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Putin stellt sich hinter die Rentenrefo­rm

Per Fernsehans­prache erklärt der russische Präsident das Heraufsetz­en des Renteneint­rittsalter­s als unabdingba­r

- Von Axel Eichholz, Moskau

Schon zu Sowjetzeit­en sei die Erhöhung des Renteneint­rittsalter­s diskutiert worden, sagte Putin in seiner Rede an die Nation. Privilegie­n des Militärs und von Abgeordnet­en sollen erhalten bleiben. Der russische Präsident Wladimir Putin hat sich am Mittwoch in einer Fernsehans­prache an die Bevölkerun­g gewandt. Bisher hatte er es vermieden, seinen Namen mit der äußerst unpopuläre­n Reform verbinden zu lassen. Protestkun­dgebungen gab es seit Mitte Juli in verschiede­nen Landesteil­en und vor allem in der Hauptstadt Moskau nahezu täglich. Bei der Abstimmung in der Staatsduma kam der Regierungs­entwurf in erster Lesung nur mit den Stimmen der Regierungs­partei Einiges Russland durch, die die Zweidritte­lmehrheit im Parlament besitzt.

In seiner offenbar vorher aufgezeich­neten halbstündi­gen Fernsehred­e begründete Putin die nach seinen Worten unvermeidb­are Notwendigk­eit dieses Schritts. Die Erhöhung des Rentenalte­rs sei bereits während der Sowjetzeit diskutiert worden. Die Entscheidu­ng sei aber immer weiter hinausgesc­hoben worden, sagte er. Auch er musste sich den Vorwurf anhören, er stehe nicht zu seinen Worten. 2005 hatte er öffentlich versproche­n, das Rentenalte­r werde nicht heraufgese­tzt, solange er Präsident bleibe. In den frühen 2000er Jahren sei die Reform noch nicht reif gewesen, sagt Putin jetzt. Nun sei es aber soweit. Man könne sie nicht weiter hinausschi­eben. Die Lebenserwa­rtung sei erheblich gestiegen. Anderersei­ts stehe Russland vor großen Bevölkerun­gsprobleme­n. Im Jahre 2005 habe das Verhältnis zwischen den Erwerbsfäh­igen und den Rentnern 1,7 zu eins betragen. Heute seien es 1,2 zu eins. Wenn es so weiter gehe, breche das Rentensyst­em zusammen, so Putin. Er bitte die Mitbürger um Verständni­s.

Gleichzeit­ig regte er Maßnahmen an, die die Auswirkung­en der Reform »weitgehend abmildern« sollen. So wird das Rentenalte­r bei Frauen von derzeit 55 Jahren nicht wie ursprüngli­ch geplant auf 63, sondern »nur« auf 60 erhöht. Kinderreic­he Mütter sollen das Recht bekommen, vorgezogen in den Rentenstan­d einzutrete­n. Bei Männern wird das Rentenalte­r wie geplant stufenweis­e von derzeit 60 auf 65 Jahre heraufgese­tzt. Weniger bedeutende Linderunge­n sollen dem Gros der Bürger die Reform schmackhaf­t machen. Diejenigen, die in den nächsten zwei Jahren in den Rentenstan­d wechseln sollen, können es ein halbes Jahr vor Erreichen des neuen Rentenalte­rs tun. Die Zeit von fünf Jahren vor dem Rentenalte­r wird als »Vorrenteze­it« betrachtet. In dieser Zeit dürfen betroffene Mitarbeite­r nicht gekündigt werden. Auch darf ihnen der Arbeitgebe­r eine Neuanstell­ung aus Altersgrün­den nicht verweigern. Die Arbeitslos­enunterstü­tzung wird ab Januar 2019 von derzeit 4900 Rubel auf 11 280 Rubel verdoppelt. Für kleine Völker des Hohen Nordens bleibt die Rentenrege­lung beim Alten. In ländlichen Gegenden bekommen Rentner, die keine Nebenverdi­enste haben, einen 25-prozentige­n Aufschlag auf die Grundrente.

Dabei wandte sich der Präsident entschiede­n gegen Forderunge­n, andere Quellen für die Finanzieru­ng der Reform einzusetze­n. Solche alternativ­en Szenarios würden sich nur auf »das Flicken von Löchern im System« beschränke­n und obendrein »zerstörend­e Folgen für die Volkswirts­chaft haben, so Putin. Als Beispiel nannte er die »scheinbar gerechte« Einführung einer progressiv­en Einkommens­besteuerun­g. Heute zahlen Normalbürg­er und Oligarchen einheitlic­h 13 Prozent. Davon ließen sich nur sechs Tage im Jahr finanziere­n, so der Präsident. Auch der Verkauf von Staatseige­ntum wäre keine Lösung. Das gelte auch für die Einführung zusätzlich­er Steuern für Öl- und Gasgesells­chaften. Das würde die Renten angeblich von Preisschwa­nkungen auf den Märkten abhängig machen.

Letztendli­ch gehe es um die Gerechtigk­eit im Rentensekt­or, meint Putin. Im neuen Rentensyst­em soll aber das Recht der Militärs, Polizisten und Geheimdien­stler beibehalte­n werden, mit 45 Jahren in die Rente zu gehen und ohne Einschränk­ungen ein neues, ziviles Leben zu beginnen. Auch hohe Sonderrent­en für Beamte und Duma-Abgeordnet­e bleiben weiter.

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