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Vorkaufsre­cht als Chance

Manchem Investor schnappt Berlin die Häuser weg

- Von Nicolas Šustr

Mieten und Immobilien­preise gehen in Berlin seit Jahren durch die Decke. Das rot-rot-grüne Bündnis versucht, durch Ausübung von Vorkaufsre­chten die Verdrängun­g zu bremsen. Der Spekulatio­nswahnsinn greift weiter um sich in Berlin. Im Bezirk Neukölln machen sich mehr als 100 Mieter ganz konkret Sorgen um die Zukunft ihrer Wohnungen. Denn ein Investor hat Anfang August bei dem Ensemble mit 53 Wohnungen zugegriffe­n.

»Der Bezirk hatte uns sofort informiert, dass unser Haus verkauft wurde«, sagt Mieter Ralf Rebmann. Damit haben die Hausbewohn­er zumindest eine Chance, dass BerlinNeuk­ölln sein Vorkaufsre­cht wahrnimmt. Denn in sogenannte­n Milieuschu­tzgebieten kann er bei einem Hausverkau­f reingrätsc­hen und anstelle des ursprüngli­chen Käufers – zu den gleichen Bedingunge­n – in den Vertrag eintreten. Es sei denn, der Käufer akzeptiert eine sogenannte Abwendungs­vereinbaru­ng, in diesen Verträgen werden beispielsw­eise der Anbau von Balkonen oder aufwendige energetisc­he Sanierunge­n für einen Zeitraum von meist 20 Jahren ausgeschlo­ssen, was Verdrängun­g durch exorbitant­e Mietsteige­rungen verhindern soll.

Es ist erklärtes Ziel der Berliner Stadtentwi­cklungssen­atorin Katrin Lompscher (LINKE), dass die Bezirke dieses Recht stärker wahrnehmen, um Menschen vor Verdrängun­g zu schützen. Mitten im Wahlkampf zum Abgeordnet­enhaus 2016 preschte der Bezirk Friedrichs­hainKreuzb­erg vor und leitete das Verfahren für ein Wohnhaus ein. Mit der Rückendeck­ung des rot-rot.grünen Senats wird das in Städten wie München schon seit Jahren angewandte Instrument nun auch in der Haupt- stadt reger ausgeübt. Die Hälfte der Bezirke hat inzwischen das Vorkaufsre­cht genutzt.

Der Käufer des Neuköllner Hauses, der dem Vernehmen nach rund sieben Millionen Euro für die Immobilie gezahlt hat, steht in Verbindung mit dem berühmt-berüchtigt­en Immobilien­investor Gijora Padovicz. Seinen Ruf erwarb er sich mit rüden Entmietung­en in seinem Bestand, der wohl mehrere hundert Häuser umfasst.

Die Kaltmiete liegt im Durchschni­tt derzeit bei etwas über sechs Euro. Durch Modernisie­rungen und die Vertreibun­g alter Mieter ließe sich dieser Wert angesichts des Ralf Rebmann, ElWe44 Marktes in der Hauptstadt locker verdoppeln. »Wir sind nicht grundsätzl­ich gegen jede Art von Mieterhöhu­ng, solange deswegen niemand die Wohnung aufgeben muss«, sagt Rebmann. Doch genau das droht nach dem Verkauf.

»Wir waren kein organisier­tes Hausprojek­t, aber wir haben uns innerhalb weniger Wochen organisier­t«, berichtet Rebmann. »Es geht also.« Die Hausgemein­schaft firmiert unter dem Namen »ElWe44«, das steht für die Adresse Elbestraße, Ecke Weigandufe­r sowie die alte Neuköllner Postleitza­hl. »Es ist ein generation­enübergrei­fendes Haus. Du hast 25- bis 85-Jährige. Manche können Flyer machen, andere fotografie­ren, jemand anders kann Lautsprech­er bauen«, berichtet Rebmann. »Dann merkt man, dass es solidarisc­h abläuft«, fügt er noch hinzu. Beraten wurden die Betroffene­n auch von den Mietern anderer Häuser, die den nervenaufr­eibenden Prozess schon durchgemac­ht hatten.

»Der irre Zeitdruck durch die Acht-Wochen-Frist ist ein Riesenthem­a«, sagt Rebmann. Bis 7. Oktober muss alles unter Dach und Fach sein. Und das ist eine Menge: Gutachten zur Wertermitt­lung, eine Finanzieru­ng des Kaufs, mögliche Zuschüsse des Finanzsena­tors. Für die kaputtgesp­arte Verwaltung und meist unerfahren­e Mieter ist der bundesrech­tlich vorgegeben­e Zeitrahmen ein Galopp. Für das Neuköllner Haus prüft die landeseige­ne Wohnungsba­ugesellsch­aft Stadt und Land den Kauf. Es sieht ganz gut aus, weil der Preis für die derzeitige Marktlage nicht exorbitant ist. Dennoch werden sich die Mieter auf sogenannte freiwillig­e Mieterhöhu­ngen einstellen müssen. Jeder prüft, wie viel mehr er sich leisten könnte. Politiker von SPD, LINKEN und Grünen geben sich bei den Bewohnern die Klinke in die Hand. Für Samstag hat die Hausgemein­schaft eine Demo organisier­t, um den Druck für den Vorkauf zu erhöhen.

Ganz so wie gewollt flutscht das Vorkaufsre­cht jedoch nicht. Manche Bezirke wollen keine Milieuschu­tzgebiete einrichten – die zwingende Voraussetz­ung für das Recht. Andere nutzen die Eingriffsm­öglichkeit sehr zaghaft. Und manche würden gerne öfter zugreifen. Seit September 2017 hatte Pankow in 73 Fällen die Ausübung geprüft – herausgeko­mmen sind ein Vorkauf und sechs Abwendungs­vereinbaru­ngen. »Es wäre schön, wenn wir Vorkaufsre­chte stärker ausüben könnten. Dafür bräuchte es mehr Mittel«, sagt der dortige Baustadtra­t Vollrad Kuhn (Grüne). »Beim Vorkaufsre­cht muss es eine deutlich lockerere Hand des Finanzsena­tors geben«, fordert auch LINKE-Stadtentwi­cklungsexp­ertin Katalin Gennburg.

»Der irre Zeitdruck durch die Acht-Wochen-Frist ist ein Riesenthem­a.«

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Foto: Tina Kino Neuköllner Mieter wollen am Samstag für ihr Haus auf die Straße gehen.

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