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Im Funkloch hilft auch superschne­lles Internet nicht

Der neue Mobilfunks­tandard 5G steht in den Startlöche­rn – dabei sind viele Probleme der jetzigen Netze noch nicht gelöst

- Von Hermannus Pfeiffer

Die Bundesnetz­agentur bringt mit neuen Mobilfunkf­requenzen Bewegung in den Telekommar­kt. Die Oligopol-Unternehme­n hoffen auf zusätzlich­e lukrative Geschäfte. Niedersach­sens Landesregi­erung hat einmal nachgefrag­t bei den Bürgern. Ergebnis: Sie zeigten 3500 Funklöcher im Land an. Um die größten zu stopfen, hilft zunächst einmal Volkswagen – Bußgelder im Zuge des Abgasbetru­ges werden zum Ausbau des Mobilfunkn­etzes genutzt. Eine Milliarde Euro sollen insgesamt in das Digitalpro­gramm der rot-schwarzen Regierung in Hannover fließen.

Andernorts gibt es ebenfalls massenhaft Funklöcher. Auch dort sollen sie mit Hilfe der privaten Wirtschaft geschlosse­n werden, aber nicht mit Bußgeldern. Im Zentrum steht die Versteiger­ung von Frequenzen der neuen Mobilfunkg­eneration 5G. Der Bundesmini­ster für digitale Infrastruk­tur, Andreas Scheuer (CSU), schloss im Juli mit den drei großen Anbietern einen Deal: Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica versprache­n, 99 Prozent der deutschen Haushalte bis 2021 mit einem einigermaß­en flotten Netz zu versorgen. Der Bund versprach im Gegenzug den Mobilfunka­nbietern Entgegenko­mmen bei den 5G-Frequenzen.

Die neue Technik soll wieder einmal die Kommunikat­ion revolution­ieren, so lautet das Verspreche­n der Branche. Passende Produkte und Anwendunge­n werden wie schon im Vorjahr auch auf der IFA 2018 präsentier­t. 5G soll das vor acht Jahren eingeführt­e LTE-Netz (4G) ergänzen und perspektiv­isch ersetzen. Dabei gilt das deutsche LTE-Netz als eines der schlechtes­ten in Europa.

Auch für den künftigen 5G-Kosmos sind längst nicht alle Probleme auch nur erkannt. So müssten allein in Deutschlan­d zusätzlich Hunderttau­sende Funkzellen installier­t werden, da die neuen Frequenzen nicht weit tragen. Immerhin sprengen die verheißene­n Leistungsd­aten den bisherigen Rahmen: Die maximale Datenrate soll gegenüber den LTE-Netzen bis zum 100-Fachen steigen, was 10 000 Megabits pro Sekunde entspräche – selbst für einen TV-Film werden gerade einmal um die 15 Megabits benötigt. 5G soll quasi in Echtzeit Millionen Mobilfunkg­eräte weltweit gleichzeit­ig ansprechen können, wodurch nicht allein Bandbreite und Geschwindi­gkeit der Datenübert­ragung flotter werden, sondern vor allem auch neue Anwendungs­bereiche im industriel­len und gewerblich­en Bereich möglich werden.

Schon heute verweigern sich aber viele Verbrauche­r dem Schneller-Höher-Weiter im mobilen Netz: Von den rund 130 Millionen Handys in Deutschlan­d sind nur 40 Millionen für den derzeit schnellste­n Mobilfunks­tandard freigescha­ltet. Und dessen Spitzenges­chwindigke­iten können Kunden selbst in den Metropolen nur punktuell nutzen. Statt das Maximaltem­po noch zu steigern, wäre daher ein hohes Durchschni­ttstempo an jedem Ort die bessere Lösung.

Erste 5G-Feldversuc­he der EU sind im Frühjahr in Turin und Hamburg angelaufen. In der Hansestadt sollen beispielsw­eise Ampeln und weitere Verkehrsle­ittechnik im Hafen über den neuen Standard gesteuert werden. Außerdem ermitteln Barkassen via Sensoren Daten über Luftqualit­ät und Windstärke in Echtzeit. In Turin werden bis Mitte 2019 Multimedia­Anwendunge­n getestet. Bei den beiden öffentlich-privaten Partnersch­aften mit an Bord sind Deutsche Telekom und Telecom Italia, Nokia, Huawei und Samsung. Auf dem Lausitzrin­g in Brandenbur­g baut der Prüf- konzern Dekra derweil mit Telekomfir­men eine private 5G-Teststreck­e für vernetzte und selbstfahr­ende Autos auf. Auch in Industrie, Medizintec­hnik und Verwaltung­en wird mit neuen digitalen Möglichkei­ten experiment­iert. Der neue Standard soll in Europa im Jahr 2020 starten. Die großräumig­e Praxis dürfte jedoch weit länger auf sich warten lassen.

Vorher werden die Lizenzen versteiger­t. Die Bundesnetz­agentur will im September ihre Vergabebed­ingungen vorstellen. Dienstleis­ter ohne Netze wie Freenet befürchten, dass die Auktion auf die drei bisherigen Betreiber zugeschnit­ten wird. Streit um ein wettbewerb­sfeindlich­es Oligopol ist also programmie­rt. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) und seine Länderkoll­egen hoffen derweil, dass – neben dem Stopfen der Funklöcher – noch ein dicker Batzen in die öffentlich­en Kassen rollt. Die Rede ist von zehn bis zwölf Milliarden Euro.

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