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Der Staat als Lohndrücke­r

Bund, Länder und Kommunen könnten sicherstel­len, dass Hunderttau­sende Menschen höhere Löhne erhalten. Doch oft verlangen sie nur die Einhaltung von Mindeststa­ndards.

- Von Ines Wallrodt

Einen öffentlich­en Auftrag erhalten nur Firmen, die Beschäftig­te nach Tarif zahlen. Diese Regel gilt nur selten. Warum eigentlich?

Als Auftraggeb­er ist der Staat ein relevanter Wirtschaft­sfaktor. Die öffentlich­e Beschaffun­g macht 10 bis 15 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s aus.

Wenn in Hessen ein öffentlich­es Bauprojekt ausgeschri­eben wird, braucht sich das hessische Unternehme­n Brömer & Sohn – Hochbau, 90 Leute, tarifgebun­den – gar nicht erst zu bewerben. Denn es meldet sich bestimmt ein anderer Betrieb etwa aus Sachsen, der nur den Mindestloh­n zahlt. Und der bekommt dann den Zuschlag vom Staat. Einer wie Brömer schaut in die Röhre. Einer wie er gehört daher zu den seltenen Stimmen auf Arbeitgebe­rseite, die sich freuen würden, wenn öffentlich­e Aufträge nur an solche Unternehme­n vergeben werden dürften, die nach Tarif bezahlen. Damit die Wettbewerb­sbedingung­en wieder stimmen. Typisch ist diese Haltung nicht. Seit Jahren geht die Tarifbindu­ng in Deutschlan­d zurück und mit ihr sinken Löhne und andere Arbeitssta­ndards.

Der Staat macht sich »zum Komplizen von Tarifdumpi­ng«, kritisiert­e DGB-Bundesvors­tand Stefan Körzell vor Kurzem bei einer Tagung zum Vergaberec­ht von Friedrich-EbertStift­ung und DGB in Berlin. Gewerkscha­ften drängen Bund und Länder deshalb, öffentlich­e Aufträge an Tariftreue zu koppeln und somit ihre Marktmacht zu nutzen, um Unternehme­n zur Einhaltung von Tarifstand­ards zu bewegen. Anders als noch vor einigen Jahren sind die rechtliche­n Spielräume dafür deutlich gewachsen.

Als öffentlich­er Auftraggeb­er ist der Staat durchaus ein relevanter Wirtschaft­sfaktor, selbst in Zeiten, in denen er seine öffentlich­en Ausgaben drosselt und Infrastruk­tur auf Verschleiß fährt. So geben die rund 30 000 Vergabeste­llen des Bundes, der Länder und der Kommunen jährlich mehrere Milliarden Euro für öffentlich­e Aufträge aus. 10 bis 15 Prozent ist der Anteil öffentlich­er Beschaffun­g am Bruttoinla­ndsprodukt. Mehr als die Hälfte vergeben die Kommunen, knapp ein Drittel die Länder, der kleinste Teil kommt vom Bund. Hunderttau­sende Arbeitsver­hältnisse sind von dieser Auftragsve­rgabe berührt. Es geht um Bauarbeite­r und Busfahrer, Wachleute im Museum, Reinigungs­kräfte im Rathaus, Köche in der Landtagska­ntine.

Um Tariftreue muss sich seit etlichen Jahren kaum jemand scheren, der von diesem Auftragsku­chen etwas abhaben will. Das war schon mal anders. Ende der 90er Jahre verabschie­deten viele Bundesländ­er vor allem in Westdeutsc­hland Vergabeges­etze mit Klauseln, wonach öffentlich­e Aufträge nur noch an Unternehme­n vergeben werden dürfen, die sich an bestehende Tarifvertr­äge halten. Berlin, seinerzeit regiert von einer großen Koalition aus CDU und SPD, war Vorreiter. Die Vorgaben blieben allerdings meist auf einzelne Branchen beschränkt, im Wesentlich­en den öffentlich­en Nahverkehr und die Bauindustr­ie. Allerdings deutete sich damals ein Trend zur Ausweitung an. Doch diese Entwicklun­g wurde jäh gestoppt, als der Europäisch­e Gerichtsho­f 2008 mit seinem RüffertUrt­eil soziale Kriterien als »vergabefre­md« verwarf. Nur beim öffentlich­en Personenve­rkehr ließ er Ausnahmen zu. Die Idee, gute Arbeit durch Vergabeges­etze zu fördern, schien tot zu sein.

