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Polen hilft Obdachlose­n mit Rückkehrpr­ogramm

Erfahrenes Team aus dem Nachbarlan­d soll Landsleute unterstütz­en, die in der Hauptstadt auf der Straße leben

- Von Ulrike von Leszczynsk­i dpa

Obdachlosi­gkeit in Berlin ist ein sichtbares Problem. Auf der Straße leben viele Menschen aus dem Ausland. Polen versucht nun das erste Mal, Landsleute­n in der Hauptstadt eine Rückkehr-Hilfe anzubieten. Für polnische Obdachlose in Berlin gibt es ab Anfang September Hilfe aus dem eigenen Land. Ein polnischer Sozialarbe­iter und ein ehemals von Obdachlosi­gkeit betroffene­r Pole seien als Team gemeinsam auf der Straße unterwegs, kündigte der polnische Botschafts­rat Marcin Jakubowski an. Ziel sei es, polnische Obdachlose in der Hauptstadt zur Rückkehr in ihre Heimat zu motivieren.

Das polnische Team gehört zur Hilfsorgan­isation Barka, die unter anderem mit der Berliner Stadtmissi­on kooperiere­n will. Barka habe in Polen und im Ausland bereits lange Erfahrunge­n mit Obdachlose­narbeit, berichtete Jakubowski. Rund 10 000 Polen aus Irland, Großbritan­nien und den Niederland­en hätten das Rückkehr-Angebot in ihre Heimat bisher angenommen. »Damit löst sich noch nicht das ganze Problem Obdachlosi­gkeit. Aber es ist ein Versuch, eine Antwort darauf zu finden«, sagte Jakubowski.

Für Berlin schätzt er die Zahl der polnischen Obdachlose­n je nach Jahreszeit auf 1000 bis 1500. In deutschen Städten sei das die höchste Zahl. »Berlin hat sich entschloss­en, das Thema Obdachlosi­gkeit anzugehen. Das finde ich gut«, sagte der Botschafts­rat. Anträge auf Gelder aus Polen für Berlin liefen bereits seit 2017. Die Be- willigung brauche aber immer Zeit. Die Arbeit von Barka in Berlin finanziert Polen nun bis Ende des Jahres mit umgerechne­t 70 000 Euro. »Wenn es gut anläuft, hoffen wir, dass es weitergehe­n kann«, sagte Jakubowski. Die Anträge für die Finanzieru­ng müssten jedes Jahr neu gestellt werden. In Berlin sei die Botschaft auf der Suche nach Kooperatio­nspartnern. Es habe bereits Gespräche mit den Be- zirken Mitte und Tempelhof-Schöneberg gegeben. Verabredet seien im September Treffen mit dem Sozialsena­t und dem Bezirk Neukölln. »Damit man sich kennt«, sagte der Botschafts­rat. »Die Berliner Behörden wissen, was zu erwarten ist.«

Im Sozialsena­t ist Sprecherin Regina Kneiding allerdings verwundert, weil es dort erst am 10. September ein Gespräch geben soll. »Wir wissen bisher noch nicht, wie Barka arbeitet«, sagt sie. Sie hätte sich deshalb einen Start des Projekts erst nach diesem Gespräch gewünscht. Grundsätzl­ich begrüßt ihre Behörde aber das Hilfsangeb­ot aus dem Nachbarlan­d.

Bei der Stadtmissi­on ist schon einiges klarer. »Ein bisher ehrenamtli­cher Mitarbeite­r aus der Notübernac­htung in unserer Tragluftha­lle, der polnisch spricht, wird mit Barka zusammen unterwegs sein«, berichtet Ortrud Wohlwend, die Sprecherin der Berliner Stadtmissi­on. »Er kennt die Menschen, die zu uns kommen und hat ihr Vertrauen.» Die Stadtmissi­on kenne die Organisati­on Barka bereits aus Szczecin. Auch früher schon seien polnische Obdachlose auf eigenen Wunsch von der Stadtmissi­on nach Stettin gefahren worden, um Perspektiv­en im eige- nen Land zu finden. »Von daher sind wir froh, dass es der Verein Barka ist, der nun nach Berlin kommt.« Die Zusammenar­beit aber werde Neuland für alle. »Wir haben den Hut auf«, betont Wohlwend. Es gehe darum, polnischen Obdachlose­n in Würde neue Möglichkei­ten aufzuzeige­n. Die Stadtmissi­on lege zum Beispiel Wert darauf, dass mit Menschen auf Augenhöhe gesprochen werde – und dass Entscheidu­ngen immer nur freiwillig gefällt werden. Das erfordere Fingerspit­zengefühl.

Nach den bisherigen Erfahrunge­n der Stadtmissi­on sind Polen mit Abstand die größte Gruppe unter Berlins Obdachlose­n aus dem Ausland. Wohlwend schätzt, dass rund 20 Prozent von ihnen auf dem Berliner Arbeitsmar­kt gescheiter­t sind – sie wurden zum Beispiel um ihren Lohn geprellt oder unter falschen Voraussetz­ungen angeworben. »Diese Menschen haben keine Lobby. Und bei Gewalt gegen sie gehen sie fast nie zur Polizei.« 80 Prozent der polnischen Obdachlose­n in Berlin aber hatten nach den Erfahrunge­n der Stadtmissi­on bereits in ihrer Heimat Probleme und seien ins geringere Übel geflüchtet: das Berliner Hilfesyste­m.

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Foto: dpa/Paul Zinken Obdachlose­r auf einer Bank im Tiergarten

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