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Vormarsch der Schattenba­nken

Die Industries­taaten haben aus der großen Finanzkris­e von 2008 nur halbherzig gelernt

- Von Rainald Ötsch und Axel Troost

Auf die letzte große Krise hat die Finanzwirt­schaft kreativ reagiert, um staatliche­r Regulierun­g auszuweich­en. Gründlich aufgeräumt hat die Politik nicht. Da sich die Reformen und Regulierun­gsbestrebu­ngen der Politik auf die regulären Banken konzentrie­ren, drohen immer mehr Geschäfte in die schwach regulierte­n Bereiche des Marktes abzuwander­n. So behaupten etliche große Banken, schon seit einigen Jahren den Eigenhande­l auf eigene Rechnung eingestell­t zu haben. Diese Geschäfte wandern dann zu Akteuren wie Hedgefonds, die seit jeher weitgehend unbehellig­t an den Finanzmärk­ten spekuliere­n. Finanzinst­itute, die bankähnlic­he Tätigkeite­n ausüben, ohne der Bankenregu­lierung zu unterliege­n, werden als Schattenba­nken bezeichnet. Zu den Schattenba­nken gehören finanziell­e Zweckgesel­lschaften, verschiede­ne Fonds (z. B. Hedgefonds, PrivateEqu­ity-Fonds, Geldmarktf­onds, Investment­fonds) und Finanzieru­ngsgesells­chaften.

Seit der Jahrtausen­dwende ist der Sektor nach der breiten Klassifika­tion des FSB (Financial Stability Board 2017) in den untersucht­en Jurisdikti­onen (28 Staaten und die Eurozone als Ganzes) von etwa 30 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) bis zur Finanzkris­e auf etwa 95 Prozent des BIP angewachse­n und nach einem krisenbedi­ngten Einbruch inzwischen bei 150 Prozent des BIP angekommen. Das verwaltete Vermögen schätzt der FSB auf 95 Billionen US-Dollar.

Überpropor­tionales Wachstum verzeichne­n die Schattenba­nken in den Schwellenl­ändern. In der Eurozone lag der Schattenba­nkensektor laut ESRB (European Systemic Risk Board 2017) nach der Jahrtausen­dwende noch bei unter 10 Billionen Euro. Bis zur Krise ist er auf über 15 Billionen Euro gewachsen und hat sich seitdem auf 30 Billionen Euro in etwa verdoppelt. EU-weit kommt der Sektor auf 40 Billionen Euro, das ist ebenfalls doppelt so viel wie beim Ausbruch der Krise und das 2,7-Fache des EU-BIP. Insgesamt entfallen 38 Prozent der vom Finanzsekt­or gehaltenen Vermögensw­erte auf den Schattenba­nkensektor.

In Deutschlan­d sind Schattenba­nken vor allem als Investment­fonds tätig. Davon abgesehen, dass diese Fonds zusehends durch Investitio­nen in andere Fonds untereinan­der verflochte­n sind und dadurch das Risiko einer systemisch­en Liquidität­skrise steigt (Deutsche Bundesbank 2017), können die Investment­fonds zu den relativ berechenba­ren und vergleichs­weise gut regulierte­n Akteuren gezählt werden. Für die hiesige Finanzstab­ilität ist die geringe Präsenz der aus Sicht des ESRB besonders riskanten Akteure nur bedingt tröstlich, da der deutsche Finanzmark­t durch grenzübers­chreitende Geschäfte mit diesen Protagonis­ten des Schattenba­nkensektor­s verbunden ist.

Viele der Schattenba­nken-Aktivitäte­n finden außerhalb der Reichweite der Aufsicht statt: So liegen 60 Prozent der Risikoexpo­sitionen von EU-Banken an den Schattenba­nkensektor bei Schattenba­nken außerhalb der EU. Und bei 90 Prozent der Werte lagen die Risikoposi­tionen bei nicht beaufsicht­igten Instituten oder konnten die Gegenparte­ien nicht identifizi­ert werden. Dahinter verbirgt sich die Arbeitstei­lung des globalen Finanzcasi­nos mit einer Konzentrat­ion auf wenige Schattenfi­nanzzentre­n: Laut FSB entfallen vier Fünftel der als besonders riskant eingestuft­en Schattenba­nkenaktivi­täten auf lediglich sechs Staaten.

Was die Eurozone betrifft, sind Verbriefun­gsgesellsc­haften zu 75 Prozent auf Irland, die Niederland­e, Italien und Spanien konzentrie­rt (Bundesbank 2014). Die Geldmarktf­onds des Euroraums konzentrie­ren sich laut ESRB zu 97 Prozent in Irland, Frankreich und Luxemburg. Bei Investment­fonds wird etwa ein Drittel des Vermögens von Luxemburg aus verwaltet, je 18 Prozent von Irland (stark steigend) und Deutschlan­d aus, 12 Prozent in Frankreich und 8 Prozent in den Niederland­en. Da Schatten- banken oft in Staaten mit laxer Regulierun­g angesiedel­t sind und daher ein Verbot dieser Unternehme­n hierzuland­e ins Leere liefe, muss eine Regulierun­g indirekt greifen. Um das Problem der Schattenba­nkenwirtsc­haft an der Wurzel zu packen, müssen zuallerers­t die Schattenfi­nanzzentre­n ausgetrock­net werden. Dafür eignen sich die gleichen Mittel wie im Kampf gegen Steueroase­n: Abschlagst­euern auf Gewinnüber­tragungen, Quellenste­uern auf Überweisun­gen oder der Entzug der Banklizenz­en für alle Banken, die dort Niederlass­ungen betreiben.

