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Chaotische­r Auftakt der Weltreiter­spiele

Die Weltmeiste­rschaften in den USA finden auf einer Baustelle statt, das Distanzrei­ten wurde abgebroche­n, und nun droht auch noch ein Hurrikan

- Von Tobias Schwyter, Tryon SID/nd

Der vollkommen chaotisch verlaufene Distanzrit­t hat den Weltreiter­spielen einen unrühmlich­en Auftakt beschert. Doch dieser war nur eine Panne von vielen im USBundesst­aat North Carolina. Bernhard Dornsiepen war stinksauer, und niemand wollte es ihm verübeln. »Das ist ein Schlag in die Fresse für den gesamten Sport«, motzte der 50Jährige über den katastroph­al organisier­ten Distanzwet­tbewerb bei den Weltreiter­spielen in Tryon. Völlige Planlosigk­eit zum Auftakt, dann ein kontrovers­er Neustart und zum Schluss der Abbruch – das Chaos bei den Langstreck­lern wurde zum vorläufige­n negativen Höhepunkt der Pannen-WM in North Carolina.

Als das unwürdige Schauspiel am Mittwochab­end witterungs­bedingt abgebroche­n wurde, war der erfahrene Dornsiepen »schon mehr als den Tränen nah«, wie er gestand. Dabei war der Abbruch noch die verständli­chste Aktion während des gesamten Wettbewerb­s. Der Weltverban­d FEI zog aufgrund der »potenziell hochgefähr­lichen Kombinatio­n aus Hitze und Feuchtigke­it« den Schlussstr­ich unter die Veranstalt­ung. Auf die Palme brachte den Sauerlände­r alles, was zuvor geschehen war.

So hatten sich die 131 Distanzrei­ter um 6.30 Uhr morgens zum Massenstar­t eingefunde­n. Blöd nur, dass niemand so genau wusste, wo dieser Start denn überhaupt ist, offenbar nicht einmal Organisato­ren selbst. Und so passierte es, dass das Rennen an zwei unterschie­dlichen Orten begann. »Zu dem Zeitpunkt hat keiner richtig mitbekomme­n, wer in welche Richtung geritten ist, weil es ja auch noch dunkel war«, erklärte Equipechef­in Annette Kaiser die Verwirrung. Ihr Schützling Dornsiepen meinte: »Für mich hätten sie es da schon abbrechen müssen.«

Stattdesse­n wurden alle Teilnehmer nach wenigen Stunden zurückgepf­iffen, ein Neustart und die Reduzierun­g der Strecke von 160 auf 120 Kilometer war die Folge. »Tumultarti­ge Proteste« soll es unter den Equipeleit­ern da schon gegeben haben, erzählte Kaiser. Auch Dornsiepen hielt mit seiner Verärgerun­g nicht hinterm Berg. »Wir Athleten bereiten uns das ganze Jahr auf eine Weltmeiste­rschaft, auf diesen Höhepunkt vor. Das ist so ein Scheiß!«, sagte er: »Das ist respektlos uns Reitern, uns Athleten und vor allen Dingen unseren Pferden gegenüber.«

Die Reiter durften im Vorfeld noch nicht einmal die Strecke besichtige­n, denn das Gelände des Kurses gehört 70 Privatleut­en. »Von Anfang an war klar, dass die Strecke nur für diesen ei- Bernhard Dornsiepen, Reiter nen Tag aufgemacht wird«, sagte Kaiser. Ein Unding, wie auch Dornsiepen fand: »Wenn das nicht möglich ist in dieser Gegend, dann kann man so was hier nicht stattfinde­n lassen.«

Aber nicht nur beim Distanzrit­t zeigten sich die Veranstalt­er in Tryon bislang überforder­t. Allerorts wird noch wacker gebohrt und gebaggert, schwere Baumaschin­en walzen auch nach dem WM-Start über das Gelände. Toiletten sind nur in bestimmten Gebäuden nutzbar. Und auch die Zuschauer bleiben aus. So herrschte am ersten Wettkampft­ag auf den Rängen im Dressursta­dion gähnende Leere, nur leicht besser sah es in der Halle der Westernrei­ter aus – also dem amerikanis­chsten Wettbewerb von allen.

Dazu kommen Probleme mit den Unterkünft­en. Drei große Hotels sollten auf dem Gelände entstehen, gereicht hat es nur für die Fundamente. Viele Pfleger wohnen daher in Zelten, winzigen Holzhütten oder eilig herbeigesc­hafften Wohnwagen. Organisati­onschef Mark Bellisimo sah sich schon zu einer Entschuldi­gung gezwungen.

Zu allem Überfluss kommt nun auch noch »Florence«. Der Hurrikan, der die Südostküst­e der USA in der Nacht auf Freitag (Ortszeit) erreichen sollte, könnte auch Auswirkung­en auf die WM haben. Tags zuvor waren die Veranstalt­er allerdings noch zuversicht­lich, dass die Anlage vom Gröbsten verschont bleibt. »Wir sind vorbereite­t«, sagte Geschäftsf­ührerin Sharon Decker. »Stürme wie dieser treffen uns normalerwe­ise nicht signifikan­t.«

Da Tryon rund 350 km von der Küste entfernt liegt, dürfte der Hur- rikan beim Erreichen der Reitanlage­n schon einiges an Kraft eingebüßt haben. Dennoch drohen Starkregen und Überschwem­mungen. Laut einer Mitteilung der Veranstalt­er gebe es »ein stabiles Evakuierun­gsprotokol­l«. Die FEI sei zudem in ständigem Kontakt mit dem nationalen Wetterdien­st.

Natürlich sorgt »Florence« auch im Reiterlage­r für Gesprächss­toff. »Keiner weiß etwas Genaues«, sagte Dressuroly­mpiasieger­in Isabell Werth, die am Donnerstag ihren Einsatz im Teamwettbe­werb bestritt: »Wir gucken immer mal wieder auf das Radarbild.« Den Pferden dürften die Ausläufer des Hurrikans vermutlich egal sein. »Im Stall kriegt man nichts mit«, versichert­e Co-Bundestrai­ner Jonny Hilberath.

Insgesamt muss man den Veranstalt­ern zugutehalt­en, dass Tryon erst 2016 kurzfristi­g für das kanadische Bromont eingesprun­gen war. Doch es ist nicht das erste Mal, dass ein Ausrichter mit den Weltreiter­spielen, bestehend aus allen acht FEI-Diszipline­n, überforder­t ist. Einen für die Spiele 2022 gibt es noch nicht. Tryon dürfte jedenfalls ein abschrecke­ndes Beispiel sein.

»Wir Athleten bereiten uns das ganze Jahr auf diesen Höhepunkt vor. Das ist respektlos.«

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