Plattenbauten als Ausweg
Geringverdiener haben es auf Thüringens Wohnungsmarkt schwer
Thüringen gilt als Region, in der Mieten bezahlbar sind. Doch auch dort gibt es Gegenden, in denen Wohnen sehr teuer ist. Daran hat auch die rot-rot-grüne Wohnungspolitik nichts ändern können. Es gibt ein Mantra der großen Wohnungsunternehmen in Thüringen, die im sogenannten Verband der Thüringer Wohnungswirtschaft (vtw) zusammengeschlossen sind. Das lautet: Es gibt keinen angespannten Wohnungsmarkt in dem Freistaat – weil es ausreichend günstigen Wohnraum gibt. »Wir liegen selbst in den großen Städten mit unseren Bestandsmieten spürbar unter dem Bundesdurchschnitt«, sagte Verbandsdirektor Frank Emrich vor wenigen Monaten. Diese Bestandsmieten betrügen thüringenweit durchschnittlich 4,93 Euro pro Quadratmeter. Selbst in Erfurt lägen sie bei mehr oder weniger günstigen 5,17 Euro pro Quadratmeter, in Weimar bei 5,55 Euro, in Jena bei 5,61 Euro. Den Bundesdurchschnitt der Bestandsmieten bezifferte Emrich auf 6,72 Euro pro Quadratmeter.
Allerdings ist es mit dem Durchschnitt immer so eine Sache und mit den Wohnungen des vtw sowieso – was einer der zentralen Gründe dafür ist, dass es auf dem Wohnungsmarkt selbst im kleinen Thüringen deutlich komplexer zugeht, als es das vtw-Mantra nahelegt. Das ist wiederum der zentrale Grund dafür, dass auch die rot-rot-grüne Wohnungspolitik es nicht wirklich geschafft hat, bei der Lösung der Probleme, die es auf dem Wohnungsmarkt des Freistaats gibt, einen großen Schritt voranzukommen.
Zweifelsfrei immerhin hat das von der LINKE-Politikerin Birgit Keller geführte Infrastrukturministerium versucht, diesen großen Schritt zu gehen – etwa, indem mit Hilfe des Mi- nisteriums im Jahr 2016 die Mietpreisbremse in Erfurt und Jena eingeführt worden ist. Dies geschah aber nicht in Weimar, auch wenn es in der Vergangenheit entsprechende Forderungen gab. Zudem hat ihr Ministerium die Landesförderprogramme für den sozialen Wohnungsbau überarbeitet – was allerdings zu einer langen Debatte zwischen dem vtw und Keller darüber geführt hat, ob diese Überarbeitung wirklich sinnvoll war.
Im Kern wollte das Ministerium nämlich vor allem zinsgünstige Kredite an die Wohnungsunternehmen zum sozialen Wohnungsbau geben. Der vtw dagegen wollte statt Krediten lieber nicht-rückzahlbare Zuschüsse zum Wohnungsneubau ha- ben. Immerhin, so lautete das Argument der Lobbyisten, gebe es bei den Banken ohnehin schon sehr billiges Geld; privates Geld also, bei dem sich die Unternehmen nicht dazu verpflichten müssen, eine bestimmte Zeit lang den damit geschaffenen Wohnraum günstig zu vermieten. Lange Zeit wurden die entsprechenden Förderprogramme deshalb nur wenig in Anspruch genommen. Was sich erst – das hat das Ministerium zuletzt mehrfach beteuert – langsam ändert.
Allerdings gehen solche und ähnliche politischen Debatten ohnehin an vielen Menschen in Thüringen vorbei – eben weil der Thüringer Wohnungsmarkt auf engstem Gebiet so komplex, ja widersprüchlich ist, wie er das auch in der gesamten Bundesrepublik ist. Denn die Frage, zu welchen Preisen in welchen Regio- nen gemietet oder auch gekauft werden kann, hängt an viel mehr Faktoren als denen, die politisch zu beeinflussen sind.
So stimmt es zwar, dass die durchschnittlichen vtw-Bestandsmieten vielerorts günstig sind. Trotzdem allerdings werden in gefragten Wohnlagen etwa in Erfurt, Jena oder Weimar längst Kaltmietpreise von deutlich jenseits acht, neun und bisweilen auch mal zehn Euro pro Quadratmeter aufgerufen. Und selbst in Kleinstädten wie Ilmenau kann sich längst nicht mehr jeder eine Wohnung in jeder Wohnlage leisten. Wer nur ein kleines Budget zur Verfügung hat, der ist bei der Wahl seines Wohnraums selbst in Thüringen recht eingeschränkt. Vor allem große und kleine Vermieter außerhalb des vtw vermieten ihre Immobilien häufig zu recht hohen Preisen; was deshalb ein Problem ist, weil der vtw zwar als Verband der größte Player auf dem Thüringer Wohnungsmarkt ist. Nahezu jeder zweite Mieter im Freistaat wohnt nach Verbandsangaben bei einem Mitgliedsunternehmen des vtw. Das meint aber auch: Etwa jede zweite Vermietung in Thüringen läuft außerhalb der vtw-Unternehmen. Oft bleiben sozial Schwachen deshalb nur die bei vielen Menschen – zu Unrecht – ungeliebten Plattenbauten.
Dazu kommt: Während in den großen und kleinen Städten Thüringens die Mieten seit Jahren steigen, sinken die Immobilienpreise in den sehr ländlichen Regionen auch infolge des demografischen Wandels. Doch für Menschen mit niedrigen Einkommen ist es keine wirkliche Lösung, dort hinzuziehen. Jenseits der Gefahr, dass dann auf dem Land ein sozial schwaches Milieu entstehen würde. Denn die Infrastruktur dort ist vielerorts inzwischen so lückenhaft, dass der nächste Supermarkt, Ärzte und Kinos nur mit einigem Fahraufwand zu erreichen sind. Diese Faktoren lassen sich nicht durch Wohnungspolitik ändern.
Selbst in Kleinstädten wie Ilmenau kann sich längst nicht mehr jeder eine Wohnung in jeder Wohnlage leisten.