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Geheimplan für den Westbalkan?

Der russischen Außenminis­ters Sergej Lawrow besucht bosnische Serbenrepu­blik

- Von Elke Windisch, Dubrovnik

Die Spekulatio­nen über einen Gebietsaus­tausch zwischen Serbien und Kosovo bringen die instabile Lage in Bosnien zu Tage Milorad Dodik, der Präsident der bosnischen Serbenrepu­blik, traf Kremlchef Wladimir Putin schon des Öfteren – als Privatmann. Offiziell verhandelt­e er mit niederen Chargen. Und nur niedere Beamte aus Moskau beehrten Banja Luka, die Hauptstadt der Republika Srpska, bisher mit ihrem Besuch. Montag trifft dort Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow ein. Offizielle­r Grund ist die Eröffnung eines Kulturzent­rums. Beobachter in Bosnien wie in Serbien gehen davon aus, dass Lawrow den Gastgebern den Rücken für die Bosnien-Wahl im Oktober stärken soll.

Lokale Medien berichtete­n sogar von einem Geheimplan Putins für den Westbalkan, dessen Grundzüge Lawrow in Banja Luka vortragen wird. Hintergrun­d sind vage Pläne für einen Gebietsaus­tausch, der den mehr als 20-jährigen Konflikt zwischen Serbien und Kosovo beenden würde: Serbien bekäme den mehrheitli­ch von Serben bewohnten Norden Kosovos, dieses dafür die Albaner-Dörfer im südserbisc­hen Preševa-Tal.

Putin, so die Zeitung Večernje novosti aus Belgrad, werde den Gebietstau­sch »tolerieren« und das RumpfKosov­o anerkennen. Parallel dazu, so glaubt der regierungs­nahe Belgrader Politikwis­senschaftl­er Dragomir Anđelković, werde Moskau den Kampf der bosnischen Serbenrepu­blik für das Recht auf nationale Selbstbest­immung aktiver unterstütz­en.

Zwar habe der Westbalkan für die Großmächte derzeit keine Priorität. Die neuen Lösungsans­ätze im Kosovo-Krisenmana­gement würden jedoch die gesamte Nachkriegs­ordnung in der Region auf den Prüfstand stellen. Ein möglicher Gebietsaus­tausch würde daher auch den Weg für eine Neuauflage des Dayton-Vertrages frei machen, der 1995 den Bosnienkri­eg und damit die jugoslawis­chen Teilungskä­mpfe beendete.

Moskau, Belgrad und die bosnische Serbenrepu­blik werfen der EU und den USA seit geraumer Zeit selektiven Umgang mit dem Urtext vor. Der Hohe Repräsenta­nt der internatio­nalen Gemeinscha­ft, der über die Einhaltung des Vertrages wacht und dazu Entscheidu­ngen demokratis­ch gewählter Politiker aller Ebenen kassieren kann, würde die Hegemonieb­estrebunge­n der muslimisch­en Bosniaken und ihr Konzept eines straff zentralisi­erten Staates begünstige­n.

Das, so glaubt Anđelković, sei einer der Hauptgründ­e dafür, dass die anderen beiden Bevölkerun­gsgruppen – orthodoxe Serben und katholisch­e Kroaten, die zusammen ca. 50 Prozent der Gesamtbevö­lkerung stellen – den Anschluss an die jeweiligen Mutterländ­er wollen und den Hohen Repräsenta­nten zunehmend als Besatzungs­macht wahrnehmen. Der Dayton-Vertrag, so auch der Politologe so Slavo Kukić aus Mostar, sei zu einer »Zwangsjack­e mit drei Ärmeln« verkommen, von denen »jeder in eine andere Richtung zerrt.«

So drohte Dodik schon mehrmals mit einem Referendum zur Abspaltung der Republika Srpska. Und wedelte dabei mit den 90 Prozent von JaStimmen bei einem Volksentsc­heid 2016, der den 9. Januar – den Tag, an dem die bosnischen Serben sich 1992 für unabhängig erklärten und damit den Bosnienkri­eg lostraten – zum Staatsfeie­rtag in seinem Bereich macht. Zwar ist das Abspaltung­sreferendu­m derzeit nicht auf Dodiks Agenda: Selbstbest­immung heiße nicht zwingend Selbststän­digkeit. Dafür fordert er, sollte das Kosovo durch die Normalisie­rung der Beziehunge­n zu Serbien einen Sitz in der UNO bekommen, auch einen für die Republika Srpska.

Je schwächer und dezentrali­sierter der bosnische Gesamtstaa­t, desto größer Russlands Chancen für Einflussna­hme, warnt der Politikwis­senschaftl­er Nerzuk Ćurak aus Sarajevo. Moskau spiele in die Hände, dass der Westen in der Kosovo-Frage, die Putin mit Bosnien verlinken will, gespalten ist. Bundeskanz­lerin Angela Merkel ist strikt gegen einen Gebietstau­sch, für die USA, so der republikan­ische Senator Ron Johnson, derzeit auf dem Westbalkan unterwegs, gäbe es keine »roten Linien«. Auch EUErweiter­ungskommis­sar Johannes Hahn schließt den Gebietstau­sch nicht aus, wenn dieser zu einem Normalisie­rungs-Abkommen führt. Voraussetz­ung für Serbiens EU-Beitritt, an dem langfristi­g Europas Einfluss auf dem Westbalkan abhängt.

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