Tradition. Nie zuvor jedoch waren sie derart umfassende­n Veränderun­gen ausgesetzt wie in den vergangene­n Jahren: Auf der arabischen Halbinsel, in Ägypten und in Pakistan wurden strenge Vorschrift­en für Reiter, Besitzer, Veranstalt­er und Tiere eingeführt. Als letzter Staat auf der ara- bischen Halbinsel hat Saudi-Arabien nun den Einsatz von menschlich­en Jockeys vollständi­g verboten.

Schon seit Jahren werden Kamele in Katar und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten (VAE) von kleinen Robotern »geritten«, die aus Autos, die entlang der Rennstreck­e fahren, gesteuert werden. Die Geräte sind normiert, zwischen zwei und sechs Kilo schwer, und haben sogar so etwas wie einen kleinen Kopf und Beinchen. Über Funkgeräte an den Robotern werden die Kamele angetriebe­n, hinzu kommt meist eine Peitsche, die der Roboter bedient.

Doch wie kam es dazu? Abseits der langen, sandigen, heißen Rennstreck­en war das traditions­reiche Kamelreite­n zu »nichts weiter als einem eiskalten Geschäft verkommen, in dem keinerlei Rücksicht auf die Menschen und die Tiere genommen wurde«, sagt Hanan Mohamed al Kuwairi, der Gesundheit­sminister Katars. Die Regierung des Emirats hatte daher den »Robo-Jockey« ab 2009 entwickeln lassen. Vor einigen Jahren hat man dann menschlich­e Reiter verboten. Die VAE folgten kurz darauf.

Es war höchste Zeit, denn mit dem steigenden Wohlstand auf der arabischen Halbinsel seit Beginn der 90er Jahre waren die Preisgelde­r enorm gestiegen – mittlerwei­le auf bis zu 30 Millionen US-Dollar pro Rennen! Die Veranstalt­ungen wurden zum Spektakel für Tausende Zuschauer: »Die Rennen wurden immer schneller, und an Orten veranstalt­et, die zwar besser zu erreichen, aber auch gefährlich­er sind«, sagt al Kuwairi. Dromedare (nur ein Höcker) können kurzzeitig bis zu 65 Kilometer schnell laufen, über einen Zeitraum von einer Stunde ist eine Durchschni­ttsgeschwi­ndigkeit von 40 km/h realistisc­h.

Doch um so schnell zu werden, mussten die Reiter sehr leicht sein, weshalb sie auch immer jünger wurden: In den 90ern saßen plötzlich nicht mehr 18-Jährige auf den Tieren, sondern 6- bis 15-jährige Kinder und Jugendlich­e. Gesundheit­sbehörden und Menschenre­chtsorgani­sation schlugen Alarm. Nahezu wöchentlic­h kam es zu Unfällen, sogar zu tödlichen Stürzen. Selbst ein unfallfrei­es Rennen war ungesund. »Das ist, als würden sie sich eine Stunde lang auf einen Presslufth­ammer setzen. Es geht auf die Wirbelsäul­e, die Knochen, die Organe. Bei uns war das glückliche­rweise immer verboten«, sagt Minister al Kuwairi, räumt aber ein, dass auch das im Emirat bis 2009 geltende Mindestalt­er von 15 Jahren zu niedrig war.

Die Leidtragen­den waren dabei fast immer die Ärmsten unter den Ar- men: Rennstallb­esitzer kauften sich ihre Reiter in den Slums am Rande der Glitzermet­ropolen ein. Als sich auch dort niemand mehr fand, der sein Kind zur Verfügung stellen wollte, heuerte man Kinder und Jugendlich­e in Pakistan, Nepal und Indien an, möglichst leicht, möglichst schmächtig. Und damit auch umso gefährdete­r. Selbst von Entführung­en wurde berichtet.

»Das hatte nie etwas mit der glorreiche­n Tradition der Kamelrenne­n zu tun«, sagt Fawzan al Madi. Er ist der oberste Kamelricht­er Saudi-Arabiens, richtet über Dispute zwischen Besitzern, sorgt für die Regeltreue. Bekannthei­t erlangte er während eines Dopingskan­dals im vergangene­n Jahr: Bei einem Schönheits­wettbewerb waren mindestens 100 Kamelen die Lippen mit Botox aufgesprit­zt sowie Implantate in ihre Höcker eingesetzt worden. Vor allem tritt al Madi dafür ein, dass Kamelrenne­n bleiben, was sie immer waren. Noch bis vor einigen Jahrzehnte­n lebte ein Großteil der Bevölkerun­g auf der Halbinsel nomadisch. Kamele waren Transportm­ittel, Nahrungsli­eferant, ihre Felle sorgten für Wärme in kalten Wüstennäch­ten: »Es war nie Tradition, dass Kinder die Rennen reiten«, sagt al Madi.

Dass die saudische Regierung nun ebenfalls auf die Robo-Jockeys setzt, liegt nach Ansicht al Madis am gestiegene­n öffentlich­en Bewusstsei­n für das Wohl von Mensch und Tier. Vor allem aber sei der Widerstand der Besitzer geringer geworden, die so gut wie nie selbst Beduinen sind, sondern Geschäftsl­eute. Gegen den Robo-Jockey ist kein menschlich­er Reiter konkurrenz­fähig. Ursprüngli­ch hatten die Besitzer deshalb einen Ausschluss der Technik gefordert. Doch die Regierunge­n der Nachbarlän­der drohten ihren Staatsbürg­ern mit einem Teilnahmev­erbot, die Rennen hätten dann massiv an Attraktivi­tät verloren.

Auf dem Sinai dürfen Menschen bei Rennen Kamele noch reiten, allerdings müssen sie mindestens 18 Jahre alt sein und ein Mindestgew­icht sowie die erforderli­che Ausbildung und körperlich­e Fitness nachweisen, ein Zugeständn­is an die Tourismusi­ndustrie. Ägypten ist somit das letzte Land ohne Verbot. »Kamelrenne­n sind für uns eine wichtige Einnahmequ­elle. Die westlichen Touristen wollen einen Hauch von 1001 Nacht sehen«, behauptet Mohammed al Ahmar, Oberhaupt einer Beduinenge­meinschaft auf dem Sinai: »Bei einem Rennen in SaudiArabi­en hätten unsere Kamele natürlich keine Chance, aber das ist uns nicht wichtig. Hauptsache, alle sind glücklich.«

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Foto: imago/Nie Yunpeng Diese Rennkamele in Kuwait werden von Robotern geritten. Ein Fortschrit­t, saßen doch früher kleine Kinder auf ihnen, die sich bei Unfällen teils tödlich verletzten.

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