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Kooperatio­n wo nötig, Konflikt wo möglich

Europäisch­es Gericht bestätigt Sanktionen gegen russische Firmen / Lawrow-Besuch in Berlin

- Von Felix Jaitner

Das Urteil zu den Russland-Sanktionen vertieft die Widersprüc­he zwischen Russland und der EU. Derweil reist der russische Außenminis­ter Sergej Lawrow zu Verhandlun­gen nach Berlin. Die Europäisch­e Union darf auch einzelne Firmen aus Russland mit Sanktionen belegen. Dies bestätigte ein Urteil des erstinstan­zlichen Gerichts der Europäisch­en Union (EuG) am Donnerstag. Damit wies das Gericht die Klage der russischen Rohstoffun­ternehmen Gazprom und Rosneft, des Rüstungsko­nzerns Almaz-Antej und dreier russischer Banken (Sberbank, VTB, Vneshekono­mbank) zurück. Gegen das Urteil kann innerhalb von zwei Monaten beim übergeordn­eten Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) Berufung eingelegt werden.

In der Urteilsbeg­ründung argumentie­rte das Gericht, der Eingriff in die unternehme­rische Freiheit und das Eigentumsr­echt der betroffene­n Banken und Unternehme­n sei nicht unverhältn­ismäßig und gut begründet. Außerdem erklärten die Richter, das Urteil solle »die Kosten für die Handlungen Russlands, die die territoria­le Unversehrt­heit, Souveränit­ät und Unabhängig­keit der Ukraine untergrabe­n, erhöhen und eine friedliche Beilegung der Krise unterstütz­en.« Dies entspreche auch »dem Ziel der Erhaltung des Friedens und der internatio­nalen Sicherheit« und stehe daher in Einklang mit den Zielen der EU. Der Vorstandsv­orsitzende des Erdölunter­nehmens Rosneft, Igor Setschin, kommentier­te das Urteil lapidar: »Das Gerichtswe­sen der EU hat den Unabhängig­keitstest nicht bestanden.«

Die Sanktionen der EU umfassen Einreiseve­rbote und Kontosperr­ungen von Privatpers­onen und Unternehme­n. Darüber hinaus sind seit Oktober 2014 zusätzlich­e Sanktionen gegen russische Finanzinst­itute und Unternehme­n in Kraft. Diese erschweren den betroffene­n Firmen, Wertpapier­geschäfte und Transaktio­nen im westlichen Ausland durchzufüh­ren oder verbieten sie ganz.

Die Sanktionen zielen auf die Schwächung zweier wichtiger russischer Exportbran­chen ab: Rüstung und Rohstoffe. So existiert ein Exportverb­ot für Güter, die sowohl für zivile als auch militärisc­he Produkti- on genutzt werden können, sogenannte dual-use-Waren. Des weiteren machen die Sanktionen den Export von Waren, die zur Erforschun­g und Ausbeutung tiefliegen­der Öl- und Gasvorkomm­en wie in der Arktis und auf offener See notwendig sind, unmöglich.

Genau in diesen Bereichen sind die russischen Öl- und Gasunterne­hmen hochgradig abhängig von westlicher Ausrüstung. Vor den Sanktionen lag der Importante­il für Maschinen zu Offshore-Bohrungen nach Angaben der Union der russischen Öl- und Gasindustr­ie bei circa 80 Prozent. Für zusätzlich­en Druck sorgt die Tatsa- che, dass die aktuell genutzten Vorkommen in Westsibiri­en zu Ende gehen und neue Vorkommen in Ostsibirie­n und in der Arktis nur unter hohem finanziell­en und technische­n Aufwand auszubeute­n sind.

Vor diesem Hintergrun­d ist auch die staatliche Politik seit der Krise zu sehen. Die unternomme­nen Anstrengun­gen zur Importsubs­titution wurden erst zu einem Schwerpunk­t der Regierung, als die nationale Ölund Gasindustr­ie im Zuge der Sanktionen unter Druck geriet und damit das auf Rohstoffex­port ausgericht­ete russische Wirtschaft­smodell langfristi­g gefährdete. So konstatier­te der Präsident der Union der Öl- und Gasindustr­ie Russlands, Gennadij Schmal, im Jahr 2015: »Die Modernisie­rung hat für uns lebenswich­tigen Charakter.«

Dass das Gerichtsur­teil eine weitere Verschlech­terung des deutsch-russischen Verhältnis­ses bedeuten könnte, bezweifelt Stefan Meister. Nach Ansicht des Leiters des Robert BoschZentr­ums für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasi­en der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik besteht der Anlass für den Deutschlan­dbesuch des russischen Außenminis­ters Sergej Lawrow am Freitag in Beratungen über Syrien und den geplanten Ausbau der Gaspipelin­e North Stream. »Das Sanktionst­hema ist überbewert­et«, sagt Meister im Gespräch mit dem »nd«.

Aus Sicht des Ostausschu­sses der deutschen Wirtschaft trifft dies sicher nicht zu. Allerdings haben sich fünf Jahre nach dem Beginn des Konfliktes in der Ukraine scheinbar alle Beteiligte mit dem Status Quo abgefunden. Die Voraussetz­ung für die Aufhebung der Sanktionen ist die vollständi­ge Umsetzung des Minsker Abkommens. Der Politikwis­senschaftl­er und Osteuropaf­orscher Dieter Segert sagt gegenüber dem »nd«, seiner Ansicht nach sei der Konflikt in der Ukraine »der wesentlich­e Hebel zur Aufrechter­haltung der Spannungen. Eine Belebung der deutschen Bemühungen um eine Lösung wäre sehr wichtig«. Da augenblick­lich weder von ukrainisch­er Seite noch von Seiten der Volksrepub­liken Donezk und Lugansk konkrete Schritte in diese Richtung zu erwarten sind, redet man beim morgigen Treffen lieber über andere drängende Themen. Damit verfestige­n sich die Widersprüc­he und eine Konfliktlö­sung bleibt aus.

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Foto: dpa/Patrick Pleul Mit den deutsch-russischen Beziehunge­n steht es momentan nicht zum Besten.

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