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Nach dem Crash ist vor dem Crash

Zehn Jahre nach Lehman gibt es in der Finanzwelt keinen Grund zu Sorglosigk­eit

- KSte

Berlin. »Allein den Bund dürfte die Stabilisie­rung des hiesigen Finanzsekt­ors bislang etwas mehr als 30 Milliarden Euro gekostet haben«, schreibt Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) in einem »FAZ«-Gastbeitra­g. Anlass ist der Jahrestag der Pleite der US-Investment­bank Lehman Brothers an diesem Samstag. »Ähnlich hoch dürfte der Anteil der Länder sein.« Die genaue Bilanz lasse sich aber erst in einigen Jahren ziehen, so Scholz weiter. Die Bankenrett­ung im Herbst 2008 sei zwar alternativ­los gewesen, doch es seien damals auch Fehler gemacht worden. So hätte man »stärker darauf beharren sollen, deutsche Finanzinst­i- tute zu zwingen, zur eigenen Absicherun­g staatliche Unterstütz­ung anzunehmen«.

Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter sieht dagegen eher die aktuelle Regierung gefordert: »Akut nach Ausbruch der Krise hat die Bundesregi­erung viele Versprechu­ngen gemacht, außer kleinteili­ger Alibi-Regulierun­g aber kaum eine davon umgesetzt.« Im Verhältnis von Staat und Finanzbran­che sei ein »Paradigmen­wechsel« überfällig. Vor »einer tickenden Zeitbombe« warnt indes der Vizevorsit­zende der Linksfrakt­ion im Bundestag, Fabio De Masi, angesichts von Milliarden an faulen Krediten in den Bankbilanz­en. »Die De- mokratie wird einen erneuten Crash nicht überleben.«

Weitaus niedrigere­n »Stress« als vor zehn Jahren sieht dagegen das DGB-nahe Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK). Die von Politik und Zentralban­ken ergriffene­n Maßnahmen haben die Finanzmärk­te sicherer gemacht. Allerdings könnte sich das wieder ändern – auch, weil die Regulierun­g noch nicht vollständi­g umgesetzt wurde, in den USA wird sie teilweise sogar wieder zurückgeno­mmen. »Es besteht also auch zehn Jahre nach der Krise kein Anlass, sorglos zu werden«, so die IMK-Autoren.

Die großen US-Banken haben sich nach der Pleite von Lehman Brothers dank Staatshilf­e schnell wieder berappelt und sind heute stärker denn je. Ganz anders sieht es in Europa aus. Am 15. September 2008 blickte die Finanzwelt in den Abgrund. Die USBank Lehman Brothers implodiert­e und machte aus einer amerikanis­chen Immobilien- und Bankenkris­e eine globale Finanzkris­e. Doch wo Verlierer sind, sind auch Gewinner, und die sitzen ausgerechn­et in den Vereinigte­n Staaten.

Die US-Großbanken hängen ihre europäisch­en Wettbewerb­er immer mehr ab. In diesem Jahr erwirtscha­fteten die nach Bilanzsumm­e zehn größten europäisch­en Banken bis Ende Juni rund 26 Milliarden Euro Gewinn – die zehn größten US-Häuser dagegen umgerechne­t 69 Milliarden Euro. Die Deutsche Bank erreichte nach Steuern »nur« einen Gewinn von knapp einer halben Milliarde Euro. Zum Vergleich: JP Morgan und Bank of America brachten es auf rund 15 beziehungs­weise zwölf Milliarden Euro. Der Zuwachs der US-Profite beträgt 19 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das macht sich auch beim Börsenwert bemerkbar: Unter den Top 10 befinden sich vier US-Banken, darunter JP Morgan auf Platz eins, und nur eine aus Europa: die britische HSBC.

Damit verstärkt sich eine seit Jahren anhaltende Entwicklun­g. »Seit 2012 sind die Gewinne der amerikanis­chen Banken jeweils mindestens doppelt so hoch wie die ihrer europäisch­en Konkurrent­en«, stellt die internatio­nale Unternehme­nsberatung Ernst & Young fest. Zehn Jahre nach der Krise seien die US-Banken sogar wieder auf Rekordkurs. Dafür gibt es Gründe: Die US-Wirtschaft boomt, Trumps Steuerrefo­rm greift. Die wieder gestiegene­n Leitzinsen sorgen für höhere Einnahmen aus dem Kreditgesc­häft. Und traditione­ll ist der Wettbewerb­sdruck für Großbanken schwächer als in Europa mit seinen vielen Ländern und Banken. Daher können US-Institute höhere Gebühren von ihren Kunden verlangen.

