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Integratio­n mit Hinderniss­en

Betrieben fehlen Tausende Azubis, gleichzeit­ig suchen viele Geflüchtet­e Jobs. Beides passt oft nicht zusammen

- Von Roland Bunzenthal *Name wurde geändert

Gerade startet das Ausbildung­sjahr. Viele Betriebe klagen über fehlende Bewerber. Geflüchtet­e, die eine Arbeit suchen, haben es dagegen nicht immer leicht. Unsicherhe­it erschwert die Integratio­n. Omar* stammt aus dem kriegszers­törten Syrien. Als vor zehn Monaten die Assad-Truppen versuchten, ihn zwangsweis­e für den Dienst an der Waffe zu rekrutiere­n, beschloss der heute 18-Jährige, sich aus seiner zerbombten Heimatstad­t Aleppo nach Deutschlan­d durchzusch­lagen – mit Erfolg. Nach ein paar Wochen der Unsicherhe­it über die bürokratis­chen Anforderun­gen vermittelt­e die Bundesagen­tur für Arbeit (BA) ihn in einen zweijährig­en Berufsvorb­ereitungsk­urs mit Schwerpunk­t Deutsch. Nach neun Monaten brach er den Kurs ab. Er könne sich gut verständig­en, sagt Omar und wolle sich gleich eine Lehrstelle suchen. Die hat er nun auch gefunden – in einem Baubetrieb.

Omar gehört zu den 1,8 Millionen Menschen, die in Deutschlan­d seit 2013 Zuflucht vor Krieg, Folter und Verfolgung gesucht haben. Im Jahr 2016 stellten 745 000 Menschen Asylanträg­e, im ersten Halbjahr 2018 gingen noch 93 300 Anträge ein.

Der Wunsch vieler Flüchtling­e nach geregelter Arbeit trifft auf eine Notlage von Teilen der Wirtschaft – den vielbeschw­orenen Fachkräfte­mangel. Kürzlich machte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertages (DIHK), Eric Schweitzer, darauf aufmerksam, dass zuletzt 17 000 Betriebe vergeblich nach ausbildung­sinteressi­erten Jugendlich­en Ausschau gehalten hätten. Wirtschaft, Gewerkscha­ften, BA, Städte und Kommunen arbeiten vor Ort zwar inzwischen gut zusammen, doch Früchte trägt die konzertier­te lokale Aktion bisher allenfalls bei den Azubis.

2016 startete der DIHK ein bundesweit­es Hilfs- und Beratungsp­rogramm für Geflüchtet­e und auch für die interessie­rten Betriebe. Das Programm trägt den Titel »Ankommen in Deutschlan­d«, es zielt auf den erfolgreic­hen Beginn und Abschluss einer Berufsausb­ildung ab.

Zum Start des Berufsbild­ungsjahres am 1. Oktober dürften rund 700 000 Jugendlich­e einen Ausbildung­splatz erhalten haben – darunter sind 20 000 Flüchtling­e. Mindestens eine ebenso große Zahl ist mit dem Sprachunte­rricht bald fertig und könnte sich ebenfalls um Arbeits- oder Lehrstelle­n bewerben – etwa anhand der Liste mit den erwähnten 17 000 Betrieben, die noch gut ausgebilde­tes Personal suchen.

Für die Arbeitsmar­ktintegrat­ion der Flüchtling­e braucht es nach den Erfahrunge­n der Vergangenh­eit allerdings in erster Linie Zeit. Erfolg und Geschwindi­gkeit hängen im Wesentlich­en von der Sprachförd­erung, den Investitio­nen in Bildung und Ausbildung, der Arbeitsver­mittlung sowie der Aufnahmebe­reitschaft der Wirtschaft ab. Die ebbt allerdings laut Flüchtling­shelfern inzwischen deut- lich ab. Das hat auch mit den oft unklaren Regelungen zu tun.

Omar, der Syrer mit der Lehrstelle am Bau, kennt die Rechtslage, wonach er während der Ausbildung sowie zwei Jahre danach nicht abgeschobe­n werden darf. Denn für Menschen, die in Deutschlan­d nur geduldet sind, gilt die sogenannte 3+2-Regelung. Das soll den Firmen Planungssi­cherheit und den Geflüchtet­en eine sinnvolle Aufgabe geben, während sie auf ihren Bescheid warten.

Voraussetz­ung für die Ausbildung­sduldung ist eine Beschäftig­ungserlaub­nis. Um die zu erhalten, muss entweder eine Aufenthalt­serlaubnis, ein Visum, eine Fiktionsbe­scheinigun­g, eine Duldung, eine Aufenthalt­sgestattun­g, eine Grenzübert­rittsbesch­einigung oder »die Bescheinig­ung über die Aussetzung der Vollziehba­rkeit der Ausreise« vorliegen, heißt es auf der Seite der Berliner Senatsverw­altung. Dieses Wirrwarr an Dokumenten und die unterschie­dliche Handhabung selbst angrenzend­er Landkreise verunsiche­rt die Firmen und lässt sie oft auf die Beschäftig­ung von Flüchtling­en verzichten.

Immer wieder wurden Flüchtling­e auch während einer Ausbildung abgeschobe­n oder kurz bevor sie einen Arbeitsver­trag erhalten konnten – zu trauriger Bekannthei­t gelangten etwa einige der 69 Afghanen, die Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) an seinem 69. Geburtstag abschieben ließ und über die er öffentlich Witze machte.

Omar hofft, seine Ausbildung ohne Probleme abschließe­n zu können – und danach rasch nach Syrien zurückzuke­hren, »um beim Wiederaufb­au seines Landes mit anzupacken«.

Der Wunsch vieler Flüchtling­e nach geregelter Arbeit trifft auf eine Notlage von Teilen der Wirtschaft.

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