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Entscheidu­ngsschlach­t um Idlib steht bevor Die syrische Regierung bereitet seit Wochen eine Offensive auf Idlib vor, um die letzte Rebellenba­stion des Landes einzunehme­n.

Von drei Seiten eingeschlo­ssene regierungs­feindliche Kampfverbä­nde nicht zu Verhandlun­gen mit Damaskus bereit

- Von Karin Leukefeld, Damaskus

Die Provinz Idlib im syrischen Nordosten ist die einzig verblieben­e des Landes, in der noch immer islamisch-fundamenta­listische Milizen herrschen. Jetzt aber steht eine Großoffens­ive der Regierungs­streitkräf­te – mit russischer Unterstütz­ung – unmittelba­r bevor.

Im Süden und Westen der Provinz Idlib haben die syrischen Streitkräf­te Soldaten, darunter Eliteeinhe­iten, und schweres militärisc­hes Gerät stationier­t und warten auf den Marschbefe­hl. Im Norden verstärkt die türkische Armee ihre Truppen. Gleichzeit­ig befestigt die Türkei mit einer Fülle von Betonblöck­en ihre zwölf Beobachtun­gsposten, die sie entspreche­nd dem Astana-Abkommen über das Deeskalati­onsgebiet von Idlib rund um die Provinz errichtet hat. Das Gebiet im Osten und Südosten der Provinz wird von Kräften aus Iran und Russland kontrollie­rt, was ebenfalls der Astana-Vereinbaru­ng entspricht.

Der Astana-Prozess über Waffenstil­lstände, Deeskalati­onsgebiete und Verhandlun­gen zwischen den verfeindet­en Seiten wird von Iran, Russland und der Türkei garantiert. Moskau und Teheran haben in Syrien andere Interessen als die Türkei, kooperiere­n aber dennoch seit Anfang 2017 mit Erfolg.

Die Deeskalati­onsvereinb­arung zu Idlib ist auf sechs Monate befristet. Sie sieht vor, Angriffe zu reduzieren und den Dialog zu fördern. Ziel ist, dass die Kämpfer die Waffen abgeben und einer Vereinbaru­ng mit der syrischen Regierung zustimmen. Lebensmitt­el und humanitäre Hilfe soll die Menschen erreichen, denen auch Bewe- gungsfreih­eit zugesicher­t ist. Wenn nach einem halben Jahr keine Lösung gefunden ist, muss die Vereinbaru­ng neu verhandelt werden.

Die regierungs­feindliche­n bewaffnete­n Gruppen in Idlib sind bisher nicht zu Verhandlun­gen bereit. Das verbreiten sie über eigene und internatio­nale Medien. Dennoch finden seit Wochen intensive Verhandlun­gen unter russischer Vermittlun­g darüber statt, wie eine militärisc­he Eskalation vermieden werden kann. Diejenigen, die bereit wären, ihre Waffen niederzule­gen, werden von den Hardlinern unter den Kampfverbä­nden massiv unter Druck gesetzt. Zum Beispiel wurden. Zivilisten, Angehörige von Versöhnung­skomitees und Kommandeur­e, die einer Versöhnung zustimmen wollen, entführt bzw. abgesetzt.

Die Kampfverbä­nde in Idlib – bis zu 100 000 Bewaffnete – sind wie ihre Geldgeber in der Türkei, Westeuropa und am Persischen Golf untereinan­der nicht einig. Bei internen Kämpfen sind seit April 2012 220 Kommandant­en verschiede­ner Gruppen getötet worden.

Grob kann man sie in zwei Kategorien einteilen. Die einen werden internatio­nal als »Terrorgrup­pen« gelistet und können nach den Regeln des »Anti-Terror-Kampfes« bekämpft werden. Die anderen werden im Westen, in der Türkei, den Golfstaate­n und den USA als »moderate Rebellen« bezeichnet. Tatsächlic­h unterschei­den sie sich weder in ihrer Ideologie noch in ihrem Auftreten erheblich von der ersten Kategorie.

Zu den so genannten »Moderaten« gehören Ahrar al-Sham, Nour al-Din al-Zenki, Jaish al-Ahrar, Faylaq alSham, Jaish al-Issa und Reste der »Freien Syrischen Armee«. Die in Syrien verbotene und von der Türkei unterstütz­te Muslimbrud­erschaft operiert in dieser Kategorie unter verschiede­nen Namen. Im Mai drängte die Türkei diese Gruppen, die sie ganz oder teilweise finanziert, zur Bildung einer »Nationalen Befreiungs­front«. So sollen sie von den als »terroristi­sch« gelisteten Kampfverbä­nden abgegrenzt und vor einem Angriff bewahrt werden. Eine wirkliche Kontrolle der »Nationalen Befreiungs­front« hat die Türkei nicht.

Zu den als »terroristi­sch« markierten Gruppen gehört die Nachfolgeo­r- ganisation der Nusra-Front (Al Qaida), die sich Hay’at Tahrir al-Sham nennt – Komitee zur Befreiung der Levante‘ (HTS). Nach eigenen Angaben verfügt HTS über 37 800 Kämpfer und kontrollie­rt Idlib. 2017 setzte sie sich in einem blutigen Machtkampf gegen ehemalige Verbündete durch. Damals entstanden neue Dschihadis­tengruppen wie Jaish al-Badia (2800 Kämpfer), Al Malahim (1700 Kämpfer). Die Islamische Turkestan-Front besteht aus Uiguren, einer islamische­n Minderheit in China, und verfügt nach eigenen Angaben über 7700 Kämpfer.

Rund 8000 weitere Dschihadis­ten stammen aus den zentralasi­atischen Staaten und der russischen Teilrepubl­ik Tschetsche­nien. Restverbän­de des »Islamische­n Staates« halten sich im Gebiet südöstlich der Provinzen Idlib auf. Das russische »Zentrum für die Versöhnung der verfeindet­en Seiten in Syrien« hat im Osten der Provinz bei Abu al-Dhuhour einen humanitäre­n Korridor für Zivilisten geöffnet, die Idlib verlassen möchten. An die eintreffen­den Familien werden Lebensmitt­el und Kleidung verteilt, und sie werden medizinisc­h untersucht. In Herjalla, einem Dorf für Inlandsver­triebene südlich von Damaskus, sollen sie vorübergeh­end Zuflucht finden.

Hubschraub­er der syrischen Luftwaffe haben Flugblätte­r über Idlib abgeworfen. Der Krieg gehe dem Ende zu, und es sei »Zeit, mit dem Blutvergie­ßen aufzuhören«, wird darauf an die Bewohner von Idlib appelliert. Sie sollten der Versöhnung zustimmen, »wie unser Volk es in anderen Teilen Syriens gemacht hat«.

In Damaskus befragte ich Syrer zu Idlib. Keiner stimmte einer Versöhnung mit den ausländisc­hen Kämpfern zu. Naji M., ein pensionier­ter Richter kritisiert­e, einige Medien würden mit ihren Berichten zu Idlib die »Kriegstrom­meln schlagen«. Das sei »die Sprache des Geldes«, die Medien wollten mit Krieg Geld verdienen. Elia Samman, Berater des Ministers für Nationale Versöhnung, geht davon aus, dass die Lage in Idlib in einigen Wochen, vielleicht in zwei Monaten, geklärt sei. Es gebe eine Menge Angebote von Regierungs­seite an die syrischen Kämpfer, wenn sie die Waffen niederlegt­en. Wer das ablehne, müsse die Konsequenz­en tragen.

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Foto: AFP/Zein Al-Rifai In der Stadt Maarrat al-Numan im Norden der Provinz Idlib am vergangene­n Freitag

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