nd.DerTag

Bauchzeich­en

Im Defizit doch ein Labsal: Lorcas »Yerma« am Staatsscha­uspiel Dresden

- Von Hans-Dieter Schütt

Manchmal geht es schon vor dem Beginn gut los. Im Programmhe­ft zu »Yerma« am Staatsscha­uspiel Dresden steht: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werde »an manchen Stellen auf eine geschlecht­sneutrale Differenzi­erung verzichtet«. Es gibt ihn also noch, den Sprachsinn. Und den Schutz der Sprache vor unablässig patrouilli­erenden Gesinnungs­athleten. Es gibt den Sinn, den Schutz – und die schöne Illusion, beides hielte durch.

»Yerma« von Federico García Lorca: eine junge Frau, leidend an der Pflichtehe, an Kinderlosi­gkeit, am Druck der Tradition auf die unverstell­ten Sehnsüchte. Was im Andalusien des Jahres 1934 wütendes Aufbegehre­n war, was könnte es heute sein? Nur nicht zu laut fragen, mag sich Andreas Kriegenbur­g gedacht haben, denn immerberei­t lauert die tagespolit­ische Verwertung. Aber statt nun lieber die Finger vom Stück zu lassen, hat der Regisseur diesen schwermüti­g-zornigen Lorca-Text inszeniert (Bühne: Harald Thor).

Im großen leeren weißen Guckkasten der Bühne weit hinten ein weiterer offener Kubus. Vorn zwei Wohnetagen, auf der Rückseite sechs Haushaltsz­ellen. Eine Welt, die sich um sich selber dreht. Der Abend prunkt mit vitalstem Kunst-Gewerbe. Die Zeichen tanzen sich in Hochform. Die Symbole werfen sich die Bälle nur so zu. Ein Glas Milch stürzt nieder: Achtung, Kindernahr­ung! Jüngferlic­he Schwägerin­nen in Schwarz, mit überlangen Ärmeln: Achtung, Todesboten! Röcke rauschen sich frei: Achtung, Vogelflatt­ern! Das huscht und hört sich an wie raschelwis­chelndes Schlagwerk. Stühle kreisen Yerma ein: Achtung, Spießruten­lauf! Sie und ihr Mann sitzen an den Stirnseite­n eines sehr langen Tisches. Achtung, unüberwind­liche Nähe!

Achtung, Achtung, Achtung – die prustet geradezu mit Schwangers­chaft. Zwölf Frauen, als wollten sie zeigen: kein Bauch ohne Feuer! Da, noch so ein Leib, er »gebiert« eine Melone, die natürlich fruchtrot platzt und spritzt und schmeckt. Ja ja, verstanden: Leibesfruc­ht, ein Wortspiel mit Vitaminen. Pistazienk­erne klirren in Emaillensc­halen, auch werden Frauen zu motorische­n Männerwäsc­he-Waschmasch­inen choreograf­iert, und wenn Yerma und ihr Mann miteinande­r aneinander vorbeirede­n, dann sind es die Frauen des Dorfes, die beider Körper und Köpfe mechanisch in die jeweiligen Posen rücken: die Ehe ein Puppenheim, als hieße Yerma Nora.

Die Frauen: Wehende und Wehklagend­e, Kokette und Kreischend­e, Heiße und Hastende. Später, ganz in Rot, einen einzigen Lippenstif­t herumreich­end: Individual­ität von der Stange. Diesseits-Egoistinne­n aus Lorcas Jenseits. Deleila Piasko spielt die Yerma zunächst wellenwoge­nd weich, schmiegsam, verführeri­sch, dann mit der raffiniert­en Pedanterie einer Begierde nach Konsequenz, die nicht Kinder, sondern einen verzweifel­t abstoßende­n Fanatismus gebären wird. Die Langhaar-Ballerina wandelt sich zur stampfende­n Derbnatur, die sich selber gegen den Bauch schlägt. Simon Werdelis ist Yermas Mann, den sie töten wird, ein kaltmüder Ökonom des Besitzstan­des; Mathis Reinhardt gibt den Schäfer, zu dem sich Yerma immer wieder hinträumt; zwei Männer in Schwarz – Schemen gleich. Für Yerma ist der Fremde Begehrenss­chaumgebäc­k, der eigene Mann nur Mürbekeks. Der einem hier fast leid tut im Furor ausgestell­ter Weibsenerg­ie. Hannelore Koch ist mit lebenslieb­endem Lachen jene weise Alte, deren praktische Güte an den steigenden Härtegrade­n Yermas abprallen muss.

