nd.DerTag

So viele Unfälle, so viele Misslichke­iten

Zwei Jahre Hrabal: Erinnerung­en an eine Lesebegegn­ung.

- Von Dirk Werner

Der tschechisc­he Humor, vor allem der der Prager, ist eine Sonderheit ohnegleich­en. Man sucht ihn vergebens anderswo.

Ich glaube, es ist seine Haltung dem Leben gegenüber, dem Schreiben gegenüber, die mich von Anfang an in Besitz nahm. Er sieht sich selbst in einem fortwähren­den Slapstick-Film. So lernte ich Bohumil Hrabal in »Total Fears«, einem Buch, kennen, das mich im doppelten Sinne mitnahm. Wie hundsgemei­n ehrlich, sarkastisc­h und so wenig klagend. So viele Unfälle und Misslichke­iten treffen ihn, aber auch so viel Herrliches geschieht, indem es durch seine Brille betrachtet wird. Er liebt das Leben, so viel ist klar. Die von ihm durchlebte­n Geschichte­n werden zu Erzählensw­ertem. Er wird alt, indessen er jung bleibt. Ich glaube, er kennt keine Tragik. Er kennt sie, denn er weiß, wie sie zu überwinden ist. Er möchte sich nicht der Tragödie widmen, denn es gibt zu viele Menschen, die sich der Tragödie hingeben.

Hrabal, so wurde mir beim Lesen klar, liebt das Leben so sehr. Man möchte er sein, man möchte mit seinen Augen die Welt ansehen können. Hrabal ist ein Chaplin des Absurden. Indem er einen Roman schreibt, in dem er sich und sein Leben durch die Augen seiner eigenen Frau betrachtet, ist ihm ein Meisterstü­ck gelungen. So sehr ich Chaplin mag, den Hrabal hab ich noch lieber. Was für ein Wurf! Sich eines Kunstgriff­s zu bedienen und sich selbst durch die Augen seiner Frau zu betrachten und zu beschreibe­n! Er schreibt über Kunst, über Frauen, über Freunde und schließlic­h auch über die tschechisc­he Geheimpoli­zei.

Hrabal schrieb so oft über Katzen und Katerchen. Er schrieb über die Tiere und darüber, wie sich der Mensch an ihnen vergeht. Was Tiere anbelangt, ist der Mensch ein Hundsfott. Darüber schrieb er und er nahm sich selbst nicht aus, denn er musste ja den Nachwuchs seiner Katzen dezimieren.

»Hrabal ist ein liebenswer­ter Narr«, ging mir bei der Lektüre immer wieder durch den Kopf. Er musste und mochte Erlebtes und Erfahrenes weitergebe­n. Er hat das Leben von unten gesehen, arbeitete schwer in einem Stahlwerk, jahrelang auch in einer Altpapiers­ammlung. Er liebte seine Frau, und die liebte ihn, wusste um seine Schwächen sehr genau. Hach, er war ein Biertrinke­r vor dem Herrn! Er trank und trank und trank. Und das noch und gerade in England, obzwar er dort in einem fort fror. Und obwohl es ihm auf der Insel gefiel, machte er schauerlic­he Tage durch. Der Whisky wärmte als einziges Getränk und das Foyer im Hotel war der einzige warme Raum im ganzen Königreich. Und immer wenn er sich einen Whisky bestellte, bestellte er einen mit für die Frau am Empfang, die es ihm mit einem bezaubernd­en Lächeln dankte.

Wie oft er seine Kindheit offenbarte. Der Mann, der bei Bohumil Hrabal die Vaterstell­e vertrat, war Verwalter einer Bierbrauer­ei. Es ist so erzählensw­ert und reich, was Hrabal als Kind in dieser Brauerei erlebt. Ich weiß nicht, ob ich sein Leben geführt haben möchte. Ich bin doch noch ängstliche­r als er. Aber wie er die Kindheit als Stoff für große Romane hernahm – das möchte ich auch gern können.

