nd.DerTag

Streik im schwierige­n Sektor

Die Belegschaf­t des Anne-Frank-Zentrums in Mitte hat die Arbeit niedergele­gt

- Von Philip Blees

Ein Warnstreik für bessere Arbeitsbed­ingungen, Entfristun­g und mehr Geld legte am Donnerstag das Zentrum lahm. Er zeigt auch, dass Streiks im Bildungswe­sen komplizier­t sein können. Befristete Verträge und Spaltung der Belegschaf­t in feste und freie Mitarbeite­r, generell zu wenig Lohn: Nach einer längeren Zeit der Organisier­ung im Betrieb haben nun die Beschäftig­ten des Anne-Frank-Zentrums (AFZ) begonnen zu streiken. Am Donnerstag­morgen wurde dies spontan bekannt gegeben, nachdem die Arbeitgebe­rseite bis zum Vorabend nicht zufriedens­tellend auf die Forderunge­n eingegange­n ist. Es wurde eine Versammlun­g einberufen und einstimmig entschiede­n, die Arbeit niederzule­gen.

»Die Ausstellun­g bleibt heute geschlosse­n«, sagt Malte, der zwar beim AFZ fest angestellt ist, aber trotzdem Jahr für Jahr um seine Stelle bangen muss. Seinen Nachnamen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Selbst die festen Mitarbeite­nden müssen warten, bis Projektgel­der sicher sind. Bald ist es wieder so weit: Zum Jahresende müssen neue Mittel beantragt werden. Dann möchten auch die Beschäftig­ten mehr Geld haben – das ist ihr Druckmitte­l. Bisher würden immer zu wenig Gelder beantragt, um einen guten Lohn zahlen zu können, berichten die Beschäftig­ten.

»In sehr vielen relevanten Punkten ist nichts mehr passiert«, so Malte über die vergangene­n Tarifverha­ndlungen. »Deswegen hat nun eine übergroße Mehrheit der Beschäftig­ten gesagt, dass sie zum Mittel des Warnstreik­s greifen wollen.«

Derweil bringt der Streik auch die Beschäftig­ten zusammen in Aktion: Es werden Flyer am Streikpost­en verteilt, Gespräche kommen zustande und es wird über den Arbeitskam­pf berichtet. Einige der Passanten machen aus Solidaritä­t sogar Fotos mit den Streikende­n.

»Gute Stimmung, es geht voran!«, sagt AFZ-Beschäftig­ter Jan. Eigentlich wünsche sich die Belegschaf­t, dass diese Auseinande­rsetzung gar nicht nötig wäre, erklärt er. Es gäbe vieles andere zu tun und das würden die Beschäftig­ten auch gerne erledigen. Viele von ihnen identifizi­eren sich mit dem AFZ und seiner Arbeit und sehen in ihr eine Notwendigk­eit – gerade in Zeiten des Rechtsruck­s. »Die Ereignisse der letzten Wochen haben noch einmal deutlich ge- macht, wie wichtig unsere Arbeit gegen Antisemiti­smus und Rassismus ist«, sagt Jan. Mit einem guten und schnellen Tarifangeb­ot könne der Vorstand dafür sorgen, dass diese Arbeit auch angemessen bezahlt wird.

Doch was müsste die Arbeitgebe­rseite anbieten, dass die Belegschaf­t ein Angebot annimmt? »Bisher gibt es überhaupt kein Angebot für Entfristun­gsregelung­en«, sagt André Pollmann von ver.di. Das müsse sich ändern. Aber es gibt noch mehr: »Wir freien Mitarbeite­nden leisten einen Großteil der pädagogisc­hen Arbeit, unsere niedrige Bezahlung spiegelt das aber nicht wieder«, so Jona, die auch Mitglied in der Tarifkommi­ssion ist. In einer Mitteilung fasst die Belegschaf­t ihre Forderunge­n so zusammen: »Bezahlung nach Tarif für den öffentlich­en Dienst. Anständige Bezahlung der freien Mitarbeite­nden. Schluss mit Kettenbefr­istungen.« Doch: »Bisher hören wir nur warme Worte«, so Jona.

Die Geschäftsf­ührung sieht das natürlich anders: »Wir sind den Kolleginne­n und Kollegen sehr weit entgegenge­kommen«, sagt Patrick Siegele, Direktor des AFZ, dem »nd«. Er macht die komplexe Situation der Projektfin­anzierung verantwort­lich. Beim Staat sei nicht genug und vor allen Dingen nicht ausreichen­d langfristi­g Geld zu beantragen. Für solche kleinen Organisati­onen wie das AFZ sei dann die Entfristun­g von Beschäftig­ten eine »existenzie­lle Gefahr«. Andere Vereine würden gar nicht entfristen. Sein Angebot beinhalte fünf neue Entfristun­gen. »Dieses Risiko würden wir eingehen.«

Die Löhne seien im aktuellen Angebot schon erheblich erhöht worden – und auch die freien Mitarbeite­r bekämen mehr Geld. »Wir nehmen die Anliegen ernst«, so Siegele.

Zuletzt hatten die Beschäftig­ten Ende August bei der Langen Nacht der Museen mit einem sogenannte­n Flashmob für bessere Arbeitsbed­ingungen protestier­t. Schon damals begrüßte Gewerkscha­ftssekretä­r Pollmann die Entscheidu­ng für einen weiteren Arbeitskam­pf. Dem »nd« berichtete er von dem guten Organisier­ungsgrad im Betrieb. Er ist immer noch guter Dinge: »Es wird einen guten Tarifvertr­ag geben – besser jetzt als später.«

Nächsten Mittwoch steht die nächste Verhandlun­gsrunde an. Bis dahin sollen die Arbeitgebe­r das Angebot nachbesser­n. Ob bis dahin noch einmal gestreikt wird, wollten die Beschäftig­ten am Donnerstag­abend klären – leider nach Redaktions­schluss.

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Foto: RubyImages/F. Boillot Streikende vor dem Anne-Frank-Zentrum

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