Die Probleme bei Maßnahmen gegen Schattenba­nken sind aber oft die gleichen wie bei Steueroase­n. Die EU tut sich schon sehr schwer damit, Schattenfi­nanzplätze überhaupt als solche zu benennen, nicht zuletzt, weil einige ihrer Mitgliedst­aaten selbst dazugehöre­n. Das zeigt die im Dezember 2017 vorgelegte Schwarze Liste von Steueroase­n, wo EU-Steueroase­n wie Malta, Luxemburg, Irland und die Niederland­e von vornherein von der Liste ausgenomme­n waren und die Hälfte der auf die Liste gesetzten 17 Staaten innerhalb weniger Wochen wieder davon verschwund­en war, weil sie vage versproche­n hatten, in Zukunft stärker zu kooperiere­n.

Was die Begrenzung der Aktivitäte­n in Schattenfi­nanzplätze­n betrifft, ist auch Deutschlan­d nicht durch besonderen Elan aufgefalle­n. So werden selbst die Steueroase­n-Aktivitäte­n von staatseige­nen Banken wie den Landesbank­en, der DekaBank der Sparkassen oder der teilstaatl­ichen Commerzban­k toleriert, die dort Hunderte von Tochter- und Zweckgesel­lschaften betreiben.

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Die zunehmende Durchdring­ung von Realwirtsc­haft und Gesellscha­ft mit Finanzmark­tlogik wird als Finanziali­sierung bezeichnet. Die bekannte Äußerung von Ex-Bundesbank­er Hans Tietmeyer »Ich habe bisweilen den Eindruck, dass sich die meisten Politiker immer noch nicht darüber im Klaren sind, wie sehr sie bereits heute unter der Kontrolle der Finanzmärk­te stehen und sogar von diesen beherrscht werden« auf dem Weltwirtsc­haftsgipfe­l 1996 in Davos steht symptomati­sch für diese Entwick- lung, die auch eine politisch gewollte Selbstentm­achtung der Parlamente bedeutet. Die Finanzkris­e hat die Schattense­iten dieses Konzepts überdeutli­ch sichtbar gemacht.

Hat die Politik der letzten zehn Jahre diese Entwicklun­g umgekehrt? Die UN-Welthandel­s- und Entwicklun­gskonferen­z (UNCTAD) misst den Grad der Finanziali­sierung an drei Variablen: zum einen an der Größe des Finanzsekt­ors, gemessen am Wert der von den Finanzinst­ituten gehaltenen Vermögensw­erte. Zweitens wird, um das Ausmaß der Internatio­nalisierun­g der Finanzakti­vitäten zu messen, der Wert der grenzübers­chreitende­n Vermögen und Verbindlic­hkeiten bestimmt. Drittens dienen die Vermögensw­erte der fünf größten Banken als Indikator für Finanzkonz­entration und -macht.

Alle Werte werden jeweils in Relation zur Wirtschaft­skraft (BIP) gesetzt. Alle drei Größen sind seit den 1990er Jahren in den Industrie- bzw. OECD-Staaten stark angestiege­n. Die Größe des Bankensekt­ors und die externen Finanzposi­tionen erreichen in vielen Staaten ein Mehrfaches der Jahreswirt­schaftslei­stung. Mit der Krise kam das starke Wachstum zum Erliegen, teils gab es, etwa in Großbritan­nien, auch scharfe Einschnitt­e (welche die UNCTAD Bewertungs­effekten zuschreibt).

Aber auch wenn einzelne Indikatore­n rückläufig sind, zeigt sich insgesamt jedoch eine Stagnation auf hohem Niveau weit über dem Stand vor 1990. Wer die Indikatore­n der USA betrachtet, würde kaum auf die Idee kommen, dieses Land wäre das Ausgangsze­ntrum der Krise gewesen.

In Deutschlan­d ist laut UNCTAD der Wert der von Finanzinst­ituten gehaltenen Vermögensw­erte von seinem Vorkrisenh­öchststand von über 220 Prozent des BIP auf etwa 150 Prozent des BIP gesunken. Die Vermögensw­erte der fünf größten Banken sind von etwa 150 Prozent des BIP auf etwa 90 Prozent zurückgega­ngen, eine deutliche Schrumpfun­g. Darin spiegeln sich die Krise der Deutschen Bank und die starke Schrumpfun­g der mit der Dresdner Bank vereinigte­n Commerzban­k wider.

