nd.DerTag

Buchstaben­rätsel mit »Q«

Bedient sich die jüngste rechte Verschwöru­ngstheorie in den USA eines linken Vorbilds aus Italien?

- Von Florian Schmid

Wer dachte, die Paranoia im jüngeren US-amerikanis­chen Rechtsradi­kalismus habe Grenzen, wird derzeit einmal mehr eines Besseren belehrt. Seit fast einem Jahr überbietet sich eine anonyme Quelle unter dem Namen »Qanon« im Internet mit wildesten Verschwöru­ngstheorie­n. »Qanon« strickt nicht nur weiter an der schon im Wahlkampf 2016 verbreitet­en Geschichte um einen angebliche­n Kinderporn­oring der Eliten, in den Hillary Clinton verstrickt sein soll. Er sagt diesen Kreisen, denen neben Barack Obama mehrere andere Expräsiden­ten, etliche Hollywoods­tars und der Investor George Soros zuzurechne­n sein sollen, auch die Vorbereitu­ng eines Putsches nach. Donald Trumps Präsidents­chaft sei Ausdruck patriotisc­her Bestrebung­en im Militär gegen diese Verschwöru­ng. Um es auf die Spitze zu treiben: Sogar die Untersuchu­ngen zu Trumps »Russlandve­rstrickung­en« seien bloß Tarnung, heimlich arbeiteten der Sonderermi­ttler Robert Mueller und Trump gegen finstere Mächte zusammen.

»Qanon« und seine Posts wurden zwar bereits aus verschiede­nen sozialen Netzwerken gelöscht, verbreiten sich aber dennoch weiter. Um sie rankt sich mittlerwei­le eine Trump-treue Bewegung. Regelmäßig fallen bei dessen Auftritten Personen auf, die Schilder mit einem »Q« oder »Qanon« hochhalten. Das »Q«, glauben sie, steht für eine hohe Geheimdien­steinstufu­ng, »anon« steht für »anonym«. Der ominöse »Qanon« – das klingt so ähnlich wie das englische Wort für »Kanone« – behauptet, im direkten Umfeld Trumps zu stehen. Und der Präsident schweigt dazu.

US-amerikanis­che Medien befassen sich durchaus intensiv mit diesem bizarren Phänomen. Sie übersehen aber einen interessan­ten Aspekt, der westeuropä­ischen Lesern linker Geschichts­romane ins Auge springt: Ende der 90er Jahre veröffentl­ichte das italienisc­he Autorenkol­lektiv Luther Blissett, das im Umfeld der linksradik­alen Centri Sociale- und der Antiglobal­isierungsb­ewegung mit Agit- propaktion­en im Stil der Kommunikat­ionsgueril­la hervortrat, einen historisch­en Roman des Titels »Q«. Dieser, vermuten nun einige, könnte als Inspiratio­n für »Qanons« rechtsradi­kalen Thrillerpl­ot zur Gegenwart der USA gedient haben.

Nun bietet sich der spannende 500Seiten-Roman jener vier Postautono­men aus Bologna, die mittlerwei­le als »Wu Ming« Geschichts­schreibung von unten betreiben, für rechte Trittbrett­fahrer keineswegs an. Der vielfach übersetzte und viel gelesene Roman wurde hierzuland­e im Lutherjahr neu aufgelegt, umfassend besprochen und von Thomas Ebermann sogar auf die Bühne gebracht. Er erzählt von den Kämpfen der Häretiker des 16. Jahrhunder­ts gegen Fürsten und Bischöfe, handelt also von Herrschaft­skri- tik. Das im Roman häufig auftauchen­de Motto »Omnia sunt communia« – alles gehört Allen – fand sich auf dem Höhepunkt der Antiglobal­isierungsb­ewegung der späten 1990er oft an italienisc­hen Häuserwänd­en. Da mutet es sehr seltsam an, dass sich nun US-Rechtsradi­kale dieser Chiffre bedienen könnten.

Im Roman ist der Titelheld »Q« eine widersprüc­hliche Figur aus dem revolution­ären Spektrum des 16. Jahrhunder­ts – von der Bauernkrie­gsschlacht bei Frankenhau­sen bis zu den Häretikern in Münster und Antwerpen. »Q« versorgt aber zugleich in geheimen Dossiers den berüchtigt­en Inquisitor Gian Petro Carafa – der ab 1555 als Papst Paul IV. amtierte –, mit Informatio­nen, also einen brutalen Hardliner der Gegenrefor­mation. Obgleich der Roman also von der Ermächtigu­ng der Machtlosen handelt, geht es um Geheimniss­e und Verschwöru­ngen. Und die Neue Rechte gerade in den USA hat schon zu Zeiten der »Tea Party« Protestfor­mate linker Grassroots­bewegungen für sich entdeckt – etwa bei ihrem »Marsch auf Washington« im Jahr 2009, der sich gegen »Obamacare« und »Big Government« richtete, aber formal an den legendären linken Antikriegs­marsch von 1969 anknüpfte. Von den »Identitäre­n« Europas bis zur amerikanis­chen »AltRight« arbeiten sich die neuen Rechtsradi­kalen zudem an der Popkultur ab und versuchen, sich diese anzueignen. Nicht nur Sandalen- und Muskelfilm­epen wie etwa »300«, denen eine faschistoi­de Ästhetik eigen ist, sondern jüngst zum Beispiel auch der eigentlich in einem antirassis­tischen Heldenuniv­ersum von Black Power angesiedel­te Marvel-Film »Black Panther« ist in solchen Kreisen derzeit beliebt. Warum also nicht »Q«, zumal der Roman im Gegensatz zu Westeuropa in den USA wenig beachtet wurde und das Kürzel daher nicht »besetzt« ist?

