Pixelgigantismus ohne Programm
Auf der diesjährigen IFA werden Fernseher mit noch höherer Auflösung präsentiert – ein Kauf lohnt sich aber nicht
Die IFA in Berlin versteht sich als Schaufenster für die neuesten Technologietrends in der Unterhaltungselektronik. Hersteller wollen etwa mit noch hochauflösenderen TV-Geräten punkten. Doch jede neue Technik hat ihre Tücken.
Die großen Hersteller von Heimelektronik bringen immer neue TVGeräte auf den Markt, die noch farbenreichere und vor allem schärfere Bilder versprechen. Das Problem ist nur: Es fehlen Inhalte. 51 Jahre ist es her, da wurde von der IFA aus, die damals noch Große Deutsche Funk-Ausstellung hieß, von Vizekanzler Willy Brandt (SPD) mittels Druck auf eine rote Plastikknopfattrappe eine Innovation in die Wohnzimmer der alten Bundesrepublik geschickt. Das Farbfernsehen ging an den Start. Rückblickend ein in mehrfacher Hinsicht kurioser Moment: Ein übereifriger Techniker, der den eigentlich entscheidenden Hebel umlegte, tat dies einige Sekunden, bevor Brandt den symbolischen Akt vollzog. Diese Panne dürfte jedoch kaum jemandem vor dem heimischen Gerät aufgefallen sein: Farbfernseher waren 1967 in Deutschlands Wohnzimmern eine wahre Seltenheit. Gerade einmal 6000 bunte Mattscheiben waren zu diesem Zeitpunkt bereits verkauft. Ihnen gegenüber standen 13 Millionen Schwarz-Weiß-Geräte. Als dann sieben Stunden nach Brandts Start in eine farbenfrohe Fernsehzukunft das ZDF mit »Der goldene Schuß« die erste reguläre bunte Fernsehshow ausstrahlte, konnte kaum ein Zuschauer die eigentliche technische Neuerung genießen.
Deutschland war schon damals im Vergleich zu anderen Industrienationen ein Entwicklungsland, was den Stand der TV-Technik anging. In den USA gab es schon 13 Jahre früher Farbfernsehen, auch die Franzosen konnten bunte Bilder seit dem Ende der 50er genießen – vorausgesetzt, man besaß das nötige Kleingeld. Zu Anfang mussten Konsumenten für einen Farbfernseher mindestens 1840 Mark hinblättern, ein stolzer Preis bei einem damals durchschnittlichen Monatseinkommen von rund 900 Mark.
Ein paar TV-Gerätegenerationen später sind die Preise für ein heutiges Standardmodell mit ein paar hundert Euro deutlich erschwinglicher. Doch das, was die Hersteller heute als Innovation verkaufen, erinnert nicht nur bei den Kosten an damals. Auch die Probleme mit der Technik bleiben ähnlich.
So präsentiert Sharp auf der diesjährigen IFA einen Fernseher, der zur Einführung etwa 10 000 Euro kosten soll. Auch andere Hersteller wie Sony, Samsung oder Philips warten mit Modellen auf, die sich in ähnlichen Sphären bewegen. Rechtfertigen soll solche Summen das Versprechen von noch mehr Farbe, höheren Kontrasten und vor allem mehr Bildpunkten.
Auf der diesjährigen Messe werden erstmals sogenannte 8K-Geräte präsentiert. Die Fernseher verfügen, deshalb auch die Bezeichnung, über acht Mal mehr Bildpunkte als die heute in Haushalten verbreiteten Fernseher mit sogenanntem Full HD. Im deut- schen TV ist diese Auflösung längst Standard, seit der Abschaltung des analogen Satellitenfernsehens 2013 übertragen beispielsweise alle öffentlich-rechtlichen Sender ihr Programm nur noch in Full HD.
Die Umstellung macht sich auch in den Zahlen bemerkbar: Im letzten Digitalisierungsbericht der Medienanstalten aus dem Jahr 2017 heißt es, dass inzwischen zwei Drittel der Haushalte auch tatsächlich Full-HDFernsehen schauen. Aus Sicht der unter massivem Wettbewerbsdruck stehenden Unterhaltungselektronikbranche geht der Umstieg der Verbraucher und insbesondere der TVAnstalten viel zu langsam. Technisch gesehen sind die nun vorgelegten 8KGeräte bereits zwei Fernsehgenerati- onen weiter als der heute übliche HDStandard. Daran dürfte sich auch in naher Zukunft nicht viel ändern.