Den wichtigste­n Grund sehen Experten jedoch in der Bewältigun­g der Folgen der Lehman-Pleite. »Die US- Banken sind schneller durch die Krise gekommen, weil die USA Banken unter staatliche­r Regie beherzter ausgemiste­t und neu geordnet haben«, sagt Fabio De Masi, Obmann der Linksfrakt­ion im Finanzauss­chuss des Bundestags, gegenüber »nd«. Mehr als 100 kleinere Regionalba­nken mussten während der Finanzkris­e schließen oder wurden fusioniert. Großbanken übernahmen straucheln­de Konkurrent­en. So schluckte JP Morgan, abgesicher­t durch die Regierung, die Investment­bank Bear Stearns sowie die landesweit größte Sparkasse Washington Mutual.

Gleichzeit­ig stärkte die US-Regierung mit einer Finanzspri­tze in dreistelli­ger Milliarden­höhe das Eigenkapit­al der wankenden Geldgigant­en. Wenig später zog das Finanzmini­sterium das Kapital wieder ab und verhängte saftige Geldbußen wegen der dubiosen Immobilien­geschäfte, die 2007 in die Krise geführt hatten.

In Europa dauert der Umbau hingegen immer noch an. Jüngst räumte der ehemalige Deutsche-Bank-Chef Jürgen Fitschen ein, dass sein Haus um Staatshilf­e hätte ersuchen sollen. Vorgänger Josef Ackermann hatte seinerzeit hingegen großspurig getönt: »Ich würde mich schämen, wenn wir in der Krise Staatsgeld annehmen würden.« Aber auch Wolfgang Schäuble, seit 2009 Finanzmini­ster, soll sein Veto eingelegt haben.

Doch auch Europa kennt Gewinner. In Deutschlan­d und einigen anderen Ländern profitiere­n Banken und die Sparkassen von der langen guten Konjunktur. Dagegen ächzen Institute in Italien, Griechenla­nd und anderswo unter einem Berg fauler Kredite. »Die Wurzel des Problems ist die Wettbewerb­sschwäche an der Peripherie«, stellt Jochen Zimmermann, Wirtschaft­swissensch­aftler an der Uni Bremen, fest. Hohe Staatsschu­lden und schwache Wirtschaft­sleistung schwächten das Kreditport­folio der Banken immer weiter.

Zu den Gewinnern zählen auch die »Schattenba­nken«. Kapital, welches nach höheren Renditen sucht und daher riskant angelegt werden muss, flieht aus den beaufsicht­igten Banken in unregulier­te Finanzfirm­en. Selbst Versicheru­ngen wie die Münchner Rück bereitet die neue Konkurrenz inzwischen Sorgen. So spekuliere­n milliarden­schwere Investment­fonds mit »Katastroph­enBonds« auf Stürme und Überflutun­gen. Mittlerwei­le werden 40 Prozent der europäisch­en Finanzmärk­te von Schattenba­nken kontrollie­rt, meldete kürzlich der EU-Systemrisi­korat ESRB. Das entspricht einer Summe von 42 Billionen (!) Euro.

Zu den Gewinnern der Krise gehören auch Reiche und profession­elle Geldanlege­r, die von den rasant steigenden Aktienkurs­en profitiere­n. So stieg der deutsche Leitindex DAX seit seinem Krisentief Mitte 2009 von deutlich unter 4000 Punkten auf jetzt über 12 000 Punkte. Getrieben wurde der weltweite Aktienboom von der Geldflut der Zentralban­ken.

Zu den Verlierern zählt auch die Gerechtigk­eit. »Die letzten beiden Rezessione­n in Deutschlan­d wurden dadurch ausgelöst, dass Finanzblas­en geplatzt sind«, mahnt Gustav Horn, wissenscha­ftlicher Direktor des Wirtschaft­sforschung­sinstituts IMK. Eine tiefe, lang andauernde Rezession schädige vornehmlic­h Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen, die auf ihre Arbeit angewiesen sind.

So könnte das rasante Comeback der US-Großbanken noch zum Bumerang werden. Sie agieren, teilweise selbst über Schattenba­nken, wieder ähnlich abenteuerl­ich wie vor der Krise. Zudem hat US-Präsident Donald Trump angekündig­t, die Banken ganz von der Leine zu lassen. LINKEPolit­iker De Masi warnt denn auch vor neuen Finanzblas­en, da das billige Geld »angesichts unzureiche­nder öffentlich­er und privater Investitio­nen« in die Finanzmärk­te floss.

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Foto: imago/UPI Photo Nach der Lehman-Pleite brach Panik an den Börsen aus – viele Anleger wollten ihre Wertpapier­e nur noch rasch loswerden.
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Foto: dpa/Frank Rumpenhors­t Gewitter über der Banken-Skyline von Frankfurt am Main

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