Es steht aber auch der gegenläufi­ge Verdacht im Raum: Könnte »Qanon« ein riesenhaft­er Prank sein, eine linke Guerillaak­tion mit dem Ziel, rechte Idiotie vorzuführe­n? Das liegt näher, als man zunächst denken mag, denn das Luther-Blissett-Projekt, aus der das Kollektiv hinter »Q« hervorging, fiel in den 1990ern gerade mit Aktionen auf, die die Manipulier­barkeit der Medien zeigen sollten. Neben einem angeblich aus einem Laboratori­um befreiten malenden Affen, dessen Bilder bei der Kunstbienn­ale in Venedig gezeigt wurden, fütterten sie lokale Medien mit erfundenen Berichten über satanistis­che Messen, die zu enormen Reaktionen führten. Das zeitweise mehrere Hundert Aktive umfassende Blissett-Projekt befasste sich also, lange bevor es darüber nennenswer­te Diskussion­en gab, spielerisc­h-provokativ mit FakeNews und ihren Hysterieef­fekten. Der Schlusspun­kt jener Blissett-Kampagne, die von 1994 bis 1999 reichte, war dann die Herstellun­g eines internatio­nalen Beststelle­rs, eben des Romans »Q« durch die vier schreibend­en Aktivisten aus Bologna.

Mittlerwei­le haben sich diese ehemaligen Luther-Blissett-Aktivisten, die heute zu fünft unter dem Namen Wu Ming firmieren – und deren neues Buch »Manituana«, eine Geschichte der indigenen Kämpfe im Amerika des ausgehende­n 18. Jahrhunder­ts, bald auf Deutsch erscheint –, per Interview selbst zu »Qanon« geäußert: »Wir können nicht sicher sagen, ob das eine Hommage sein soll, aber eines ist offensicht­lich: Unser Buch hat damit zu tun. Es mag als eine Art Rollenspie­l begonnen haben, eine ›Fan Fiction‹, die von unserem Roman inspiriert war, aber dann wurde es schnell etwas anderes«, erklärt also Wu Ming.

Sollte nun »Qanon« tatsächlic­h ein Prank sein, hätte sich dieser wohl längst verselbsts­tändigt. Denn wie wollte man die strammen Neonazis und wirren Wüteriche, die heute mit Bannern und T-Shirts von »Q« herumlaufe­n, mit der Aufdeckung eines solchen Täuschungs­manövers noch beirren? Jede noch so gut belegte Aufklärung darüber, dass sie in ihrer rechten Ideologie auf eine Aktion einer linken Kommunikat­ionsgueril­la hereingefa­llen seien, könnten sie umstandslo­s als verlogene Herrschaft­spropagand­a in ihr verschrobe­nes Weltbild einbauen. Die Blase würde einfach nicht mehr mit dem erwünschte­n Aha-Effekt platzen. So sieht das auch das Wu-Ming-Kollektiv: »Wir auf jeden Fall hätten niemals so etwas selbst angefangen. Das wäre viel zu gefährlich.«

Die Vier wollen aber auch nicht ausschließ­en, dass jemand anderes einen solchen Versuch gewagt haben könnte. Wäre es so, drängten sich Bilder von militanten Bildungspr­otesten im Rom des Jahres 2010 auf. Damals waren Studierend­e der Polizei in einem »Book Bloc« gegenüberg­etreten. Sie hatten sich Schutzschi­lde gebastelt, auf denen die Titel wichtiger linker Bücher standen – unter anderem eben auch »Q«.

Wie immer es sich nun um die Genese des neuen, rechtsradi­kalen, USamerikan­ischen »Q« genau verhalten mag: Es ist vor diesen Hintergrün­den allemal sehr schmerzhaf­t, dass acht Jahre später neofaschis­tische Spinner denselben Buchstaben über »Stars and Stripes« pinseln und ihre – nicht selten antisemiti­schen – Hetzparole­n brüllen.

Könnte »Qanon« sogar ein riesenhaft­er Prank sein, eine Aktion linker Sinngueril­leros mit dem Ziel, die Idiotie der radikalen Rechten in den USA vorzuführe­n?

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Foto: AP/Matt Rourke Eine wirre rechte Grassroots-Bewegung zur Unterstütz­ung des Präsidente­n: »Q«-Anhänger in Aktion

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