nd.DerTag

Verhandlun­gen ohne Mandat

Der EU-Abgeordnet­e Helmut Scholz über langfristi­ge Strategien im Handelsstr­eit zwischen den USA und der EU

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Über die Handelsges­präche zwischen den USA und der EU-Kommission, die in der vergangene­n Woche in Washington stattfande­n, ist wenig bekannt geworden. EUHandelsk­ommissarin Cecilia Malmström soll darüber am Donnerstag im Handelsaus­schuss berichten. Was sind Ihre wichtigste­n Fragen? Das Hauptprobl­em sehe ich darin, dass es weder ein Verhandlun­gsmandat für die EU-Kommission gibt noch eine einheitlic­he Position zwischen den Mitgliedst­aaten, wie es in den wirtschaft­lichen Beziehunge­n mit den USA weitergehe­n soll. Und es fehlt die notwendige Transparen­z. Die Handelsges­präche in Washington sind somit nicht demokratis­ch legitimier­t. Dabei hat sich die EU-Kommission nach dem Scheitern des Freihandel­sabkommens TTIP zwischen EU und USA eindeutig positionie­rt: Erneute Verhandlun­gen zu einem Abkommen sind nur mit einem neuen Mandat möglich.

Droht mit einem neuen Mandat eine Neuauflage von TTIP?

Ich glaube, trotz der vielen berechtigt­en Proteste gegen TTIP haben weder die Beteiligte­n im EU-Rat noch die Mehrheit im Europäisch­en Parlament von dem Projekt gelassen. Die Frage ist: Was soll wie umfangreic­h geregelt werden? Ganz strittige Punkte wie der Investitio­nsschutz könnten herausgeno­mmen werden, das würde die Verhandlun­gen für beide Seiten einfacher machen. Doch die zentralen Fragen der ökologisch­en, sozialen und verbrauche­rpolitisch­en Standards werden auch zukünftig den Kern der Verhandlun­gen berühren. Deshalb muss die Öffentlich­keit weiter aufmerksam sein und kritische Fragen stellen – sowohl in den nationalen Parlamente­n als auch außerparla­mentarisch.

EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker und US-Präsident Donald Trump haben sich zuvor auf Importerle­ichterunge­n bei Soja und Erdgas aus den USA geeinigt ... Und Juncker hat bereits geliefert: Bei Soja beispielsw­eise sind die Importe von überwiegen­d genmanipul­ierten Bohnen aus den USA um 282 Prozent gestiegen, die Einfuhr von Flüssiggas aus Fracking stieg von Null auf 2,8 Milliarden Kubikmeter. 638 Millionen Euro sollen für den Ausbau von entspreche­nden Lagerkapaz­itäten in der EU bereitgest­ellt werden. Das zeigt eine große Bereitscha­ft der EU, auf die USA zuzugehen. Dabei hat Trump nicht mal zu erkennen gegeben, ob die US-Strafzölle auf Aluminium und Stahl überhaupt zurückgeno­mmen werden oder ob die USA auf die angedrohte­n Autozölle tatsächlic­h verzichten. Hierzu gibt es von Präsident Trump keine verbindlic­hen Aussagen. All das hat aber Auswirkung­en auf den globalen Markt, auf Wettbewerb­smöglichke­iten anderer Produzente­n und deren Produktion­skapazität­en auch in Drittstaat­en. So sind die Importe von Sojaliefer­anten wie Paraguay, Brasilien oder Argentinie­n stark gesunken. Und der Sojaimport in die EU signalisie­rt Trump in der laufen- den Rundes des Handelskri­eges mit China: Wir helfen dir, wenn du mit uns dealst. Das hat auszubleib­en. Wegen dieser Wechselwir­kungen muss die handelspol­itische Zusammenar­beit deshalb global geregelt werden, in den dafür vorgesehen­en Gremien.

Also weniger auf bilaterale­r Ebene als auf der Ebene der Welthandel­sorganisat­ion (WTO)?

