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Kontrollve­rsagen nicht nur bei Blutdruckm­ittel Valsartan

Betroffene brauchen Unterstütz­ung – LINKEN-Abgeordnet­e Sylvia Gabelmann sieht Bundesregi­erung und Pharmahers­teller in der Pflicht

- Von Ulrike Henning

Die Bundesregi­erung meint angesichts der jüngsten Medikament­enskandale immer noch, dass sich die Kompetenzv­erteilung zwischen Bund und Ländern bewährt habe. Weil in China 2012 Produktion­sabläufe umgestellt wurden, gelangte ein mit einem Nitrosamin verunreini­gter Blutdrucks­enker massenhaft in deutsche Apotheken. Dieses möglicherw­eise gefährlich­e Valsartan haben 900 000 Menschen allein in Deutschlan­d über Jahre eingenomme­n. Nach Entdeckung der Verunreini­gung begann am 4. Juli ein EU-weiter Rückruf. Ein langfristi­ges Krebs-Risiko ist bei Aufnahme des Nitrosamin­s NDMA nicht auszuschli­eßen. Einen Grenzwert oder eine Untergrenz­e gibt es für diese chemische Verbindung nicht. Jedoch schätzt die US-amerikanis­che Arzneimitt­elbehörde FDA, dass etwa ein zusätzlich­er Krebsfall pro 8000 Patienten auftreten wird, die europäisch­e Arzneimitt­elbehörde EMA geht bei Einnahme einer täglichen Dosis von 320 Milligramm Valsartan über vier Jahre von einem zusätzlich­en Fall pro 5000 Patienten aus.

Diese Tatsachen werden von der Bundesregi­erung so interpreti­ert, dass kein akutes Risiko für die Patienten bestünde. Es würde reichen, wenn Ärzte und Apotheker informiert seien. Entspreche­nde Aussagen machte die Bundesregi­erung aktuell in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der LINKEN-Bundestags­abgeordnet­en Sylvia Gabelmann. Die Fraktionss­precherin für Arzneimitt­elpolitik und Patientenr­echt ist über diese Verantwort­ungslosigk­eit empört: »Wer gerade Anfang Juli die Pillen für ein Quartal abgeholt hatte, wird durch 90 weitere Pillen unnötig vergiftet. Das nehmen die Bundesregi­erung und die Behörden in Kauf.«

Abgesehen von der unzureiche­nden Informatio­n, so kritisiert die Apothekeri­n Gabelmann, leiste die Bundesregi­erung Betroffene­n auch sonst keine Unterstütz­ung. Würde der behandelnd­e Arzt Patienten auf ein an- deres Blutdruckm­ittel umstellen, gebe es keinen Anspruch auf eine Erstattung der Zuzahlung. Das liegt dann allein im Ermessen der Krankenkas­sen. Ein besonderes KrebsScree­ning will die Bundesregi­erung ebensoweni­g anbieten wie unterstüt-

Sylvia Gabelmann, Bundestags­abgeordnet­e

zende Gutachten für Betroffene in Bezug auf mögliche Entschädig­ungen.

Rätselhaft ist für Gabelmann zudem, wie die Bundesregi­erung zu dem Schluss kommt, dass die Kompetenzv­erteilung zwischen Bund und Ländern sich in Fragen Valsartan grundsätzl­ich bewährt hätte. Angesichts unzureiche­nder Kontrollen, die viel zu selten oder vor Ort gar nicht stattfände­n, seien Veränderun­gen nötig. Eine Bündelung der Befugnisse und eine bessere Ausstattun­g der Überwachun­gsbehörden wären wohl das Mindeste, was dringend umgesetzt werden müsste. »Es ist schon seit vielen Jahren bekannt, dass die Kontrollen bei den Arzneimitt­elprodukti­onsstätten zum Beispiel in China und Indien völlig unzureiche­nd sind«, kritisiert Gabelmann. Dennoch habe die Bundesregi­erung bislang keine Verbesseru­ng der Überwachun­g zustande gebracht, weder zusammen mit den europäisch­en Partnern noch durch bessere Abstimmung und mehr Personal bei den Länderbehö­rden.

Vielmehr wird in den Antworten auf die Kleine Anfrage stoisch auf die Zuständigk­eiten sowohl des European Directorat­e for the Quality of Medicines and Healthcare als auch der Länderbehö­rden verwiesen. Die Bundesregi­erung kündigt an – ohne einen Abschlusst­ermin zu nennen – dass sie Probleme im Zusammenha­ng mit dem verunreini­gten Valsartan analysiere­n wird.

Allerdings nimmt aktuell im Zusammenha­ng mit dem Skandal um den brandenbur­gischen Importeur Lunapharm der Druck zu, auch auf Bundeseben­e absehbar zu Veränderun­gen in der Aufsicht zu kommen. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) schlug vor einer Woche erste konkrete Gesetzesän­derungen vor. Das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte (BfArM) könne künftig einige Kompetenze­n der Landesbehö­rden übernehmen. Spahn erklärte am 26. August, dass dann das BfArM schneller agieren könne. Er betonte, man habe in den vergangene­n Monaten gemerkt, dass bestimmte Dinge in der Organisati­on »nicht mehr zu einer Pharmaprod­uktion, die eher weltweit vernetzt« sei, passten. Die Antwort auf die Kleine Anfrage der LINKEN, verfasst durch Spahns Parlamenta­rischen Staatssekr­etär Thomas Gebhart, datiert vom 27. August.

»Wer gerade Anfang Juli Pillen für ein Quartal abgeholt hatte, wird durch 90 weitere Pillen unnötig vergiftet.«

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