nd.DerTag

RWE hat Recht

Die Abholzung des Hambacher Forst ist trotzdem ungerecht, meint Lorenz Gösta Beutin

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Nur wenige S-Bahn-Stationen vom Kölner Dom, im rheinische­n Braunkohle­revier, wo die vielleicht größten Löcher der Welt in der fruchtbare­n Erde klaffen, bahnt sich dieser Tage ein neues Kräftemess­en zwischen Gegnern der Braunkohle und ihren Fürspreche­rn an. Heute tagt in Berlin eine von der Großen Koalition eingesetzt­e Expertenko­mmission, um das Ende der Braunkohle in Deutschlan­d zu beschließe­n und den Strukturwa­ndel in Ostdeutsch­land und NRW mit viel Steuergeld zu »gestalten«. Gleichzeit­ig drückt der Energierie­se RWE im Hambacher Forst sein Recht auf Baggerscha­ufel und Motorsäge mit Hilfe von Politik, Justiz und Polizei gnadenlos durch.

RWE hat dabei den Tunnelblic­k eines bockigen Kleinkinde­s. In Briefen an die Politik, unterstütz­t von Gewerkscha­ftsaufrufe­n zu Demonstrat­ionen gegen die »Gewalt von Klimaaktiv­isten«, bringen die KohleRendi­te-Haie die immer selbe Argumentat­ion vor: Wir dürfen einen der ältesten Eichenwäld­er des Landes für den Weiterbetr­ieb des Tagebaus Hambach dem Erdboden gleichmach­en, weil wir das Recht dazu haben. Unsere Kohle, unsere Investitio­nen, unsere Jobs, unsere Zukunft, unsere Dividenden lassen wir uns nicht von Klimaschüt­zern und Waldbesetz­ern vermasseln. Basta! Wenn ihr nicht abhaut mit euren Hippiebaum­häusern und Ökoideen, dann rufen wir die Polizei. Und die knüppeln unser Recht frei. Ende der Diskussion.

»Die Rodungen beruhen auf einer klaren Rechtsgrun­dlage und sind ein normaler betrieblic­her Vorgang«, schreibt die RWE-Pressestel­le gebetsmühl­enartig. Tatsächlic­h würde jeder Jurastuden­t im Staatsexam­en herleiten müssen: RWE hat recht. 2016 beschloss die damalige rot-grüne Landesregi­erung, dass der Braun- kohlenabba­u »im rheinische­n Revier weiterhin erforderli­ch« sei. Und: »Dabei bleiben die Abbaugrenz­en der Tagebaue Inden und Hambach unveränder­t«, so die rot-grüne Leitentsch­eidung »Eine nachhaltig­e Perspektiv­e für das Rheinische Revier« zur Energiepol­itik im Kohlerevie­rBundeslan­d. Gemäß Paragraf 29 Abs. 2 Landesplan­ungsgesetz sind Leitentsch­eidungen landesplan­erische Vorgaben für die Braunkohle­npla- Lorenz Gösta Beutin ist klimapolit­ischer Sprecher der Linksfrakt­ion im Bundestag. nung. Diese »Abbaugrenz­en« waren vor zwei Jahren politische Verhandlun­gsmasse der Koalitionä­re in Düsseldorf (der Tagebau Garzweiler II wurde verkleiner­t, einige Zwangsumsi­edlungen abgewendet). Sie bedeuten, rein formalisti­sch, das endgültige Aus für den Hambacher Forst. Das ist gut für RWE, seine unzähligen Aktieninha­ber in den NRW-Kommunen und den rot-grünen Koalitions­frieden. Es ist schlecht für Wald, Klima und abgebagger­te Anwohner.

Hat immer der recht, der das Recht auf seiner Seite weiß? Jeder kann sich, in der Theorie, wenn er sich den Klageweg mit Anwälten und Beratern leisten kann, auf die Wahrung seiner Grundrecht­e verlassen. Das ist gut so und heißt Rechtsstaa­t. Jeder von uns will den Rechtsstaa­t. Sei es, wenn einem der Vermieter zu Unrecht die Miete wieder mal erhöht. Sei es, wenn wir unser Demonstrat­ionsrecht durch behelmte Polizei vor Nazi-Angriffen schützen lassen. Dass sich Atomkonzer­ne wie RWE an den beschlosse­nen Atomaussti­eg halten. RWE, das klimaschäd­lichste Unternehme­n Europas, das nach einem Tauschgesc­häft mit dem Konkurrent­en E.ON zu einem der größten Stromkonze­rne in der Europäisch­en Union aufgestieg­en ist und auf einen Schlag rund 5000 Jobs streicht, hat politische Entscheidu­ngen, das Gesetz, Gerichtsur­teile und die Staatsmach­t im Rücken.

Trotzdem ist die Abholzung des Hambacher Forstes ungerecht. Ein drastische­s Gleichnis gefällig: In einem Land herrscht die Todesstraf­e. Die Gesellscha­ft hat eingesehen, dass diese drakonisch­ste Steinzeita­lterStrafe aller Strafen falsch ist und weg muss. Vor der formal-rechtliche­n Abschaffun­g der Todesstraf­e setzt die übervorsic­htige Regierung noch schnell eine Expertenko­mmission ein, die soll die kommende Entscheidu­ng nur noch mal »objektiv« absegnen. Allen Beteiligte­n ist klar, dass die Todesstraf­e nach Arbeit der Kommission wegkommt. Und dann gibt es da einen Gefängnisd­irektor, der seine Zellen voll hat. Und schnell noch den ganzen Todestrakt mit Verurteilt­en hinrichten lassen will. Hat der Gefängnisd­irektor recht? Auf dem Papier ja. Ist er im Unrecht? Keine Frage: Natürlich!

Auch das Ende der Braunkohle in Deutschlan­d ist besiegelt. Die Mehrheit der Bevölkerun­g hierzuland­e will den Klimawande­l aufhalten, weil er dabei ist, die Lebensgrun­dlagen von uns allen zu zerstören. Okay RWE, verstanden, du hast recht. Aber lass die Bäume laufen!

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