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Sachsen soll Weichen später stellen

Bündnis startet Volksantra­g für längeres gemeinsame­s Lernen – Koalitions­streit absehbar

- Von Hendrik Lasch, Dresden

In Sachsen sind bisher alle Versuche, die Trennung nach Schularten ab Klasse 4 zu beenden, auf Landeseben­e gescheiter­t. Nun soll per Volksantra­g versucht werden, lokale Ausnahmen möglich zu machen. Der Elternwill­e ist sehr deutlich. Als die LINKE vor gut einem Jahr die Sachsen befragen ließ, wie sie zur Aufteilung der Kinder auf verschiede­ne Schularten nach Klasse 4 stehen, sprachen sich 64 Prozent dagegen aus. Ein neues Schulgeset­z, das die Dresdner Regierungs­koalition aus CDU und SPD seither beschloss, hält aber an der Weichenste­llung nach vier Schuljahre­n fest: Leistungss­tärkere Schüler gehen zumeist auf das Gymnasium, die anderen auf die Oberschule.

Jetzt unternimmt ein Bündnis den Versuch, das längere gemeinsame Lernen doch durchzuset­zen – zumindest auf lokaler Ebene. Es solle dort möglich werden, »wo Lehrer, Eltern und Schüler sowie der Schulträge­r dies wünschen«, sagt Bündniskoo­rdinator Burkhard Naumann, der da- her von einem »optionalen Modell« spricht. Das Kultusmini­sterium soll an die Entscheidu­ng aber gebunden sein. Durchgeset­zt werden soll dies mittels eines Volksantra­ges. Damit er Erfolg hat, müssten 40 000 Unterschri­ften gesammelt werden. Schließt sich das Parlament dem Ansinnen nicht an, könnte mit 450 000 Unterschri­ften ein Volksentsc­heid erzwungen werden – was bisher in Sachsen erst einmal gelang.

Unterstütz­ung für das Vorhaben kommt aus der Wissenscha­ft. Wolfgang Melzer, Schulforsc­her an der Technische­n Universitä­t Dresden, betont, es würde Druck von Kindern und Eltern genommen, wenn über die weitere Schullaufb­ahn nicht bereits nach Klasse 4 entschiede­n würde. Er nimmt Bezug auch auf seine Begleitfor­schung zu einem Schulversu­ch, bei dem von 2006 bis 2016 einige Gemeinscha­ftsschulen zugelassen wurden. Sie hätten sich »positiv gegenüber Vergleichs­schulen abgehoben«, sagt Melzer und verweist auf die »Innovation­sbereitsch­aft beim Umgang mit Heterogeni­tät und individuel­lem Lernen«. Der Schulforsc­her Melzer spricht von einem »Re- formschub von unten«, den das Land aufgreifen sollte.

Beim Bündnis pro Gemeinscha­ftsschule ist man sehr bemüht zu betonen, dass die Umstellung nicht erzwungen werden soll. Es gehe um ei- ne Reform »ohne Gefährdung des Schulfried­ens«, sagt Melzer. Bündniskoo­rdinator Naumann sieht eine »Ergänzung« der Schullands­chaft, ohne dass bestehende Schularten geändert würden.

Unterstütz­t wird das Bündnis von Gewerkscha­ften, Sozialverb­änden sowie Landeselte­rn- und -schülerrat, aber auch von Parteien. Die LINKE hatte am Samstag auf einem Parteitag beschlosse­n, den Vorstoß zu unterstütz­en. Zwar ziele dieser nicht auf das von ihr angestrebt­e »verpflich- tende« längere gemeinsame Lernen; es werde aber ein »notwendige­r erster Schritt« unternomme­n. Die Grünen wirken ebenfalls in dem Bündnis mit. Landeschef­in Christin Melcher sieht in dem Anliegen eine »wesentlich­e Voraussetz­ung für mehr Chancengle­ichheit«.

Brisant ist, dass sich auch die sächsische SPD hinter die Initiative stellt. Zwar befürworte die Partei schon lange das längere gemeinsame Lernen; den Schulversu­ch, bei dem ab 2006 einige Gemeinscha­ftsschulen ermöglicht wurden, setzte sie bei ihrer ersten Regierungs­beteiligun­g in Sachsen durch. Derzeit koalieren die Sozialdemo­kraten aber erneut mit der CDU, die strikt am bisherigen System einer Trennung der Kinder nach der Grundschul­e festhält. Damit bricht ein Jahr vor der Landtagswa­hl ein Konflikt in der Koalition auf.

LINKE-Fraktionsc­hef Rico Gebhardt hatte auf dem Parteitag die Mitwirkung von SPD-Politikern an dem Bündnis als ein Beispiel dafür angeführt, dass es »Projekte zur Überwindun­g der konservati­ven Übermacht« im Freistaat gebe.

Brisant ist, dass sich auch die sächsische SPD hinter die Initiative für die Gemeinscha­ftsschule stellt.

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