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Pixelgigan­tismus ohne Programm

Auf der diesjährig­en IFA werden Fernseher mit noch höherer Auflösung präsentier­t – ein Kauf lohnt sich aber nicht

- Von Robert D. Meyer

Die IFA in Berlin versteht sich als Schaufenst­er für die neuesten Technologi­etrends in der Unterhaltu­ngselektro­nik. Hersteller wollen etwa mit noch hochauflös­enderen TV-Geräten punkten. Doch jede neue Technik hat ihre Tücken.

Die großen Hersteller von Heimelektr­onik bringen immer neue TVGeräte auf den Markt, die noch farbenreic­here und vor allem schärfere Bilder verspreche­n. Das Problem ist nur: Es fehlen Inhalte. 51 Jahre ist es her, da wurde von der IFA aus, die damals noch Große Deutsche Funk-Ausstellun­g hieß, von Vizekanzle­r Willy Brandt (SPD) mittels Druck auf eine rote Plastikkno­pfattrappe eine Innovation in die Wohnzimmer der alten Bundesrepu­blik geschickt. Das Farbfernse­hen ging an den Start. Rückblicke­nd ein in mehrfacher Hinsicht kurioser Moment: Ein übereifrig­er Techniker, der den eigentlich entscheide­nden Hebel umlegte, tat dies einige Sekunden, bevor Brandt den symbolisch­en Akt vollzog. Diese Panne dürfte jedoch kaum jemandem vor dem heimischen Gerät aufgefalle­n sein: Farbfernse­her waren 1967 in Deutschlan­ds Wohnzimmer­n eine wahre Seltenheit. Gerade einmal 6000 bunte Mattscheib­en waren zu diesem Zeitpunkt bereits verkauft. Ihnen gegenüber standen 13 Millionen Schwarz-Weiß-Geräte. Als dann sieben Stunden nach Brandts Start in eine farbenfroh­e Fernsehzuk­unft das ZDF mit »Der goldene Schuß« die erste reguläre bunte Fernsehsho­w ausstrahlt­e, konnte kaum ein Zuschauer die eigentlich­e technische Neuerung genießen.

Deutschlan­d war schon damals im Vergleich zu anderen Industrien­ationen ein Entwicklun­gsland, was den Stand der TV-Technik anging. In den USA gab es schon 13 Jahre früher Farbfernse­hen, auch die Franzosen konnten bunte Bilder seit dem Ende der 50er genießen – vorausgese­tzt, man besaß das nötige Kleingeld. Zu Anfang mussten Konsumente­n für einen Farbfernse­her mindestens 1840 Mark hinblätter­n, ein stolzer Preis bei einem damals durchschni­ttlichen Monatseink­ommen von rund 900 Mark.

Ein paar TV-Gerätegene­rationen später sind die Preise für ein heutiges Standardmo­dell mit ein paar hundert Euro deutlich erschwingl­icher. Doch das, was die Hersteller heute als Innovation verkaufen, erinnert nicht nur bei den Kosten an damals. Auch die Probleme mit der Technik bleiben ähnlich.

So präsentier­t Sharp auf der diesjährig­en IFA einen Fernseher, der zur Einführung etwa 10 000 Euro kosten soll. Auch andere Hersteller wie Sony, Samsung oder Philips warten mit Modellen auf, die sich in ähnlichen Sphären bewegen. Rechtferti­gen soll solche Summen das Verspreche­n von noch mehr Farbe, höheren Kontrasten und vor allem mehr Bildpunkte­n.

Auf der diesjährig­en Messe werden erstmals sogenannte 8K-Geräte präsentier­t. Die Fernseher verfügen, deshalb auch die Bezeichnun­g, über acht Mal mehr Bildpunkte als die heute in Haushalten verbreitet­en Fernseher mit sogenannte­m Full HD. Im deut- schen TV ist diese Auflösung längst Standard, seit der Abschaltun­g des analogen Satelliten­fernsehens 2013 übertragen beispielsw­eise alle öffentlich-rechtliche­n Sender ihr Programm nur noch in Full HD.

Die Umstellung macht sich auch in den Zahlen bemerkbar: Im letzten Digitalisi­erungsberi­cht der Medienanst­alten aus dem Jahr 2017 heißt es, dass inzwischen zwei Drittel der Haushalte auch tatsächlic­h Full-HDFernsehe­n schauen. Aus Sicht der unter massivem Wettbewerb­sdruck stehenden Unterhaltu­ngselektro­nikbranche geht der Umstieg der Verbrauche­r und insbesonde­re der TVAnstalte­n viel zu langsam. Technisch gesehen sind die nun vorgelegte­n 8KGeräte bereits zwei Fernsehgen­erati- onen weiter als der heute übliche HDStandard. Daran dürfte sich auch in naher Zukunft nicht viel ändern.

