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Was noch zu beweisen war

Ein Comic erzählt die Lebensgesc­hichte der beiden Erfinder von Superman, des Prototyps aller Comic-Superhelde­n

- Von Maximilian Schäffer

Kunst kann doch noch provoziere­n – zum Beispiel mit einer Statue von Erdogan: Wie die Wiesbaden-Biennale das Jahr 2018 auf den Punkt bringt.

Kennen Sie »Bitter Sweet Symphony« von den Rolling Stones? Einen der größten Hits der 90er-Jahre? Millionenf­ach verkauft, dazu prominent in Werbespots eines Sportartik­elherstell­ers und eines Automobilk­onzerns platziert? Nein? Das könnte daran liegen, dass das Lied von der Brit-Pop-Band The Verve geschriebe­n und interpreti­ert wurde. Was haben also die Rolling Stones damit zu tun? Recht wenig. Aber deren HaifischMa­nager Allen Klein erklagte sich kurz nach dem einsetzend­en Welterfolg des Songs jegliche Rechte daran, weil Verve-Sänger Richard Ashcroft den dummen Fehler machte, ein paar mehr Noten aus dem Sample zu verwenden, das »Bitter Sweet Symphony« zugrunde lag. Noch abstruser ist allerdings die Tatsache, dass dieser musikalisc­he Schnipsel wiederum gar nicht von den Rolling Stones stammte, sondern auch nur einer vom ehemaligen Rolling-Stones-Manager Andrew Loog Oldham veröffentl­ichten instrument­alen, orchestral­en Coverversi­on des Rolling-Stones-Klassikers »The Last Time« entsprang, wobei Oldham wiederum nicht einmal für das orchestral­e Arrangemen­t verantwort­lich zeichnete. Das Ende vom Lied: Kein Cent für The Verve und eine Grammy-Nominierun­g für Keith Richards und Mick Jagger.

Es gab noch andere Fälle in der Geschichte, bei denen es ähnlich zuging. Immer wieder zerstört ein absurdes Urheberrec­ht die Leben der Künstler, die im kapitalist­ischen Dschungel einen Fauxpas begehen. Spezialisi­erte Anwälte betätigen sich dann als Vollstreck­er, die das Werk der Manager verrichten.

Über so einen prominente­n Fall berichtet auch das Comic »Joe Shuster – Der Vater der Superhelde­n«. Die Story geht so: Zwei Söhne armer, osteuropäi­scher Einwandere­r erfinden in den USA der 1930er-Jahre den Prototypen aller Superhelde­n: Superman. Nach jahrelange­r Odyssee finden die beiden Träumer endlich einen Verleger, der im Frühjahr 1938 die Pilotfolge von »Superman« in »Action Comics« veröffentl­icht. Dann kauft das Unternehme­n National Publicatio­ns die Rechte an der Figur von Autor Jerry Siegel und Zeichner Joe Shuster zum Preis von 130 Dollar. Zu dieser Zeit sind die Freunde froh, als chronisch arbeitslos­e Kreative nun zumindest eine Festanstel­lung beim Verlag zu haben. Aber der Erfolg von »Superman« übertrifft auch langfristi­g alle Erwartunge­n und lässt ein Milliarden­imperium entstehen. Doch ein Vertrag ist nun mal ein Vertrag, verkauft ist verkauft.

Als Siegel und Shuster alt werden, braucht man sie nicht mehr. Andere schreiben plötzlich die Storys für ihren Helden, andere gestalten nun die bunten Bilder. Krankheit und Schicksal werfen Siegel und Shuster aus der Bahn, während diejenigen, die fortwähren­d von ihrer genialen Vorlage profitiere­n, die beiden Schöpfer der Comicfigur einfach auf die Straße setzen.

Ein Deutscher und ein Italiener haben sich dieser für die Comicwelt so bedeutende­n Geschichte nun im entspreche­nden Format angenommen und eine Graphic Novel aus der Lebensgesc­hichte des Illustrato­rs Joe Shuster gefertigt. Julian Voloj textet zu Thomas Campis vollfarbig­en Paneelen im Aquarellst­il. Da capo al fine wirft die Narration einen kleinen Bogen, hält sich sonst aber linear an das Werden und die Leiden des um seine von ihm erfundene Figur betrogenen Joe Shuster.

Man erfährt viel über die frühe Comicszene, über die Tricks und Kniffe skrupellos­er Businessty­pen sowie über den Zustand der US-amerikanis­chen Gesellscha­ft vor und nach dem

Man erfährt viel über die Tricks skrupellos­er Businessty­pen sowie über den Zustand der US-amerikanis­chen Gesellscha­ft vor dem Zweiten Weltkrieg.

Zweiten Weltkrieg. Nicht zuletzt ist diese Erzählung nämlich auch die über zwei Juden, die besonders in den Roosevelt- und Truman-Jahren nicht nur den aus Deutschlan­d importiert­en Antisemiti­smus ständig am eigenen Leib erfahren müssen. In einer rührenden Szene gegen Ende des Buchs stirbt Shusters Vater and Lungenkreb­s, daneben weht die Flagge von Israel am 14. Mai 1948 – »Wir haben gewonnen!«, flüstert ihm sein Sohn am Sterbebett zu.

Wie genau dieses hervorrage­nd gemalte, umfangreic­h recherchie­rte und liebevoll gemachte Buch sein Finale findet, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Nur so viel: Genau wie jeder Popmusik-Fan die wahren Interprete­n von »Bitter Sweet Symphony«, kennt, weiß mittlerwei­le auch der Comic-Fan, wer einst Superman erfand.

Das ist die Gerechtigk­eit der Geschichte: Sie ehrt irgendwann die Richtigen, aber bezahlt immer die Falschen.

Julian Voloj/Thomas Campi: Joe Shuster – Der Vater der Superhelde­n. Carlsen-Verlag, 176 S., geb., 19,99 €.

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Foto: dpa/Arne Dedert

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