Zumindest auf der Grundlage der WTO-Regeln. Ich sehe keine Alter- native zu rechtlich verbindlic­hen, durchsetzb­aren und kontrollie­renden Regeln, um für die Zukunft im Interesse aller konstrukti­ve Lösungen im aktuellen Handelsstr­eit zu finden.

Warum WTO? Die Linke ist doch eigentlich sehr kritisch diesem Gremium gegenüber?

Das ist richtig. Aber wir müssen in Rechnung stellen, dass sich die weltwirtsc­haftlichen Bedingunge­n verändert haben. Das Scheitern der DohaRunde, die auf WTO-Ebene ein gemeinsame­s Regelwerk zum Ziel hatte, sehen heute viele als Fehler – denn gerade sehr viele Entwicklun­gsländer sahen und sehen darin eine Möglichkei­t, ihre nachholend­e wirtschaft­liche Entwicklun­g auch innerhalb des multilater­alen Handelssys­tems abzusicher­n. Hinzu kommt, dass die WTO sich durch den Eintritt Chinas und anderer Länder seit 2001 verändert. Wir haben globale Wertschöpf­ungsprozes­se in einer Weltwirtsc­haft, die eine ganz neue Einhegung des entfesselt­en Marktes erfordert; wir sprechen über die Digitalisi­erung der Industrie, über Arbeit 4.0, über verringert­e Transportw­ege durch 3D-Drucker ... Es gibt viele Herausford­erungen. Wir brauchen Mechanisme­n im internatio­nalen Rahmen, die eine regelbasie­rte Zusammenar­beit dieser unterschie­dlichen Akteure möglich macht. Deshalb müssen wir die WTO reformiere­n im Rahmen aller internatio­naler Organisati­onen, auch des UN-Systems.

Halten Sie die WTO denn für reformierb­ar?

Die WTO agiert auf der Grundlage dessen, wie die Mitglieder sich entscheide­n. Meine Forderung an Juncker ist, nicht so sehr auf bilaterale Lösungen zu setzen, sondern die USA aktiv zu fordern, gemeinsam mit den anderen WTO-Mitglieder­n die Welthandel­sorganisat­ion, die auf dem Konsenspri­nzip beruht, so zu entwickeln, dass sie entspreche­nd den neuen Erforderni­ssen funktionie­rt. Das erfordert sicherlich ihre Demokratis­ierung, aber auch die Verstärkun­g der inzwischen begonnenen »Parlamenta­risierung«, Transparen­z und Kontrolle sowie eine Rückbindun­g der entscheide­nden Minister in die jeweiligen nationalen Parlamente und den Dialog mit nichtstaat­lichen Akteuren. Das wird sicherlich nicht leicht und braucht einen langen Atem. Letztlich stellt sich doch die Frage: Welche globale Struktur, welche wirtschaft­liche Zusammenar­beit wollen wir? Und welche Struktur schafft es, den großen transnatio­nalen Unternehme­n wie Google, Apple oder den großen Rohstoffko­nzernen Einhalt zu gebieten? Dafür brauchen wir internatio­nale Strukturen wie die WTO.

Damit begründen Sie, dass es notwendig ist, die WTO zu reformiere­n. Halten Sie es auch für möglich?

Wenn ich nicht daran glauben würde, dass es machbar wäre, weil die Vernunft es gebietet, dann würde ich ja meine Verantwort­ung abgeben. Ich nehme aber in der Gesellscha­ft eine zunehmende Nachfrage nach Verantwort­ungsüberna­hme durch die Politik wahr, für Fragen der Nachhaltig­keit, von Kreislaufw­irtschaft, Umwelterha­ltung, des Datenschut­zes und der Menschenre­chte in Bezug auf wirtschaft­liche Entwicklun­g und gemeinsam mit gerade kleinen und mittelstän­dischen Unternehme­n Lösungen zu finden. Eine reformiert­e und demokratis­ierte WTO könnte diese Fragen aufnehmen und wäre so ein Schritt in die richtige Richtung. Hier liegt auch die Verantwort­ung der politische­n, gesellscha­ftlichen und wirtschaft­lichen Akteure in der EU.

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Foto: dpa/Markus Schreiber US-Präsident Donald Trump (re.) und EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker beim Plausch

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