Das Problem: Im Gegensatz zur Einführung des Farbfernsehens 1967 gibt es zwar schon seit einigen Jahren marktreife Geräte, die ein besseres Bild als Full-HD verarbeiten können, doch es mangelt schlicht an passenden Inhalten. Während TV-Hersteller bereits 8K-Geräte anpreisen, experimentieren sämtliche großen Sendeanstalten hierzulande noch damit, wann und wie sie den Zwischenschritt zum sogenannten 4K-Fernsehen (Ultra-HD) gehen.
Wer solch ein Gerät sein Eigen nennt, immerhin sollen dies laut Branchenprognosen bis Jahresende acht Millionen Haushalte sein, muss beim Zappen durch das TV-Programm momentan noch mit der Lupe nach Angeboten suchen. So gab das ZDF im Frühjahr bekannt, die Ausstrahlung von Ultra-HD-Angeboten über Satellit und Kabel ab 2022 für realistisch zu halten, auch bei der ARD dürfte es noch einige Jahre bis zum Regelbetrieb dauern.
Anlässlich der letzten Fußballweltmeisterschaft in Russland hatte es kurz Überlegungen gegeben, die Spiele auch in Ultra-HD zu übertragen, man war dann aber mit Blick auf die Kosten davon abgerückt. In Österreich hatte sich der finanzschwächere öffentlich-rechtliche ORF dagegen entschieden, die WM in bestmöglicher Auflösung zu übertragen. Zaghafte erste Gehversuche hierzu- lande unternimmt in den nächsten Wochen der deutsch-französische Kultursender Arte. Mitte September soll das Programm für zehn Tage in 4K-Auflösung ausgestrahlt werden. Ziel dieses Testlaufes soll es unter anderem sein, die Bildqualität eigener Produktionen auf entsprechenden Fernsehgeräten zu prüfen.
Innovationsbegeisterter zeigen sich private Anbieter. ProSieben zeigte im Juli eine Spezialausgabe seines Wissensmagazins Galileo mit 4K-Auflösung, das zur gleichen Sendergruppe gehörende Sat1 will demnächst zwei Filme in höherer Auflösung ausstrahlen. Die Konkurrenz von RTL denkt noch größer, will etwa Fußballspiele und Unterhaltungsshows in Ultra-HD senden. Dass die Privaten mehr experimentieren, hat unternehmerische Gründe. Parallel zur Umstellung des Sendebetriebes vor einigen Jahren auf Full-HD führten die Privaten eine kostenpflichtige Verschlüsselung ihres hochauflösenden Programms ein. Wer RTL und Co. etwa über Antenne oder Satellit empfangen will, muss dafür etwa 70 Euro im Jahr bezahlen. Die Privaten hoffen, dadurch mittelfristig wegbrechende Einnahmen aus dem klassischen Werbegeschäft kompensieren zu können.
Ein Problem mit dem Pixelgigantismus wird von der Branche gerne unterschlagen: Weil die TV-Hersteller immer größere Geräte produzieren, deren Bildschirmdiagonale inzwischen 1,60 Meter und mehr beträgt, müsste der Zuschauer immer weiter vom Bildschirm entfernt sitzen. Dummerweise wachsen die heimischen Wohnzimmer aber nicht mit. Wer aber die Wirkung eines 8K-Fernsehers wirklich genießen will, braucht ein Gerät mit einer Bildschirmdiagonale von mindestens 1,90 Meter. Ist der Fernseher kleiner, wäre ein Unterschied zur geringeren 4K-Auflösung für die meisten Zuschauer praktisch nicht erkennbar.
Auch technisch gibt es noch einige Probleme zu lösen: Hochauflösendere Bilder produzieren entsprechend größere Datenmengen. Nach welchem Standard diese letztlich übertragen werden, ist noch nicht abschließend klar. Insofern ist die Einführung einer neuen Technik in langsameren Schritten durchaus sinnvoll.
Als das Farbfernsehen Einzug hielt, war die Bundesrepublik nicht vorne dabei. Letztlich setzte sie aber mit dem PAL-System auf ein Verfahren zur Farbübertragung, das gegenüber zunächst weiter verbreiteten Systemen klar im Vorteil war – und sich schließlich global durchsetzte.
Beim Zappen durch das Programm muss man momentan noch mit der Lupe nach passenden Angeboten suchen.