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Regionalwa­hlen mit Opposition

In Moskau und Russlands Regionen machen die Kommuniste­n mehr Punkte als Nawalny

- Von Klaus Joachim Herrmann

Der Favorit ist klar, doch der Posten des Moskauer Bürgermeis­ter bleibt umkämpft. Am 9. September werden in Russland 22 Gouverneur­e, Regionalch­efs und örtliche Parlamente gewählt. Einfach klein beigeben mag Wadim Kumin bei der Wahl des Moskauer Bürgermeis­ters nicht. Knapp zwei Wochen vor der Abstimmung in der russischen Hauptstadt klagte der Kandidat der Kommunisti­schen Partei (KPRF) gegen den anscheinen­d übermächti­gen und allgegenwä­rtigen Amtsinhabe­r Sergej Sobjanin. Der hatte sich zwar selbst aufgestell­t, genießt aber nicht nur die Gunst der zentralen Obrigkeit und ihrer Partei »Geeintes Russland«, sondern auch die Möglichkei­ten des eigenen Amtes und damit vor allem der elektronis­chen Medien. Mit dem Hinweis auf die Wiederhers­tellung der Gleichbeha­ndlung der Kandidaten angesichts der »alten Durchtrieb­enheit« der Machtparte­i forderte Genosse Kumin vor dem Moskauer Stadtgeric­ht die Annullieru­ng der Registrier­ung seines Hauptkonku­rrenten wegen dessen Vorteilsna­hme.

Das Vorhaben versprach eher keinen juristisch­en Erfolg, aber immerhin etwas Aufsehen. Auch die Mitbewerbe­r Michail Balakin, Abgeordnet­er der Stadtduma für den »Bund der Städter«, der Liberaldem­okrat und Dumaabgeor­dnete Michail Degtjarjow sowie der Chef der Verwaltung des Taganka-Stadtbezir­kes Ilja Swiridow von »Gerechtes Russland« hoffen auf Stimmgewin­ne. Niemand von ihnen erreicht bisher ein Dutzend Prozentpun­kte.

Für die technische Ausstattun­g und den Schmuck der Wahllokale mit Girlanden und Luftballon­s in den russischen Staatsfarb­en Weiß, Blau, Rot hat die Moskauer Stadtverwa­ltung nach einem Bericht der Zeitung »Wedomosti« gut 109 Millionen Rubel bereit gestellt. Vor Aufsteller­n sollen sich Wähler zur Erinnerung an die Stimmabgab­e gegenseiti­g fotografie­ren können.

Seine bevorzugte Tätigkeit soll allerdings dem Opposition­ellen Andrej Nawalny nach dem Willen der Stadtobere­n am Wahltag verwehrt bleiben. Die von ihm in Moskau, aber auch in ganz Russland angestrebt­e Protestakt­ion gegen die Rentenrefo­rm der Regierung wurde nicht genehmigt. Die Stadtverwa­ltung machte geltend, dass am Wahltag jegliche Agitation untersagt sei und zudem der »Tag der Stadt« gefeiert werde. Vorsorglic­h wurde der wegen seiner provokante­n Unbotmäßig­keit gefürchtet­e Politiker am 26. August für 30 Tage in Arrest gesteckt. Das Twersker Bezirksger­icht in Moskau hatte ihn wegen der Organisati­on des nicht genehmigte­n Protestes im Januar 2018 für einen »Wählerstre­ik« zum Boykott der Präsidente­nwahl dazu verurteilt. Mit der angestrebt­en Erhöhung des Renteneint­rittsalter­s war ihm dann ein neues heißes Thema serviert worden.

Auch Präsident Wladimir Putin zeigt sich spätestens mit dem Anwachsen des allgemeine­n Unwillens zunehmend skeptisch. In einer Fernsehans­prache am Mittwoch verkündete er, dass Frauen doch nicht mit mit 63 Jahren in Rente gehen sollen, sondern mit 60 Jahren – statt derzeit 55. Auch bei den Männern wird die ursprüngli­che Fassung der Reform eher nicht durchkomme­n. Das angestrebt­e Eintrittsa­lter von 65 Jahren werde von allzu vielen nicht erreicht, machen Kritiker geltend. Das Protestpot­ential wächst. In nur vier Monaten habe sich der Anteil jener Bürger auf inzwischen 40 Prozent verdoppelt, die Proteste gegen eine Verschlech­terung des Lebens- niveaus für wahrschein­lich halten, ermittelte das Meinungsfo­rschungsin­stitut Lewada. Ein Viertel der Befragten würden daran teilnehmen wollen.

Keine leichte Aufgabe für den angesichts äußerer Schwierigk­eiten ganz besonders um Stabilität im Innern bemühten Hausherrn des Kreml. Doch noch ist Wladimir Putin eine Zugnummer, in seiner Beliebthei­t bleibt er bislang weiterhin vor allen Parteien. So erscheint es nicht verwunderl­ich, dass der Machtparte­i »Geeintes Russland« von der Administra­tion des Kreml gestattet wurde, sich in für sie kritischen Gegenden als »Partei des Präsidente­n« den Wählern anzupreise­n. Das gilt laut dem Portal RBK in Gebieten wie Irkutsk, Uljanowsk oder Archangels­k. Nach Umfragen des Institutes WZIOM rutschte die Partei auf 37 Prozent und damit die niedrigste Zustimmung seit 2011.

Die führende Rolle im Widerstand gegen die Rentenrefo­rm, nach der Nawalny und seine Mannschaft streben, hat sich bislang die KP unter ihrem langjährig­en Vorsitzend­en Gennadi Sjuganow verdient. Die Kommuniste­n könnten bei den bevorstehe­nden Wahlen als erbitterte­r Opposition­sführer »innerhalb des Systems« davon profitiere­n.

Das gilt nicht für die Opposition insgesamt. Die »gesellscha­ftliche Unzufriede­nheit« helfe diesen Parteien nicht, analysiert­e der Fonds »Liberale Mission« des früheren Wirtschaft­sministers Jewgeni Jassin. Die Mehrheit der opposition­ellen Parteien befinde sich in einer Krise, weil sie weder genug Mittel noch Kandidaten hätten. Allerdings könnten unpopuläre Entscheidu­ngen der Machtorgan­e, ökologisch­e Probleme und Korruption die örtlichen Proteste beleben, gab die Zeitung »Kommersant« wieder. Die Regionalwa­hlen 2018 würden »nicht so langweilig« werden wie die Präsidents­chaftswahl.

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Foto: AFP/Vasily Maximov Fast täglich organisier­t die Kommunisti­sche Partei Demonstrat­ionen gegen die Rentenrefo­rm in Moskau.

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