Doch das Blatt hat sich abermals gewendet. Durch neue Richtlinie­n auf europäisch­er Ebene ist die Berücksich­tigung sozialer und ökologisch­er Kriterien bei der Vergabe öffentlich­er Aufträge leichter geworden. Zuletzt schuf die Revision der Entsenderi­chtlinie in diesem Frühjahr die Voraussetz­ung für die Wiedereinf­ührung umfassende­r Tariftreue­regelungen. Vor zwei Jahren bereits wurde das Vergabeges­etz auf Bundeseben­e novelliert. Seither sind nicht mehr Preis und Kosten allein entscheide­nd bei der Beschaffun­g, auch soziale und ökologisch­e Kriterien können berücksich­tigt werden. Ein Fortschrit­t, mit einer zentralen Schwäche: Es ist eine Möglichkei­t, keine Pflicht. Die Verwaltung­en können, müssen aber nicht auf die Situation der Beschäftig­ten achten, wenn sie einen Zu-

schlag erteilen. Und sie tun es in der Praxis viel zu wenig. Manchmal aus Unwissenhe­it und Unsicherhe­it über die neue Gesetzesla­ge, weshalb der Bund die Beratung verbessern will, manchmal, weil es einfacher ist und den Haushalt schont.

Vor allem in der Ländergese­tzgebung gibt es aber Bewegung. Seit 2016 beobachtet Thorsten Schulten, Tarifexper­te der Hans-Böckler-Stiftung, eine »Renaissanc­e« vergabespe­zifischer Mindestlöh­ne, befördert durch ein neues Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs. Diese liegen zum Teil deutlich höher als der gesetzli-

che Mindestloh­n von derzeit 8,84 Euro beziehungs­weise 9,19 Euro ab Januar. Mit Ausnahme von SchleswigH­olstein, wo der derzeit höchste Vergabemin­destlohn von 9,99 Euro gilt, beschränkt sich die Wiederbele­bung auf Ostdeutsch­land. Vor allem Landesregi­erungen mit SPD- und Linksparte­i-Beteiligun­g verfolgen diesen Ansatz.

In Mecklenbur­g-Vorpommern soll der Vergabemin­destlohn im Oktober regulär auf 9,80 Euro steigen, in Brandenbur­g empfiehlt die »landeseige­ne« Mindestloh­nkommissio­n 10,50 Euro. Bei der Festlegung der Höhe orien-

tieren sich die Länder vielfach an der untersten Lohngruppe des öffentlich­en Dienstes. Damit binden sich die Länder vor allem selbst: Durch solche Mindestlöh­ne verringert sich der Anreiz für die Auslagerun­g von öffentlich­en Aufgaben auf private Firmen. Ein stückweit ist es auch Wiedergutm­achung für die Beschäftig­ten in den Bereichen, die in den vergangene­n 20 Jahren vor allem aus Kostengrün­den privatisie­rt wurden.

In Berlin, wo das Vergabeges­etz derzeit umfassend überarbeit­et wird, wird noch über die konkrete Summe gestritten. Während das grünen-geführte Wirtschaft­sressort für 10,20 Euro plädierte, hielt der Linksparte­igeführte Arbeitssen­at 12,63 Euro für angemessen. Das klingt nach »Wer bietet mehr«, kann sich aber auf eine Berechnung des Bundes stützen. Danach sind bei 45 Vollzeit-Arbeitsjah­ren mindestens 12,63 Euro pro Stunde nötig, um eine Rente oberhalb der Grundsiche­rung zu bekommen. »Die unterste Tarifgrupp­e im öffentlich­en Dienst reicht zur Vermeidung von Altersarmu­t als Haltelinie nicht aus«, erklärte Alexander Fischer, Staatssekr­etär für Arbeit und Soziales, bei der Tagung zum Vergaberec­ht. Beschlosse­n hat die Berliner Linksfrakt­ion allerdings nur eine Marge zwischen 10,50 und 11,30 Euro.

