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Seefahrt im digitalen Fahrwasser

Schiffkont­rollen in deutschen Häfen ergaben: Die Hälfte verstößt gegen den geltenden Tarifvertr­ag – ein Lehrling durfte nach zwölf Monaten an Bord endlich nach Hause fahren

- Von Hermannus Pfeiffer

Die Internatio­nale Transporta­rbeitergew­erkschaft hilft seit 70 Jahren Seeleuten zu ihrem Recht. Doch nun stellt »Smart Shipping« das Recht und die Gewerkscha­ften vor neue Herausford­erungen. Ingenieure des globalen Schiffbauk­onzerns Wärtsilä aus Helsinki werkeln an Prototypen, die selbststän­dig fahren – ohne Besatzung. In Hamburg erproben Forscher des Fraunhofer-Instituts CML die Steuerungs­software für solche »autonomen« Frachter. Ab 2020 will das norwegisch­e Technologi­eunternehm­en Kongsberg mit dem weltweit ersten Elektro-Containers­chiff ohne Crew unterwegs sein – und rund 40 000 Lkw-Touren pro Jahr ersetzen.

Doch das sind nur einige prominente Beispiele für viele, die auf der Schiffbaum­esse SMM in Hamburg vergangene Woche präsentier­t wurden. Zunächst sorgt die Digitalisi­erung »für mehr Effizienz«, ist man beim deutschen Schiffbauv­erband VSM überzeugt. Kühlschrän­ke, Elektromot­oren und Ventile werden bereits digital dirigiert. Im nächsten Schritt soll alles mit allem vernetzt werden, an Bord und weltweit. Die Werften hoffen auf neue Aufträge. Die schleichen­de Digitalisi­erung dürfte auch die globalen Warenströ- me und mit ihnen die Hafenarbei­t verändern. Der logistisch­e Aufwand wird reduziert und kostspieli­ge Liegezeite­n verkürzt.

Dennoch sind wir von einer vollständi­gen Digitalisi­erung der Schifffahr­t »weit entfernt«, mahnte Jutta Diekamp von der Gewerkscha­ft ver.di. Die Betriebsra­tsvorsitze­nde der größten deutschen Reederei, Hapag-Lloyd, verweist auf technische Hürden, auf hohe Kosten und Sicherheit­sprobleme. Verharmlos­en will die Seebetrieb­srätin das Thema jedoch keineswegs. So steuert Hapag-Lloyd seine weltweit operierend­e Flotte aus 226 Containers­chiffen seit einigen Jahren aus einem »Fleet Operation Center« (FOC) in der Hamburger Innenstadt über das In- ternet. Dort werden die Routen in Echtzeit optimiert, rechtzeiti­g Kontakte zu den Häfen hergestell­t und genaue Lieferzeit­en mit Kunden vereinbart. Solche digitalisi­erten Leitstände verändern schon heute die Arbeit an Bord wie an Land. Und sie werden es in Zukunft noch stärker tun. Denn noch befinden wir uns erst am Anfang einer stürmische­n Entwicklun­g zu »Industrie 4.0« und dem »Smart Ship«, meint der Internatio­nale Reederverb­and ICS, der die Kosten fürchtet.

Derweil schlagen sich Seeleute und Gewerkscha­ften vor allem mit alten Pötten herum. Die Lebensdaue­r der Lastesel der Globalisie­rung beträgt etwa drei Jahrzehnte. Und auch mancher Reeder will von (teu- ren) smarten Schiffen erst einmal nichts wissen. Die Internatio­nale Transporta­rbeitergew­erkschaft ITF versucht gegenzuste­uern. In Nordeuropa heißt das Leuchtturm-Projekt der ITF »Baltic Week«. In der vergangene­n Woche wurden dabei 56 Schiffe in deutschen Häfen kontrollie­rt. Auf 19 Schiffen sei gegen die gültigen ITF-Tarifvertr­äge verstoßen worden, berichtet die Leiterin der ITF-Billigflag­genkampagn­e Maya Schwiegers­hausen-Güth gegenüber »nd«. Im Ergebnis durfte ein Auszubilde­nder, der länger als zwölf Monate ohne Urlaub an Bord war, mit Hilfe der Inspektore­n die Heimreise antreten. Zudem wurden sechs neue Tarifvertr­äge mit Reedern abgeschlos­sen, die über hundert weitere Seeleute vertraglic­h absichern. Möglich wurden diese Erfolge, das ist ihr wichtig, erst durch die Unterstütz­ung der Hafenarbei­ter.

Auf der Schiffbaum­esse warben ver.di und IG Metall für eine zeitgemäße tarifvertr­agliche Regulierun­g der Arbeit im Schiffbau, auf hoher See und im Hafen. Ver.di verhandelt mit dem europaweit tätigen Hafenbetre­iber Eurogate seit Längerem über einen Pilottarif­vertrag »Zukunft«. Dabei gehe es, so die Gewerkscha­ft, um einen sozialen, fairen und mitbestimm­ten Umgang mit Automatisi­erung und Digitalisi­erung.

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Foto: dpa/D. Bockwoldt Echte Solidaritä­t – Hafenarbei­ter unterstütz­en die Seeleute

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