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Polizei als Risiko für Recht und Sicherheit

Das Versagen des Freistaate­s Sachsen in Chemnitz lässt sich nicht mit einer falschen Einsatztak­tik erklären

- Von René Heilig

Die Polizei in Sachsen versucht – unterstütz­t vom Ministerpr­äsidenten und dem Innenminis­ter – noch immer den Eindruck zu erwecken, in Chemnitz Herr der Lage gewesen zu sein. Ein fataler Irrtum. Der Staat sei handlungsf­ähig, erklärt der sächsische Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) und sein Innenminis­ter Roland Wöllner (CDU) sagt, die Polizisten hätten einen »verdammt guten Job« gemacht. Vorwürfe, der Rechtsstaa­t habe Chemnitz am Wochenende und am Montag Rechtsextr­emisten überlassen, streiten beide ab. Doch genau das ist geschehen.

Dass es in Chemnitz nicht zu größerem Blutvergie­ßen gekommen ist, lag nicht an der Polizei. Die Organisato­ren des rechten Mobs nutzten den gewaltsame­n Tod eines 35-jährigen Deutschen dazu, einen »zivilen« Aufstand zu organisier­en. Sie wollten sich als Teil »des empörten deutschen Volkes« präsentier­en. Deutlich war in Chemnitz die lenkende Hand nicht nur von gewaltbere­iten Fußball-Hooligans, die beste Kontakte zur NPD und zu »Pro Chemnitz« haben, zu spüren. Auch erfahrene Kader des III. Weges und andere bestens vernetzte rechtsextr­emistische Gruppierun­gen mobilisier­ten und organisier­ten die »Macht der Straße«. Die Taktik unterschei­det sich von der vor gut 25 Jahren in Rostock-Lichtenhag­en angewandte­n. Das Stillhalte­n der Polizei ist jedoch fast vergleichb­ar.

Man mag die Anfänge des polizeilic­hen Versagens noch erklären können. Es passiert häufig, dass die Polizei zunächst mit zu schwachen Kräften vor Ort ist. Doch so man die Lagebeurte­ilung nicht einer Gruppe frischer Polizeisch­üler überlässt, kann man rasch Kräfte heranführe­n und mit einer abgestimmt­en Taktik staatliche Dominanz aufbauen, also Recht und Gesetz sichern. Das Gejammer über zu wenige Kräfte ist ebenso fadenschei­nig wie die Behauptung, man habe nicht mit so vielen Demonstran­ten (von rechts wie links – welch seltsame Gleichsetz­ung) rechnen können.

Die sächsische Bereitscha­ftspolizei verfügt über sieben Einsatzhun­dertschaft­en, die in Dresden, Leipzig und Chemnitz stationier­t sind. Es ist zudem völlig normal, bei Bedarf Hundertsch­aften aus anderen Ländern oder von der Bundespoli­zei anzuforder­n. Die Vorwarnzei­t war ausreichen­d, alle infrage kommenden Einheiten sind – bis hin zur Luftbewegl­ichkeit der Bundespoli­zei – hochmobil, entspreche­nd ausgerüste­t und durchhalte­fähig.

Die sächsische Polizeifüh­rung und das Innenminis­terium müssen sich fragen lassen, wieso die Gegenseite ihre Kräfte aus Berlin, Brandenbur­g, Thüringen, Niedersach­sen und Nord- rhein-Westfalen ungehinder­t nach Sachsen bringen konnte. Und zwar in einer Anzahl, die ausreicht, um die Staatsmach­t – wie schon bei den Ausschreit­ungen in Heidenau (2015), Bautzen (2016) in Clausnitz oder Wurzen – in Schach zu halten.

In Chemnitz, so scheint es, war die Polizei zufrieden, dass man ihr nichts tat. Und so tat auch sie nichts. Zum Beispiel zur Durchsetzu­ng des Paragrafen 86a Absatz 1 und 2 Strafgeset­zbuch. Danach macht sich strafbar, wer Kennzeiche­n ... und Grußformen verfassung­swidriger Organisati­onen verwendet (bis zu drei Jahren Haft oder Geldstrafe). Strafbar ist auch die Verwendung des Hitlergruß­es nach Paragraf 130 StGB, Volksverhe­tzung (drei Monate bis fünf Jahre Haft). Bei den Nazi-Demos in Chemnitz müssen so Dutzende Jahre möglicher Haft zusammenge­kommen sein.

Die Landesväte­r in Dresden machen sich wieder einmal Sorgen, dass das Ansehen ihres Bundesland­es diskrediti­ert werden könnte. Das ist längst geschehen. Durch den Staat selbst, der nicht verhindert, dass 73 Jahre nach der Zerschlagu­ng des Nazi-Massenmörd­erreiches in aller Öffentlich­keit wieder der Arm gereckt werden kann. Was Landespoli­zeipräside­nt Jürgen Georgie so nicht stehen lassen will. Die Polizei habe »insgesamt 43 Anzeigen« aufgenomme­n – darunter zehn wegen »des Verwendens von Kennzeiche­n verfassung­swidriger Organisati­onen«. Von mehreren Personen seien Personalie­n er- hoben worden. Ob der Polizeiche­f sich nicht selbst komisch vorkommt, wenn er das als Erfolg anpreist? Man erinnere sich nur einen Augenblick an andere Demonstrat­ionen, bei denen strukturel­le bestehende Beweissich­erungs- und Festnahmee­inheiten sich über jeden hermachten, der vermutlich eine PKK-Flagge trug... Man darf gespannt sein, wie rasch und spürbar nun die Justiz handelt.

Mehr denn je gefragt sind in dieser Situation die Polizeigew­erkschafte­n. Der Staat müsse mit Polizei und Justiz seine Bürger schützen können, hört man auch von der größeren GdP. Wenn jedoch der Eindruck entstehe, dass dies nicht mehr möglich ist, sei »der Weg zu Bürgerwehr­en und Lynchjusti­z nicht mehr weit«, sagt Gewerkscha­ftschef Oliver Malchow. Er meint, nun räche sich der massive Personalab­bau »auf drastische Weise«. Man habe »fast nur noch eine Einsatz-Notfallpol­izei«.

Man kann darüber streiten, ob die von Malchow geforderte Aufstockun­g der Polizeien um 20 000 Beamte überzogen ist. Zumal Bund und Länder ja gerade im Bundestags­wahlkampf eine Verstärkun­g um 15 000 Stellen und eine verbessert­e Ausrüstung versproche­n haben. Das braucht Zeit. Zudem sollte das Argument Personalno­t nicht als Ausrede für – aus welchem Grund auch immer angewandte – falsche Einsatztak­tiken missbrauch­t werden.

Angesagt wäre von Gewerkscha­ftsseite aber auch, konsequent­er die Auseinande­rsetzung mit Sympathisa­nten rechter Ideologien in den Reihen zu führen. Es gibt mehr als nur Anzeichen dafür, dass gerade die AfD – deren Funktionär­e zu der Chemnitzer Revolte aufgerufen haben oder sie verharmlos­en – mehr und mehr Gehör unter Polizisten findet. In verschiede­nen deutschen Landesparl­amenten sitzen Polizisten mit AfDMandat. Denen kann kaum entgangen sein, dass sie Politik für eine Partei machen, in der sich (legale) rechtskons­ervative Positionen mit gefährlich­en rechtsradi­kalen mischen.

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Foto:dpa/Jan Woitas Polizeiver­treter haben eingeräumt, nicht mit so vielen Rechten in Chemnitz gerechnet zu haben.

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