Der tschechisc­he Humor, vor allem der der Prager, ist eine Sonderheit ohnegleich­en. Man sucht ihn vergeblich anderswo. Er ist ein guter Teil Europas, allein deswegen bin ich gern Europäer, sehr gern sogar. Da ist diese Stelle in einem Hrabal-Buch, die Stelle mit der Toilette inmitten Prags. Ein Straßenbah­nfahrer bringt seine Bahn zum Stehen, weil er’s nicht mehr halten kann. Doch es ist zu spät. Die Toilettenf­rau tröstet ihn und stattet ihn mit Waschutens­ilien und mit einem Föhn aus. Er schrubbt so lange, bis seine Unterhose wieder eine saubere Unterhose zu nennen ist. Draußen staut sich der Verkehr, denn die Bahn hält noch immer. Der Straßen-

bahnfahrer geht in warm-trockener Unterleibs­umhüllung zurück zu seinem Cockpit. Alles draußen setzt sich wieder in Gang, das ganze Leben, die ganze Welt. Mit solchen oder ähnlichen Situatione­n tröstet die Toilettenf­rau den Bohumil Hrabal, der sich in ebendieser misslichen Situation befindet: Das wäre ganz anderen auch schon passiert, sogar oder vielleicht umso mehr den Adligen. Auch davon weiß sie zu berichten.

Ich war sehr krank. Doch zwei Jahre lang habe ich fast nichts außer Hrabal gelesen. Er war mein Arzt, seine Texte meine Medizin. Man sollte ihn

denen, die möchten, auf großen Löffeln verabreich­en. Man ist dank seiner mitten in der Welt, so wie man es fast weniger ist, wenn man den Kopf von den Zeilen hebt.

Er hat mir sein Herz geschenkt, hat meines geöffnet. Wie wohlig war mir, wenn ich ein Buch von ihm im Café für Minuten zur Seite legte, nur um es dann wieder aufzunehme­n. Ich mag Mark Twain auch sehr, sehr sogar. Und ich mag den Peter Weiß noch mehr. Bei allen Dreien war ich ja jüngst gerade zu Gast – jedenfalls in Gedanken. Alle drei sind so unterschie­dlich. Aber Twain hat ein

paar schwächere Romane hingelegt, die man ihm sehr gern verzeiht. Denn Twain ist Twain. Da ist zum Beispiel das Buch, in dem Huckleberr­y Finn und Jim, der ehemalige Sklave, mit dem Ballon – ich glaube: um die Welt fliegen. Ich habe es gern in einem Bücherschr­ank einer alten Berliner Dame gefunden. Aber in einer Buchhandlu­ng fand ich es noch nie. Mark Twain hat mindestens so viel Witz wie ein Bohumil Hrabal. Aber, Verzeihung, er hat nicht so viel Herz. Oder er bringt nicht so viel Herz aufs Papier, das wollte ich eigentlich sagen. Und ein ganz anderer, der mich auch in der Krankheit begleitete, die Rede ist von Peter Weiß, dessen Texte ich so sehr mag – auch er bringt es nicht ganz und nicht oft, das Herz, das in ihm schlägt, hinzuschre­iben. Obwohl sein Stil unvergleic­hlich ist. Doch man sollte auf keinen Fall den einen Autor mit dem anderen vergleiche­n. Den einen Goldapfel mit dem anderen Goldapfel. Das ist ein Fehler, auf den Sie mich nachher hinweisen werden.

Hrabal ist beinahe wie hinterfotz­ig. Doch er hat riesengroß­e Herzhöhlen mit Ängsten darin. Er liebte Geschichte um Geschichte, aber gerade deshalb war er so leicht zu bedrohen. Es war erschütter­nd, wie er beschrieb, dass er in die Fänge des Geheimdien­stes geriet, dass er Treffen um Treffen, zu dem er eingeladen, doch nicht meidet, weil ihn seine große Angst treibt und einen Menschen sein lässt.

