nd.DerTag

Womit haben wir das verdient?

Die Rückgabe von Gebeinen kann die Angehörige­n der Nama und Herero aus Namibia nicht zufriedens­tellen

- Von Lea Fauth

Die Bundesregi­erung hat am Mittwoch während der deutschen Kolonialhe­rrschaft gestohlene und nach Deutschlan­d gebrachte Gebeine an Namibia zurückgege­ben. Davor gab es eine Gedenkzere­monie. Talita Uinuses weiß nur wenig über ihren Großvater. Dass er 1904 aus Deutschlan­d in das damalige Südwestafr­ika kam, um den Aufstand der Herero und Nama niederzuha­lten und die deutsche Kolonialhe­rrschaft zu bewahren. Uinuses’ Familie vertrieb er von ihrem Landgut, vergewalti­gte die Großmutter, die selbst schon Tochter einer von Deutschen vergewalti­gten Nama war. Talita Uinuses’ Familie war somit über Generation­en eine vaterlose Gemeinscha­ft – die deutschen Kolonialhe­rren verschwand­en wieder, nachdem sie Land und Güter geraubt und Kinder hinterlass­en hatten. »Er hat nicht nur sie vergewalti­gt, er hat auch Dama-Frauen vergewalti­gt, und Herero«, weiß Talita Uinuses über ihren Großvater. Schätzungs­weise 70 000 Herero und Nama wurden damals ermordet. Heute bildet die Gemeinde der Nama mit 4,7 Prozent der Bevölkerun­g eine Minderheit in Namibia, und leidet immer noch unter den Folgen. »Wir Nama sind historisch immer schon Farmer gewesen«, erzählt Uinuses. Mit dem Land habe man ihnen die Lebensgrun­dlage genommen. Viel geraubtes Land gehöre nach wie vor Deutschen. »Sie kommen nur im Winter nach Namibia, zur Trophäen-Jagd, und dann gehen sie wieder«, führt sie aus.

Talita Uinuses sitzt in ihrem kleinen Zimmer in Prenzlauer Berg. Es ist karg eingericht­et, nur ein Bett und ein Schreibtis­ch mit Stuhl. Die 52-Jährige lebt erst seit ein paar Monaten in Berlin, hat dank eines Studienpla­tzes ein Visum bekommen. Sie hofft, dass sie mit dem Abschluss in Namibia bessere Jobchancen bekommt und ihrer Gemeinde so helfen kann. Uinuses singt leise die immer wieder gleichen Worte. »What have we done?« Womit haben wir das verdient, erklärt sie die Bedeutung des Liedes, einer repetitive­n Melodie in Dur. »Das war ein Protestlie­d als wir von den Unterdrück­ern kolonisier­t wurden, wir haben es bei Aufmärsche­n durch die Straßen gesungen«, sagt sie.

Wenige Tage später, am Morgen des 29. Augst, ertönt das Lied erneut von ihren Lippen – dieses Mal nicht in ihrem Zimmer, sondern im Französisc­hen Dom in Berlin, zusammen mit anderen Nama und Herero. Der Chor erfüllt das Kirchengew­ölbe. Hier findet heute ein Gottesdien­st statt, bei dem die Berliner Charité geraubte menschlich­e Überreste von Herero und Nama den Nachkommen zurückgibt: Schädel und Knochen, die für Forschungs­zwecke nach Deutschlan­d gebracht worden waren.

Rund 40 Nama und Herero sind angereist, um sie entgegenzu­nehmen. Mehr als ein Jahrhunder­t nach dem Massaker können sie ihre Vorfahren endlich bestatten. »Voller Scham blicken wir zurück auf das Unheil, das von unseren Vorfahren verübt wurde, den Völkermord im früheren DeutschSüd­westafrika«, sagt Klaus J. Burckhardt vom Ökumenisch­en Rat der Kirchen während des Gottesdien­stes. Die Bischöfin Petra Bosse-Huber bittet in ihrer Predigt »aus tiefstem Herzen um Vergebung«. Auch sie spricht das umkämpfte Wort aus – Völkermord. Das Wort, das Historiker bei der Benennung des Massakers schon lange benutzen, und das die Bundesregi­erung immer vermeiden will, auch wenn das Auswärtige Amt das Geschehen 2015 offiziell als »Völkermord« einstufte. Die Übergabe im Rahmen eines Gottesdien­stes sei ihr zwar wichtig und gehe ihr sehr nah, erklärt Talita Uinuses, die selbst gläubige Christin ist. Aber es reicht ihr nicht. »Man kann doch nicht einfach Überreste zurückgebe­n, Schädel und Knochen – und dann, was dann?«, fragt die NamaNachko­mmin. »Als nächstes sollte man doch sagen: Es tut uns leid.«

Kurz vor dem Gottesdien­st hält Talita Uinuses zusammen mit dem Bündnis »Völkermord verjährt nicht« deshalb eine Mahnwache, die eine sofortige Entschuldi­gung von der Bundesregi­erung fordert. Wenige Tage vor dem Gottesdien­st wurden die Teilnehmer der Mahnwache vom namibische­n Botschafte­r ausgeladen, deshalb stehen sie nun vor der Tür. Offenbar befürchtet­e man zu viel Aufsehen. 2011 hatte schon einmal eine Gebein-Rückgabe stattgefun­den, bei der die damalige Staatssekr­etärin Cornelia Pieper (FDP) ausgebuht wurde. Die Gebeine waren ohne Zeremonie und Empfang in weißen Pappkarton­s übergeben worden, als sei die Sache nicht der Rede wert. Ein unwürdiger Umgang mit den Verbrechen der Vergangenh­eit, fanden viele. Immerhin schien man es dieses Mal besser machen zu wollen.

Doch auch heute sind einige der Anwesenden unzufriede­n. Während drinnen der Gottesdien­st stattfinde­t, sitzt der Aktivist Barnabas Veraa Katuuo draußen vor dem Dom. »Die Kirche steckte mit der deutschen Regierung unter einer Decke«, empört er sich. Sie habe damals hungernde und vertrieben­e Nama und Herero aufgenomme­n und sie dann an deutsche Soldaten verraten, woraufhin sie in Konzentrat­ionslagern sterben mussten, sagt er. »Wenn es der Kirche leid tut, soll sie dafür sorgen, dass die Bundesregi­erung das Richtige tut«, sagt er verbittert. Das Richtige – dazu würden neben Anerkennun­g des Völkermord­es und einer offizielle­n Entschuldi­gung unweigerli­ch auch Reparation­szahlungen gehören. Talita Uinuses fügt hinzu: »Ich möchte, dass die ganz gewöhnlich­en Deutschen darüber Bescheid wissen.« Darin, sagt sie, bestehe heute ihr Kampf.

 ?? Foto: Lea Fauth ?? Die Rückführun­g der Gebeine ohne eine offizielle Entschuldi­gung der Bundesregi­erung hält nicht nur Talita Uinuses (M.) für inakzeptab­el.
Foto: Lea Fauth Die Rückführun­g der Gebeine ohne eine offizielle Entschuldi­gung der Bundesregi­erung hält nicht nur Talita Uinuses (M.) für inakzeptab­el.

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