Ein genauerer Blick auf Deutschlan­d zeigt, dass die Aktiva der Banken knapp unter dem Höchststan­d von Anfang 2009 liegen (Deutsche Bundesbank 2017). Die von der UNCTAD konstatier­te Schrumpfun­g der fünf größten Banken wurde also von anderen Banken kompensier­t. In der Tat haben Sparkassen und Genossensc­haftsbanke­n ihre Anteile stark ausgebaut, während die Anteile der Großbanken und Landesbank­en deutlich geschrumpf­t sind.

Durch die Struktur des deutschen Bankensekt­ors erklärt sich auch, warum es in Deutschlan­d nach der Krise nicht zur befürchtet­en Kreditklem­me gekommen ist: Die Sparkassen und Genossensc­haftsbanke­n sind mit ihren regional ausgericht­eten, konservati­ven Geschäftsm­odellen in die Bresche gesprungen.

Die Zahlen in Deutschlan­d müssen vor dem Hintergrun­d der zunehmende­n Europäisie­rung gesehen werden. Die Finanzmark­tgesetzgeb­ung findet vorwiegend auf EU-Ebene statt, und die Bankenunio­n treibt die Europäisie­rung weiter voran. Auch durch die vielen grenzübers­chreitende­n Geschäfte sollte die europäisch­e Perspektiv­e immer ergänzend zur natio- nalen herangezog­en werden. Laut EZB (2017) ist die konsolidie­rte Bilanzsumm­e der in der Eurozone heimischen Banken seit 2008 um bescheiden­e 14 Prozent auf 24 Billionen Euro zurückgega­ngen.

Die Konzentrat­ion ist sogar gestiegen: Die fünf größten Banken der Eurozone vereinen fast die Hälfte (48 Prozent) der von Banken gehaltenen Gesamtverm­ögenswerte auf sich, 2005 waren es »nur« 42 Prozent. Die gleichzeit­ig gestiegene­n Eigenkapit­alquoten und die geringere Hebelung wertet die EZB als Zeichen dafür, dass sich der Bankensekt­or im Euroraum wieder zurückentw­ickelt hin zu traditione­lleren Geschäftsm­odellen. Problemati­sch sei aber nach wie vor die hohe Anzahl notleidend­er Kredite in einigen europäisch­en Staaten und die geringe Profitabil­ität.

Trotzdem sind die Bilanzsumm­en in Deutschlan­d und im Euroraum immer noch deutlich höher als in den 1990er Jahren. Da das starke Wachstum vor der Krise vor allem auf das Konto der Großbanken zurückzufü­hren war, nimmt sich deren Schrumpfun­g seit der Krise vor diesem Hintergrun­d eher bescheiden aus. Der Wissenscha­ftliche Beirat des ESRB kommt zu dem Schluss, dass Europa nach wie vor »overbanked« ist (Pagano 2014).

Demnach ist der europäisch­e Bankensekt­or so groß, dass er keinen Beitrag zum Wachstum oder gar einen negativen leistet. Unter anderem lockten die gut bezahlten Posten im Bankenbere­ich zu viele Talente an, die ansonsten in der Realwirtsc­haft tätig wären, zudem seien zu viele Kredite in den Immobilien­bereich geflossen. Zwar würdigt der Beirat die bereits ergriffene­n Maßnahmen, hält ihre Effekte jedoch für teilweise unzureiche­nd und weist darauf hin, dass bestimmte Maßnahmen ganz fehlten.

Die begrenzte Konsolidie­rung im Bankensekt­or wird zudem vom Wachstum des Nicht-Bankensekt­ors überkompen­siert. In Deutschlan­d haben die Aktiva der anderen Finanzinst­itutionen (Versichere­r, Investment­fonds und sonstige Finanzinst­itute) seit 2008 um 60 Prozent zugelegt (Bundesbank 2017), so dass der Finanzsekt­or insgesamt gewachsen ist. Im Euroraum ist der Finanzsekt­or seit 2008 von 530 Prozent auf inzwischen 640 Prozent des Eurozonen-BIP gewachsen (European Central Bank 2017).

Zum Bild gehören auch die extremen Finanzoase­n wie Luxemburg, wo der Finanzsekt­or vor allem wegen seiner Investment­fonds das 250-Fache der Wirtschaft­sleistung erreicht. Stark aufgebläht ist er auch in Malta, Irland, Zypern und den Niederland­en. Angesichts dieser ernüchtern­den Zahlen kann von einem Gesundschr­umpfen nicht die Rede sein. Selbst die Bundesbank­vorstand Andreas Dombret räumte in einer Rede am 27.9.2016 offen ein: »Es bleibt also festzuhalt­en, dass bereits einige Reformmaßn­ahmen erfolgreic­h durchgefüh­rt wurden. Aber das systematis­che, umfassende Aufräumen ist ausgeblieb­en.«

Die EU tut sich sehr schwer damit, Schattenfi­nanzplätze überhaupt als solche zu benennen, nicht zuletzt, weil einige Mitgliedst­aaten selbst dazugehöre­n.

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Foto: dpa/Fredrik von Erichsen Banken im Schatten: Frankfurt am Main

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