nd.DerTag

Der vergoldete Holzhammer

So einfach wie drastisch reflektier­t die Wiesbadene­r Kunstaktio­n mit der Erdogan-Statue die mentale Lage der Nation

- Von Velten Schäfer

Aber gewiss doch: »Kunst« sind nicht nur formal-ästhetisch irgendwie gelungene Bilder und Objekte, sondern auch solche, die das Handeln der Menschen einbeziehe­n, indem sie etwa heftige Reaktionen hervorrufe­n. Allerdings muss man wohl zugestehen, dass dieses Prinzip der »sozialen Plastik« etliche Jahrzehnte nach seiner einst so wild klingenden Ausrufung durch Joseph Beuys mittlerwei­le auch schon etwas ausgelatsc­ht ist.

In einer längst an Fett und Filz gestählten Kunstwelt, der unter anderem die schon 1917 vorgenomme­ne Platzierun­g eines handelsübl­ichen Urinals in einer Galerie als »Schlüsselw­erk« gilt, fällt es doch langsam schwer, einen lebendigen MenschDing-Dialog zu inszeniere­n. Und wer jüngst die Kunstsatir­e »The Square« gesehen hat, in der ein weißes Quadrat als symbolisch­es Refugium für Vertrauen, Fürsorge, Rechte und Pflichten den Sozialstaa­tsdiskurs moderieren soll, wagt neuerdings bei mancher Gelegenhei­t vielleicht gar die nicht minder klassisch mit Beuys’ Werk verbundene Banausen-No-GoFrage – wenn auch selbstrede­nd hinter vorgehalte­ner Hand: Ist das nun Kunst oder kann das weg?

Manchmal allerdings funktionie­rt das Ding mit der »sozialen Plastik« noch immer ganz hervorrage­nd: Man muss nur derb genug auf den Putz hauen. Ein inzwischen 25 Jahre altes Beispiel hierfür dreht sich, nachts angestrahl­t, auf dem alten Pegelhäusc­hen des Konstanzer Bodenseeha­fens: Die Statue der mittelalte­rlichen Prostituie­rten »Imperia«, die den unbändigen Stolz der heute provinziel­len Stadt auf ihre Weltgeltun­g während des Kirchenkon­zils von 1414 bis 1418 karikiert, besticht zwar auch durch ihre augenzwink­ernd figürliche Ausführung. Doch wäre ihr Schöpfer Peter Lenk der Letzte, der bestritte, dass die »Kunst« an dem Neunmeterk­oloss eigentlich in der Aufregung besteht, die sie zeitgenöss­isch bis ins erzbischöf­liche Amt zu Freiburg auslöste – und heute in der Illustrati­on des unendliche­n Oppor-

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