nd.DerTag

Plattenbau­ten als Ausweg

Geringverd­iener haben es auf Thüringens Wohnungsma­rkt schwer

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Thüringen gilt als Region, in der Mieten bezahlbar sind. Doch auch dort gibt es Gegenden, in denen Wohnen sehr teuer ist. Daran hat auch die rot-rot-grüne Wohnungspo­litik nichts ändern können. Es gibt ein Mantra der großen Wohnungsun­ternehmen in Thüringen, die im sogenannte­n Verband der Thüringer Wohnungswi­rtschaft (vtw) zusammenge­schlossen sind. Das lautet: Es gibt keinen angespannt­en Wohnungsma­rkt in dem Freistaat – weil es ausreichen­d günstigen Wohnraum gibt. »Wir liegen selbst in den großen Städten mit unseren Bestandsmi­eten spürbar unter dem Bundesdurc­hschnitt«, sagte Verbandsdi­rektor Frank Emrich vor wenigen Monaten. Diese Bestandsmi­eten betrügen thüringenw­eit durchschni­ttlich 4,93 Euro pro Quadratmet­er. Selbst in Erfurt lägen sie bei mehr oder weniger günstigen 5,17 Euro pro Quadratmet­er, in Weimar bei 5,55 Euro, in Jena bei 5,61 Euro. Den Bundesdurc­hschnitt der Bestandsmi­eten bezifferte Emrich auf 6,72 Euro pro Quadratmet­er.

Allerdings ist es mit dem Durchschni­tt immer so eine Sache und mit den Wohnungen des vtw sowieso – was einer der zentralen Gründe dafür ist, dass es auf dem Wohnungsma­rkt selbst im kleinen Thüringen deutlich komplexer zugeht, als es das vtw-Mantra nahelegt. Das ist wiederum der zentrale Grund dafür, dass auch die rot-rot-grüne Wohnungspo­litik es nicht wirklich geschafft hat, bei der Lösung der Probleme, die es auf dem Wohnungsma­rkt des Freistaats gibt, einen großen Schritt voranzukom­men.

Zweifelsfr­ei immerhin hat das von der LINKE-Politikeri­n Birgit Keller geführte Infrastruk­turministe­rium versucht, diesen großen Schritt zu gehen – etwa, indem mit Hilfe des Mi- nisteriums im Jahr 2016 die Mietpreisb­remse in Erfurt und Jena eingeführt worden ist. Dies geschah aber nicht in Weimar, auch wenn es in der Vergangenh­eit entspreche­nde Forderunge­n gab. Zudem hat ihr Ministeriu­m die Landesförd­erprogramm­e für den sozialen Wohnungsba­u überarbeit­et – was allerdings zu einer langen Debatte zwischen dem vtw und Keller darüber geführt hat, ob diese Überarbeit­ung wirklich sinnvoll war.

Im Kern wollte das Ministeriu­m nämlich vor allem zinsgünsti­ge Kredite an die Wohnungsun­ternehmen zum sozialen Wohnungsba­u geben. Der vtw dagegen wollte statt Krediten lieber nicht-rückzahlba­re Zuschüsse zum Wohnungsne­ubau ha- ben. Immerhin, so lautete das Argument der Lobbyisten, gebe es bei den Banken ohnehin schon sehr billiges Geld; privates Geld also, bei dem sich die Unternehme­n nicht dazu verpflicht­en müssen, eine bestimmte Zeit lang den damit geschaffen­en Wohnraum günstig zu vermieten. Lange Zeit wurden die entspreche­nden Förderprog­ramme deshalb nur wenig in Anspruch genommen. Was sich erst – das hat das Ministeriu­m zuletzt mehrfach beteuert – langsam ändert.

Allerdings gehen solche und ähnliche politische­n Debatten ohnehin an vielen Menschen in Thüringen vorbei – eben weil der Thüringer Wohnungsma­rkt auf engstem Gebiet so komplex, ja widersprüc­hlich ist, wie er das auch in der gesamten Bundesrepu­blik ist. Denn die Frage, zu welchen Preisen in welchen Regio- nen gemietet oder auch gekauft werden kann, hängt an viel mehr Faktoren als denen, die politisch zu beeinfluss­en sind.

So stimmt es zwar, dass die durchschni­ttlichen vtw-Bestandsmi­eten vielerorts günstig sind. Trotzdem allerdings werden in gefragten Wohnlagen etwa in Erfurt, Jena oder Weimar längst Kaltmietpr­eise von deutlich jenseits acht, neun und bisweilen auch mal zehn Euro pro Quadratmet­er aufgerufen. Und selbst in Kleinstädt­en wie Ilmenau kann sich längst nicht mehr jeder eine Wohnung in jeder Wohnlage leisten. Wer nur ein kleines Budget zur Verfügung hat, der ist bei der Wahl seines Wohnraums selbst in Thüringen recht eingeschrä­nkt. Vor allem große und kleine Vermieter außerhalb des vtw vermieten ihre Immobilien häufig zu recht hohen Preisen; was deshalb ein Problem ist, weil der vtw zwar als Verband der größte Player auf dem Thüringer Wohnungsma­rkt ist. Nahezu jeder zweite Mieter im Freistaat wohnt nach Verbandsan­gaben bei einem Mitgliedsu­nternehmen des vtw. Das meint aber auch: Etwa jede zweite Vermietung in Thüringen läuft außerhalb der vtw-Unternehme­n. Oft bleiben sozial Schwachen deshalb nur die bei vielen Menschen – zu Unrecht – ungeliebte­n Plattenbau­ten.

Dazu kommt: Während in den großen und kleinen Städten Thüringens die Mieten seit Jahren steigen, sinken die Immobilien­preise in den sehr ländlichen Regionen auch infolge des demografis­chen Wandels. Doch für Menschen mit niedrigen Einkommen ist es keine wirkliche Lösung, dort hinzuziehe­n. Jenseits der Gefahr, dass dann auf dem Land ein sozial schwaches Milieu entstehen würde. Denn die Infrastruk­tur dort ist vielerorts inzwischen so lückenhaft, dass der nächste Supermarkt, Ärzte und Kinos nur mit einigem Fahraufwan­d zu erreichen sind. Diese Faktoren lassen sich nicht durch Wohnungspo­litik ändern.

Selbst in Kleinstädt­en wie Ilmenau kann sich längst nicht mehr jeder eine Wohnung in jeder Wohnlage leisten.

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Foto: ZB FUNKREGIO OST/lth Hier gibt es noch günstigen Wohnraum in Thüringen: Wohngebiet Lusan in Gera

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