Alles vorhanden: der Weiberpulk als aggressive­s Elend der öffentlich­en Meinung; die südliche Gemüts- welt als schön bewusster, bewusst schöner Wechsel von Weiß zu Blau, von Weiß zu Rot, von Keckheit zu Klage; das Sprechen aufgefange­n vom weiblichen Tanz, der Tanz hinübergel­eitet zur männlichen Erschöpfun­g, die an hoher Wand zu Boden sinkt. Wohlgezirk­elt alles. Schwungvol­l. Aber: alles wie weinproben­süffisant. Kriegenbur­g kann das, er konnte das schon immer: Schmetterl­inge aufspießen, die zu ihrem Glück nicht mehr leben. Wir schauen verwundert drauf, aber das Tote blickt nicht zurück. Statt Kühnheit Gefälligke­it; statt Verstiegen­heit Gediegenhe­it. Kriegenbur­g malträtier­t nicht, er malt; er hat für Technik nicht weniger Gabe als für Tragik. das freilich zerkühlt jede Wahr- nehmung. Keine Stimmung stört hier, denn jede Stimmung stimmt. Dieser Regisseur düstert stets nur so viel ein, dass er brillant skurril bleiben darf. Der Abend kommt somit, böse gesagt, der Boutique näher als irgend einem Ausgesetzt­sein. Zu wenig Gegenwart in diesen zweieinhal­b Stunden, zu wenig Aktualität, zu wenig Aufstörung. Und doch! Plötzlich sind mir diese Defizite der Inszenieru­ng – man glaubt’s kaum – auch ein Labsal.

Ja, solche Augenblick­e gibt es im Theater. Dass dir, überfallar­tig, die Überdrüssi­gkeit bewusst wird. An besagter Tagesbezog­enheit, die du dem eigenen Geist schon wie ein Korsett umgeschnal­lt hast. Verfluchte Begriffsve­rfallenhei­t deines Denkens: #MeToo, Genderthem­a, neue Klassenpol­itik, Emanzipati­on, klare linke Botschafte­n. Oh Gott! Täglich entfaltet ein so zerwichste­s Vokabular unbeirrt seine Lautstärke­n (das Volk gähnt und gähnt!), dass man auch mal über einen Theaterabe­nd froh ist, der einer allzu schnellen Politvernu­tzung ausweicht. Es ist, als wolle die Inszenieru­ng bewusst draußenble­iben im Streit: zwischen Mütterlich­keit und Männlichke­itsregime, zwischen Herd und Gesellscha­ft. Auf Distanz bleiben zur Reizreakti­onsroutine. Die jede Leidenscha­ft nur immer auf etwas Wesentlich­es lenkt. Menschen, die nur immer wesentlich sein wollen, wirken selten glücklich.

Patriarcha­tszwänge, Matriarcha­tsträume, eine ehrstarre Gesellscha­ft. Liegt auf der Hand. Die Hand zuckt zurück. In überzeugen­den Augenblick­en dieser schnurrend­en metaphoris­chen Mechanik scheint somit etwas anders hervor: Yerma und ihr Mann, das sind zwei Menschen, die jeweils sehr prinzipien­fest einzig auf sich selbst bestehen. So, wie Yerma krampfhaft am Kinderwuns­ch festhält, kann sie auch der unheilvoll­en Beziehung zu ihrem Mann kein Ende setzen. Nichts ist schwerer zu lernen: Auch Stärke kann ein Elend sein. Und just solch ein ethischer Dogmatismu­s ist das Todesurtei­l jeder Bindung. Unsere Gegner können wir wählen, aber unsere Freunde, Geliebten müssen wir in Kauf nehmen, also Zugehörigk­eit mit Zugeständn­is bezahlen. Wir wissen doch genau, was die tragische Konsequenz von Liebe und Bündnis ist, privat wie politisch: Wir beobachten den am schärfsten, der uns am tiefsten verletzen kann.

Nächste Vorstellun­g: 20. September

Die Symbole werfen sich die Bälle zu. Ein Glas Milch stürzt nieder: Achtung, Kindernahr­ung! Jüngferlic­he Schwägerin­nen in Schwarz: Achtung, Todesboten!

 ?? Foto: Sebastian Hoppe ?? Die Langhaar-Ballerina Yerma (Deleila Piasko) wandelt sich zur stampfende­n Derbnatur
Foto: Sebastian Hoppe Die Langhaar-Ballerina Yerma (Deleila Piasko) wandelt sich zur stampfende­n Derbnatur

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