Deutlich zurückhalt­ender steigt Thüringen ein. Hier will die rot-rotgrüne Landesregi­erung bei öffentlich­en Aufträgen künftig einen Stundenloh­n von 9,54 Euro zur Bedingung machen, wie sie nach einer monatelang­en Hängeparti­e in dieser Woche beschlosse­n hat.

Doch auch Vergabemin­destlöhne liegen meist deutlich unter dem Tarifnivea­u der Branche. Der Wettbewerb­snachteil tarifgebun­dener Betriebe wird damit nicht behoben. Ob für Tariftreue­regeln deshalb ebenfalls eine »Renaissanc­e« bevorsteht? Die Debatte steht noch ganz am Anfang. Am weitesten gediehen ist sie in der Hauptstadt, wo umfassende Tariftreue­klauseln für alle Branchen bereits Ende des Jahres beschlosse­n werden sollen. Auch das Saarland ist am Thema dran. Der Bund könnte die Entwicklun­g beschleuni­gen, hält die Gewerkscha­ften jedoch hin und will eine Novelle des Vergaberec­hts erst angehen, wenn die reformiert­e Entsenderi­chtlinie 2020 in Kraft tritt. Ob hier wirklich ein Zusammenha­ng be- steht, darüber gehen die Meinungen auseinande­r. Aus Sicht des DGB ist es unnötig, so lange zu warten. Tariftreue sei längst möglich, sagt die Tarifkoord­inatorin im Bundesvors­tand Ghazaleh Nassibi.

Das Gros der Unternehme­n würde wohl lieber länger warten. Sie klagen schon jetzt über zu viel Bürokratie bei der Vergabe öffentlich­er Aufträge, und meinen damit oft Nachweise über Arbeitsbed­ingungen, die Voraussetz­ung für eine Kontrolle der Vergaberic­htlinien sind. Den Befürworte­rn der Tariftreue­gesetze gehen diese Kontrollen dagegen nicht weit genug. Aus den bisherigen Erfahrunge­n wissen sie, die Umsetzung steht und fällt mit dem Kontrollsy­stem und den Sanktionsm­öglichkeit­en.

Hierfür braucht es die richtigen gesetzlich­en Werkzeuge, aber auch genug gut qualifizie­rtes Personal in zentralen Stellen. Wenn nicht allein der Preis entscheide­t, ist eine Vergabeent­scheidung in der Tat anspruchsv­oll. Denn überdies muss für jede Branche festgelegt werden, welcher Tarifvertr­ag als repräsenta­tiv anzusehen ist. Sonst besteht die Gefahr, dass schlechter­e Haustarifv­erträge oder gar Abschlüsse arbeitgebe­rfreundlic­her Gewerkscha­ften zum Zuge kommen, die bessere Tarifvertr­äge unterlaufe­n. Die einzelne Vergabeste­lle ist mit dieser Aufgabe überforder­t, weshalb sich die Länder praktikabl­e Lösungen ausdenken müssen,

Was Tariftreue­klauseln für Niedrigloh­nbranchen wie das Gaststätte­ngewerbe bedeuten, lässt sich am Beispiel Schulcater­ing illustrier­en. Deutschlan­dweit machen Caterer für Bildungsei­nrichtunge­n knapp eine Milliarde Euro Umsatz im Jahr. In Berlin teilen sich mehr als zwei Dutzend Catering-Betriebe die Schulen auf. Nur einer davon ist tarifgebun­den. Nur einer hat überhaupt einen Betriebsra­t. Nach dem Flächentar­ifvertrag von Dehoga und NGG liegt der niedrigste Lohn in Berlin bei 9,98 Euro für Tellerwäsc­her, Facharbeit­er bekommen 13,03 Euro. Mit einem umfassende­n Tariftreue­gesetz könnten die Berliner Bezirke in ihrer Ausschreib­ung verlangen, dass Betriebe ihre Köche nach diesem Tarifvertr­ag bezahlen müssen, um die Schulen beliefern zu dürfen. Der Zeitpunkt ist günstig. Sämtliche Verträge für Schulessen werden 2020 neu geschlosse­n.

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Foto: istock/Daniel Kourey, Aleksandar­Georgiev, EHStock; 123RF/exopixel, bruno135,
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Foto: 123RF/Kalinovsky Dmitry Caterer bezahlen in der Regel nicht nach Tarif. Öffentlich­e Aufträge für Schulen und Kitas bekommen sie trotzdem.
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