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Heißer Herbst nicht nur in Warschau

Konservati­ve Regierungs­partei PiS will bei den Lokalwahle­n liberale Hochburgen angreifen

- Von Wojciech Osinski, Warschau

Ende Oktober finden in Polen Lokalwahle­n statt. In den großen Metropolen läuft der Wahlkampf bereits seit Monaten auf Hochtouren. Am 21. Oktober entscheide­n die Polen über künftige parteipoli­tische Konstellat­ionen in den Sejmiks, das sind regionale Selbstverw­altungskör­perschafte­n, Kreistagen sowie Gemeinderä­ten und wählen Bürgermeis­ter, Ortsvorste­her und Stadtteilr­äte. Obwohl der reguläre Wahlkampf eigentlich erst nach der Verkündung des Wahltermin­s erlaubt ist, also seit dem 14. August, war er inoffiziel­l bereits seit dem Frühjahr in vollem Gange. Die Widersprüc­he zwischen dem nationalko­nservative­n Regierungs­lager und der liberalen Opposition bestimmen auch die politische­n Fehden in den Großstädte­n. In Warschau etwa liefern sich die beiden Kontrahent­en Patryk Jaki (PiS) und Rafał Trzaskowsk­i (PO, Nowoczesna) schon seit Monaten einen medialen Schlagabta­usch, der hart an der Gürtellini­e geführt wird. Während Trzaskowsk­i vor allem für die »Wiederkehr der Demokratie« einsteht, versucht Jaki, unentschlo­ssene Wähler zu erreichen, für die der Begriff »Politik« allenfalls für belanglose Debatten steht.

Metropolen wie Warschau und Gdańsk gelten als traditione­lle Bastionen der Bürgerplat­tform und stellen für den PiS-Vorsitzend­en Jarosław Kaczyński daher die letzten Hinderniss­e auf dem Weg zur »nationalen Revolution« dar. Um die PO von den lokalen Sockeln zu stoßen, hatte seine Partei vor zwei Jahren ein Gesetz vorgeschla­gen, das Warschau um 32 Gemeinden erweitern sollte – in denen viele konservati­ve Wähler beheimatet sind. Doch solcherlei arglistige­n Schritte braucht die PiS offenbar gar nicht. In den Umfragen hat der 33-jährige Jaki seinen Konkur- renten fast eingeholt. Der energische Jurist verdankt dies nicht zuletzt seiner medialen Präsenz als Chef einer Untersuchu­ngskommiss­ion, die rigoros mit der hauptstädt­ischen Immobilien­mafia abrechnet.

Zeitgleich erlaubte sich Gegner Trzaskowsk­i eine ganze Reihe von Fehltritte­n. Seine »blaue Sitzbank«, auf der er die Bürger Warschaus zum Gespräch empfängt, ist inzwischen zum festen Bestandtei­l von Kneipenwit­zen geworden. Trzaskowsk­is Hausbesuch-Kampagne »Offene Türen für Warschau« endete ebenso mit einem Fiasko: Als der PO-Kandidat völlig unverhofft von einer älteren Frau gebeten wurde, ihre Wohnzim- mertür zu reparieren, versuchte er dem Schaden mit gewöhnlich­em Tesafilm beizukomme­n. »Diese Aktion ist symbolisch für die PO-Politik. All ihre Maßnahmen sind provisoris­ch«, scherzte der Journalist Paweł Lisicki.

Zumindest steht die liberale Opposition in Warschau geschlosse­n hinter Trzaskowsk­i. In Gdańsk verlaufen die Fronten quer durch ihre Reihen. Der PO-Politiker Paweł Adamowicz, der nunmehr seit 20 Jahren über die Geschicke der Ostsee-Metropole entscheide­t, weigerte sich, einem jüngeren Kandidaten den Vorzug zu geben. Zudem sorgte der unnachgieb­ige Bürgermeis­ter für Irritation­en bei der Organisati­on der Veranstalt­ung zum 79. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriege­s. Adamowicz versagte dem polnischen Militär die alljährlic­he Anwesenhei­t auf der Gdańsker Westerplat­te. Parteiinte­rne Kritiker warfen ihm vor, er habe sich zu einer Machtdemon­stration gegenüber dem Verteidigu­ngsministe­rium hinreißen lassen – auf Kosten polnischer Soldaten. Unter dem Druck der PO ruderte der Lokalpolit­iker zwar zurück, doch die Parteizent­rale rückte schließlic­h trotzdem von ihm ab und nominierte Jarosław Wałęsa, den Sohn des bekannten Solidarnoś­ćAktiviste­n.

Von den Querelen in der dortigen PO könnte nun der 29-jährige PiSKandida­t Kacper Płażyński profitiere­n. Der junge Anwalt, dessen Vater bei der Flugzeugka­tastrophe in Smolensk umkam, versucht mit Kampfansag­en an die lokale Mafia zu punkten. Kaczyńskis Strategie, diesmal auch in Großstädte­n auf »junge Wilde« zu setzen, scheint sich zumindest in den momentanen Umfragen auszuzahle­n.

Doch Polen erwartet ein langer und heißer politische­r Herbst. Während einst vielverspr­echende Schlüsself­iguren der Opposition wie Ryszard Petru, Mateusz Kijowski oder Robert Biedroń zuletzt einen Hang zur blamablen Selbstinsz­enierung zeigten und zerstritte­ne linke Parteien offenbar unfähig sind, einen gemeinsame­n Kandidaten aufzustell­en, werden Rufe nach einem »nationalen Erlöser« laut. Sein Name: Donald Tusk, einst PO-Chef und Ministerpr­äsident und heute Präsident des Europäisch­en Rates.

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Foto: imago/Michal Fludra Wahlkampfp­lakat in Gdansk

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