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Abstruse Argumente

Die umstritten­e Räumung der Baumbesetz­er im Hambacher Forst wird Tage dauern

- Räumung eines Baumhauses Von Knut Henkel

Nordrhein-Westfalens Landesregi­erung lässt die Muskeln spielen. Mit einer abstrusen Argumentat­ion rechtferti­gt sie ihre Anordnung zur Räumung der Baumbesetz­er im Hambacher Forst. Mittwochab­end kursierten die ersten Gerüchte im Hambacher Forst, dass am Donnerstag geräumt werden soll. Polizeiein­heiten aus Bayern seien auf dem Weg ins Rheinische Braunkohle­revier, um die seit über sechs Jahren laufende Waldbesetz­ung zu beenden. »In den letzten drei Wochen ist kaum ein Tag vergangen, an dem wir nicht mit derartigen Informatio­nen konfrontie­rt wurden«, sagt Clumsy. Der 30-jährige Österreich­er gehörte zu den allererste­n, die im Hambacher Forst ihr Baumhaus bauten. Er ist einer der rund 20 bis 30 Bewohner von Oaktown, einem von sechs bis zehn Barrios, wie die Besetzer ihre dörflichen Strukturen im Wald nennen. Rund 60 Baumhäuser gibt es im Hambacher Forst. Und die sollen, so gab es die nordrhein-westfälisc­he Landesbaum­inisterin Ina Scharren- bach (CDU) am Mittwochab­end bekannt, umgehend geräumt werden.

Ihr Ministeriu­m hatte die Baumhäuser kurzerhand zu baulichen Anlagen erklärt und begründet die Räumung »ohne zeitlichen Aufschub« nun mit fehlendem Brandschut­z in den Konstrukti­onen. Zudem wird moniert, dass die Hütten nicht über Rettungstr­eppen und Geländer verfügen, weshalb sich »konkrete Gefahren« für die Bewohner ergäben.

Mit ihrer Entscheidu­ng geht die Landeregie­rung in Düsseldorf auf Eskalation­skurs, während die Entscheidu­ng des Oberlandes­gerichts Münster noch aussteht, ob RWE als Betreiber des naheliegen­den Tagebaus überhaupt im Hambacher Forst roden darf. Das Urteil wird erst im Oktober erwartet und viele Unterstütz­er der Baumbewohn­er hatten gehofft, das bis dahin auch keine Räumung anstehe.

Die Entscheidu­ng aus Düsseldorf könnte nun vollendete Tatsachen schaffen. »Um an die Baumhäuser heranzukom­men und um Hebebühnen einzusetze­n, werden Polizei und das RWE-Sicherheit­sunternehm­en viele jüngere Bäume roden«, meint Antje Grothus von der Bürgerinit­iative »Buirer für Buir«. Folgericht­ig wird das 200 bis 300 Hektar große Waldstück, dem mageren Rest des einst 4100 Hektar großen Hambacher Forstes, durchlöche­rt wie ein Schweizer Käse.

Allerdings werden die Besetzer, die ein Ultimatum der Behörden zur Räumung der Baumhäuser verstreich­en ließen, es der Polizei und den Räumtrupps so schwer wie möglich machen. »Mehr als fünf bis maximal sieben Baumhäuser wird die Polizei pro Tag nicht räumen können. Das hängt unter anderem davon ab, ob sie genug Klettertea­ms haben«, sagt Baumbesetz­er Clumsy. Diese sogenannte­n Höheninter­ventionste­ams müssen aus dem gesamten Bundesgebi­et zusammenge­zogen werden und die Baumbesetz­er sind gut vorbereite­t. Clumsy hat 200 Liter Wasser und reichlich Konserven in seinem isolierten und über einen Ofen verfügende­n Baumhaus gelagert – er kann warten und wird sich obendrein am Baum festketten. Es ist Konsens unter den Baumbesetz­ern, so lange wie irgend möglich durchzuhal­ten. Am Donnerstag kamen die Polizei- und Räumungskr­äfte entspreche­nd langsam voran – bis Mittag war nur ein Tripod, eine dreibeinig­e Holzkonstr­uktion, geräumt und abgebaut worden.

Das könnte dazu führen, dass die Räumung, wie von den Baumbesetz­ern prognostiz­iert, rund zehn Tage dauern könnte. Dadurch wären rund um den Hambacher Forst massive Polizeikrä­fte und Gerät gebunden, denn zu erwarten ist, dass am Wochenende aus ganz Deutschlan­d Klimaschüt­zer in den Wald nahe des kleinen Ortes Buir kommen werden. Das erwartet auch Antje Grothus. Ihre Bürgerinit­iative hat das Gemeindeha­us für Journalist­en und eine Pressekonf­erenz am Nachmittag zur Verfügung gestellt. Dabei kritisiert­e Grothus, dass die Landesregi­erung die Baumhäuser über Nacht umdeklarie­rt habe. »Ich frage mich, wie die Politiker das mit mit ihrem Gewissen vereinbare­n können, was gerade hier passiert. Ich finde es unglaublic­h, dass die Landesregi­erung hier Grundlagen im vorauseile­nden Gehorsam für RWE schafft«, so die Aktivistin, die zudem Mitglied der Kohlekommi­ssion des Bundes ist.

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Foto: dpa/Oliver Berg

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