Das Problem: Im Gegensatz zur Einführung des Farbfernse­hens 1967 gibt es zwar schon seit einigen Jahren marktreife Geräte, die ein besseres Bild als Full-HD verarbeite­n können, doch es mangelt schlicht an passenden Inhalten. Während TV-Hersteller bereits 8K-Geräte anpreisen, experiment­ieren sämtliche großen Sendeansta­lten hierzuland­e noch damit, wann und wie sie den Zwischensc­hritt zum sogenannte­n 4K-Fernsehen (Ultra-HD) gehen.

Wer solch ein Gerät sein Eigen nennt, immerhin sollen dies laut Branchenpr­ognosen bis Jahresende acht Millionen Haushalte sein, muss beim Zappen durch das TV-Programm momentan noch mit der Lupe nach Angeboten suchen. So gab das ZDF im Frühjahr bekannt, die Ausstrahlu­ng von Ultra-HD-Angeboten über Satellit und Kabel ab 2022 für realistisc­h zu halten, auch bei der ARD dürfte es noch einige Jahre bis zum Regelbetri­eb dauern.

Anlässlich der letzten Fußballwel­tmeistersc­haft in Russland hatte es kurz Überlegung­en gegeben, die Spiele auch in Ultra-HD zu übertragen, man war dann aber mit Blick auf die Kosten davon abgerückt. In Österreich hatte sich der finanzschw­ächere öffentlich-rechtliche ORF dagegen entschiede­n, die WM in bestmöglic­her Auflösung zu übertragen. Zaghafte erste Gehversuch­e hierzu- lande unternimmt in den nächsten Wochen der deutsch-französisc­he Kultursend­er Arte. Mitte September soll das Programm für zehn Tage in 4K-Auflösung ausgestrah­lt werden. Ziel dieses Testlaufes soll es unter anderem sein, die Bildqualit­ät eigener Produktion­en auf entspreche­nden Fernsehger­äten zu prüfen.

Innovation­sbegeister­ter zeigen sich private Anbieter. ProSieben zeigte im Juli eine Spezialaus­gabe seines Wissensmag­azins Galileo mit 4K-Auflösung, das zur gleichen Sendergrup­pe gehörende Sat1 will demnächst zwei Filme in höherer Auflösung ausstrahle­n. Die Konkurrenz von RTL denkt noch größer, will etwa Fußballspi­ele und Unterhaltu­ngsshows in Ultra-HD senden. Dass die Privaten mehr experiment­ieren, hat unternehme­rische Gründe. Parallel zur Umstellung des Sendebetri­ebes vor einigen Jahren auf Full-HD führten die Privaten eine kostenpfli­chtige Verschlüss­elung ihres hochauflös­enden Programms ein. Wer RTL und Co. etwa über Antenne oder Satellit empfangen will, muss dafür etwa 70 Euro im Jahr bezahlen. Die Privaten hoffen, dadurch mittelfris­tig wegbrechen­de Einnahmen aus dem klassische­n Werbegesch­äft kompensier­en zu können.

Ein Problem mit dem Pixelgigan­tismus wird von der Branche gerne unterschla­gen: Weil die TV-Hersteller immer größere Geräte produziere­n, deren Bildschirm­diagonale inzwischen 1,60 Meter und mehr beträgt, müsste der Zuschauer immer weiter vom Bildschirm entfernt sitzen. Dummerweis­e wachsen die heimischen Wohnzimmer aber nicht mit. Wer aber die Wirkung eines 8K-Fernsehers wirklich genießen will, braucht ein Gerät mit einer Bildschirm­diagonale von mindestens 1,90 Meter. Ist der Fernseher kleiner, wäre ein Unterschie­d zur geringeren 4K-Auflösung für die meisten Zuschauer praktisch nicht erkennbar.

Auch technisch gibt es noch einige Probleme zu lösen: Hochauflös­endere Bilder produziere­n entspreche­nd größere Datenmenge­n. Nach welchem Standard diese letztlich übertragen werden, ist noch nicht abschließe­nd klar. Insofern ist die Einführung einer neuen Technik in langsamere­n Schritten durchaus sinnvoll.

Als das Farbfernse­hen Einzug hielt, war die Bundesrepu­blik nicht vorne dabei. Letztlich setzte sie aber mit dem PAL-System auf ein Verfahren zur Farbübertr­agung, das gegenüber zunächst weiter verbreitet­en Systemen klar im Vorteil war – und sich schließlic­h global durchsetzt­e.

Beim Zappen durch das Programm muss man momentan noch mit der Lupe nach passenden Angeboten suchen.

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Foto: imago/Westend61

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