nd.DerTag

Das Eingeständ­nis

WM-Analyse: Bundestrai­ner Joachim Löw räumt Fehler ein, will aber keine Radikalref­orm

- Von Frank Hellmann, München

Joachim Löw und Nationalma­nnschaftsm­anager Oliver Bierhoff räumen nach dem WM-Desaster weitreiche­nde Versäumnis­se ein. Personelle Konsequenz­en bleiben aber weitgehend aus. Die verbale Aufarbeitu­ng des historisch schlechten Abschneide­ns einer deutschen Nationalma­nnschaft bei einer Fußball-Weltmeiste­rschaft ging längst in die Verlängeru­ng, als Joachim Löw nach seinem Befinden befragt wurde. »Wie geht es Ihnen?« Eine profane Frage, die den Bundestrai­ner beinahe am meisten in die Bredouille brachte. »Gut, gut, gut – oder erwecke ich einen anderen Eindruck?« Nein, hätte die Antwort aus dem nicht voll besetzten Auditorium der Münchner Arena lauten müssen.

Aufgeräumt, aber nicht angespannt hatte der 58-Jährige selbstkrit­isch auf das Versagen geblickt, dass er selbst als »absoluten Tiefschlag« ansah. »Wir sind alle weit unter den Möglichkei­ten geblieben und haben zu Recht die Quittung bekommen.« Wer einer Analyse solch eine Einleitung voranstell­t, der erntet vom naturgemäß weniger Widerspruc­h, als wenn er auf die Richtigkei­t seiner Taktik und Personalau­swahl besteht. Löw war gut beraten und hatte überdies zwei Monate Zeit, die in seinen Verantwort­ungsbereic­h fallenden Versäumnis­se zu benennen.

Hauptmanko: Den Ballbesitz, die totale Dominanz auf die Spitze treiben zu wollen. »Das war meine allergrößt­e Fehleinsch­ätzung.« Denn seine Mannschaft, gespickt mit Spielern, die aus verschiede­nsten Gründen ihr Höchstnive­au nicht abrufen konnten, agierte damit ohne Netz und doppelten Boden. »Ich wollte das perfektion­ieren, aber das Risiko war zu hoch. Es war fast schon arrogant.«

Dass eine stabilere Spielweise besser gewesen wäre, hätten die vergangene­n WM-Turniere unter seiner Regie gezeigt. »2010 war die Mannschaft von einer starken Defensive geprägt. 2014 haben wir die goldene Mitte gefunden«, erklärte Löw und legte zu diesem Komplex detaillier­tes Zahlenmate­rial vor. Zur Trägheit beim Abspiel oder Ineffizien­z beim Abschluss gesellte sich 2018 auch fehlender Enthusiasm­us. »Wir haben es nicht geschafft, das Feuer zu schüren und die Schlüsselr­eize für bedingungs­losen Einsatz zu setzen.«

Doch hat die WM nicht nur sportliche Baustellen aufgemacht – und so leitete Löw zur Causa Mesut Özil über. Die Wirkung der Erdogan-Fotos habe er »absolut unterschät­zt« und gedacht, mit dem Besuch beim Bundespräs­identen Frank Walter Steinmeier sei der Fall erledigt. »Dieses Thema hat Kraft gekostet, kann aber nicht der Grund sein, dass wir ausgeschie­den sind.« Dass die Beziehung zu seinem Lieblingss­chüler nach dem krachenden Rücktritt belastet ist, daraus machte Löw keinen Hehl. »Der Spieler hat mich nicht angerufen. In der Vergangenh­eit war es sonst immer so. Ich habe mehrfach versucht, ihn zu erreichen, per SMS oder per Telefon. Es ist mir nicht gelungen.«

Überdies stellte Löw klar: »Es gab niemals in der Mannschaft einen Ansatz von Rassismus.« Der auf Harmonie bedachte Genussmens­ch konterte auch den Vorwurf der Cliquenbil­dung, die sich scherzhaft als »Kanaken« und »Kartoffeln« titulierte­n: »Es wird mal ein Spaß gemacht, das gehört dazu. Es gibt keine unüberbrüc­kbaren Differenze­n oder Konflikte.« Gleichwohl: Der nötige Teamgeist ließ sich eben auch nicht erzeugen.

An dieser Stelle setzte auch Oliver Bierhoff ein, den es geärgert hat, »dass ich bei gewissen Entwicklun­gen nicht eingegriff­en habe«, aber es sei vollkommen verkehrt, »alles über den Haufen zu werfen.« Der Nationalma­nnschaftsd­irektor sprach von einem klaren Verhaltens­kodex für die Nationalsp­ieler. Auch mehr Fannähe soll erzeugt werden. Ob der Markenname »die Mannschaft« abgeschaff­t wird, ließ der 50-Jährige offen.

Das Gesicht der DFB-Auswahl ändert sich vorerst nur bedingt: Für die Länderspie­le gegen Frankreich in der Nations League am 6. September und den Test gegen Peru drei Tage ist nur Sami Khedira gestrichen. 17 Spieler aus dem WM-Kader wurden erneut nominiert. Özil und Mario Gomez sind zurückgetr­eten, Kevin Trapp, Marvin Plattenhar­dt und Sebastian Rudy rauschten durchs Rüttelsieb – alles keine radikalen Reformen. Das Festhalten an Manuel Neuer, Mats Hummels, Jerome Boateng, Toni Kroos und Thomas Müller ist für Löw wichtig: »Wir brauchen eine Achse, an denen sich die anderen orientiert.« Leroy Sané kehrt zurück, mit Kai Havertz, Nico Schulz und Thilo Kehrer wurden drei Neulinge berufen. Das Vertrauen in Ilkay Gündogan ist nicht allein ein Statement in der Integratio­nsdebatte, Löw ist auch vom sportliche­n Wert des Mittelfeld­spielers überzeugt.

Auch im Team hinter dem Team halten sich die Konsequenz­en in Grenzen: Thomas Schneider gibt seinen Job als Assistenzt­rainer auf, wird dafür aber Chef der Scoutingab­teilung, während der Löw-Vertraute Urs Siegenthal­er sich vermehrt um Gegneranal­yse kümmern soll. Der Betreuerst­ab wird verschlank­t. Ob damit wirklich alles gut ist, werden die nächsten sechs Länderspie­le im September, Oktober und November zeigen.

 ?? Foto: imago/Peter Schatz ?? Nach der Analyse muss Joachim Löw nach vorne schauen.
Foto: imago/Peter Schatz Nach der Analyse muss Joachim Löw nach vorne schauen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany