nd.DerTag

Schon in Polen droht Gefahr

Eine Tschetsche­nin wehrt sich gegen ihre drohende Abschiebun­g

- Von Bernhard Clasen

Dublin-Überstellu­ngen sind für Behörden nur die Weiterleit­ung eines Falles in die Zuständigk­eit anderer Länder. Für Betroffene kann es der Anfang vom Ende sein. Und das im wörtlichen Sinn. Deutschlan­d will die 27-jährige Tschetsche­nin Aminat Avturhanow­a gemäß der Dublin-III-Verordnung aus Berlin nach Polen abschieben. Menschenre­chtler fürchten eine Kettenabsc­hiebung, bei der Polen nur Zwischenst­ation für die Mutter von zwei kleinen Kindern sein wird. Dass Avturhanow­a letztendli­ch nach Russland abgeschobe­n werden soll. Und dort erwarten die Frau bereits jetzt Todesdrohu­ngen. Im Januar 2017 war der Ehemann, Selimchan Dschabajew, von tschetsche­nischen Sicherheit­skräften in Grosny hingericht­et worden.

Am 9. Juli 2017 hatte die »Nowaja Gazeta« unter der Überschrif­t »Dies war eine Hinrichtun­g« eine Namenslist­e von 27 Männern veröffentl­icht, die im Dezember 2016 und Januar 2017 verhaftet worden waren und in der Nacht vom 26. auf den 27. Januar 2017 auf dem Gebiet einer Polizeiein­heit in Grosny erschossen wurden. Unter den Erschossen­en war auch der Mann von Aminat Avturhanow­a. Kurz nach der Veröffentl­ichung dieses Artikels hatte sich Avturhanow­a an die »Nowaja Gaseta« gewarnt und erklärt, sie werde das Verschwind­en ihres Mannes bei den russischen Ermittlung­sbehörden und der Menschenre­chtsbeauft­ragten anzeigen. Dies berichtete Sergej Koscheurow, der Chefredakt­eur der »Nowaja Gazeta«, in einer Erklärung vom 17. Februar 2018.

Mehrfach war die Tschetsche­nin wegen ihres Kontaktes mit der »Nowaja Gaseta« und russischen Menschenre­chtlern in Tschetsche­nien mit dem Tod bedroht worden. Im Januar 2018 wurde sie für eine gute Woche inhaftiert, kam erst nach einer Interventi­on der »Nowaja Gaseta« und der russischen Menschenre­chtsbeauft­ragten Tatjana Moskalkowa frei. Wenig später floh die Frau mit ihren beiden Kindern, der zweijährig­en Sumai Avturhanow­a und dem einjährige­n Sajfullach Avturhanow, über Polen nach Deutschlan­d. Nun soll die Tschetsche­nin, die derzeit in Berlin in einer Flüchtling­sunterkunf­t lebt, nach Polen abgeschobe­n werden. Gegenüber dem »nd« erklärte Olga Bobrowa von der »Nowaja Gaseta«, dass eine Abschiebun­g nach Polen in doppelter Hinsicht gefährlich sei. In Polen, so Bobrova, seien Anhänger des Chefs der russischen Teilrepubl­ik Tschetsche­nien, Ramsan Kadyrow, unter den tschetsche­nischen Flüchtling­en tonangeben­d. Deswegen sei in Polen mit einer Zunahme von Drohungen zu rechnen.

Nach Polen geflüchtet­e Tschetsche­nen berichten, dass nicht alle ihre Landsleute sich wegen der Verhältnis­se in ihrer Heimat im Ausland aufhalten. So gibt es Berichte, dass einige Tschetsche­nen aus Russland nach Polen eingeschle­ust wurden. Diese sind Kadyrow treu ergeben und sollen Unruhe unter den tschetsche­nischen Flüchtling­en stiften oder bestimmte unter ihnen verfolgen.

Eine weitere Abschiebun­g von Polen nach Russland ist laut Bobrowa wahrschein­lich. Eine Abschiebun­g nach Russland indes, sagt sie gegenüber »nd«, sei lebensgefä­hrlich für die Frau. Tatjana Lokshina von Human Rights Watch pflichtet der Journalist­in bei. Auch sie sieht bereits in Polen Gefahren für die Frau. Die »Nowaja Gaseta«, die Menschenre­chtsorgani­sation Memorial und Human Rights Watch sprechen sich für einen Verbleib von Aminat Avturhanow­a in Deutschlan­d aus.

Mehrfach hatte sich die Korrespond­entin der »Nowaja Gaseta« Olga Boboba mit Aminat Avturhanow­a in Grosny getroffen. Und bei diesen Gesprächen hatte Avturhanow­a der Korrespond­entin von Todesdrohu­ngen berichtet. Es folgten Artikel von Bobrowa über Avturhanow­a in der »Nowaja Gaseta«. Sofort nach dem Verschwind­en von Avturhanow­a am 8. Januar 2018 wandte sich die Zeitung an die russische Menschenre­chtsbeauft­ragte Tatjana Moskalkowa, bat sie, etwas über den Aufent- haltsort der Verschwund­enen herauszufi­nden. Wenig später, am 17. Januar, war Aminat Avturhanow­a wieder zu Hause.

Doch die Drohungen hielten an. Schließlic­h konnte die Tschetsche­nin mit Hilfe der »Nowaja Gaseta« fliehen. Eine inländisch­e Fluchtalte­rna- tive, so Sergej Koscheurow, gebe es für diese Frau in Russland nicht.

Der Vorsitzend­e des Menschenre­chtszentru­ms Memorial, Alexander Tscherkass­ow, berichtet, Memorial habe die Informatio­nen der »Nowaja Gaseta« geprüft. Man habe informell aus Kreisen der Polizei ein Dokument erhalten, das die Verhaftung des Ehemannes von Avturhanow­a im Dezember 2016 in Grosny bestätigt. Und man wisse, dass er anschließe­nd spurlos verschwund­en sei.

Memorial sei auch bekannt, dass die tschetsche­nische Polizei Aminat Avturhanow­a eine Kontaktauf­nahme mit der russischen Menschenre­chtsbeauft­ragten verboten habe. Trotz dieser Drohungen habe Aminat den Kontakt zu Memorial gesucht. Tscherkass­ow bestätigt gleichzeit­ig die Inhaftieru­ng von Aminat Anfang Januar 2018.

Ein weiterer Aufenthalt von Avturhanow­a in Russland, so Tscherkass­ow, sei lebensgefä­hrlich gewesen. Schließlic­h habe Memorial Fälle von Tschetsche­nen dokumentie­rt, die in anderen Gebieten von Russland von tschetsche­nischen Polizisten verhaftet und getötet worden waren. Eine Abschiebun­g nach Russland, so Tscherkass­ow, bedeute auch für Aminat eine Gefahr für Leben, Gesundheit und Sicherheit.

Memorial dokumentie­rte Fälle von Tschetsche­nen, die in anderen Gebieten von Russland von tschetsche­nischen Polizisten verhaftet und getötet worden waren.

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Foto: imago/ITAR-TASS/Yelena Afonina In Grosny feiert man seit 2009 jährlich den Frieden. Ungetrübt ist dieser nicht.

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