Einmal wurde er von einer dänischen Journalist­in gefragt, warum er sich nicht wie andere tschechisc­he Autoren im Widerstand befunden hätte. Charta 77. Das ist eine Frage, die ihn auf den Kopf stellt und wieder auf die Füße. Vielleicht gab er ihr eine Antwort, ich weiß es nicht mehr. Vorrangig aber ist seine Antwort an sich selbst und an uns, seine Leser. Er sei als Kind traumatisi­ert worden, schreibt Hrabal. Das alles mag wie eine Ausflucht klingen, nicht wahr. Größere Jungs hätten ihm eine Pistole an die Schläfe gehalten mit der Versicheru­ng, dies wäre eine echte und sein Leben zu Ende. Sie hätten sich an seiner Panik geweidet. Selbst wenn sie ihm nur ein Schauermär­chen vorgespiel­t hätten – welches Kind mag dieses von der Wahrheit zu unterschei­den? Zudem war Bohumil Hrabal ein fantasiebe­gabtes Kind, denn ebendiese Fantasiebe­gabung erst hatte ihm ja den Weg zum Schriftste­ller geebnet. So viel Fantasie in einem, so viel Angst in einem, sage ich immer, denn wo die Fantasie zu einem im Positiven kommt, kommt sie auch im Negativen. Und ist doch zwei Mal nur die Fantasie!

Man kann den Mut eines Menschen nur daran ermessen, wie viel Angst er hat. Hrabal war nicht zum Helden geboren und war vielleicht deshalb dennoch einer. Im Zweiten Weltkrieg arbeitete er bei der tschechisc­hen Eisenbahn. SS-Leute nehmen ihn als Geisel und wollen seine Lokomotive vor ihren Munitionst­ransport. Ist ihm eine Schusswaff­e an die Schläfe gehalten worden oder denke ich mir dieses Detail nur aus? In jedem Falle wurde eine Schusswaff­e auf ihn gerichtet, und Bohumil Hrabal von der tschechisc­hen Eisenbahn wusste, wenn er sich zu einer kleinen Bewegung hinreißen lässt, wird er erschossen. Das war unmissvers­tändlich. Dann aber ließen sie ihn laufen, und das Herz sprang in seiner Brust.

Nein, er war kein sinnloser Held. Er fing an Jura zu studieren, kam eines Tages morgens in die Nähe seiner Universitä­t. Vermutlich war er zu spät dran. Da beobachtet er aus sicherer Entfernung, wie seine Kommiliton­en, einer nach dem anderen von den Deutschen aus dem Gebäude abgeführt und wie sie alle auf Lastwagen getrieben werden. Hrabal weiß, wäre er nur eine Minute früher erschienen, hätte er das Schicksal derer geteilt. Das alles allerdings wusste die dänische Journalist­in sicher nicht.

Ich bin so froh, noch einen Vorrat an Hrabals Geschichte­n zu besitzen.

 ?? Foto: imago ?? Bohumil Hrabal (1914 – 1997) Mitte der 1980er Jahre bei seiner Lieblingsb­eschäftigu­ng, dem Nachdenken über das Schreiben.
Foto: imago Bohumil Hrabal (1914 – 1997) Mitte der 1980er Jahre bei seiner Lieblingsb­eschäftigu­ng, dem Nachdenken über das Schreiben.
 ?? Foto: privat ?? Dirk Werner wurde 1961 in Gera geboren und wuchs in einem kleinen Dorf an der Ostsee auf. Heute lebt er als Fotograf und Autor in Esslingen am Neckar. Texte von ihm erschienen u.a. in der »Stuttgarte­r Zeitung«, im »Eulenspieg­el« und in »neues deutschlan­d«.
Foto: privat Dirk Werner wurde 1961 in Gera geboren und wuchs in einem kleinen Dorf an der Ostsee auf. Heute lebt er als Fotograf und Autor in Esslingen am Neckar. Texte von ihm erschienen u.a. in der »Stuttgarte­r Zeitung«, im »Eulenspieg­el« und in »neues deutschlan­d«.

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