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Hilflose Geisterbes­chwörung

Warum die Konservati­ven nicht verstehen wollen, dass ihr Feind heute rechts steht

- Von Tom Wohlfahrt

Der Konservati­smus scheint wieder im Kommen zu sein. Seit Jahresbegi­nn schon hauen einige jüngere Wilde in der Union mächtig auf die Pauke einer im Wortsinn paradoxen »bürgerlich-konservati­ven Revolution«. In diesem Manöver wollen sie mit einer reaktionär­en Rechten konkurrier­en, die indes nur immer weiter ihre Reihen schließt.

Da hat es auch nicht viel geholfen, dass sich zwischenze­itlich besonnener­e Zeitgenoss­en zu Wort gemeldet haben. Etwa Winfried Kretschman­n, der sich in der FAZ bemüht hatte, das zerbrochen­e Porzellan als produktive Zerstörung aufzukehre­n und zu einem neuen, gemäßigten Wertkonser­vatismus zusammenzu­setzen. Bisher hat sich dieser Ansatz leider nicht wirklich als erfolgreic­h erwiesen. Den Ton der Debatte geben weiterhin die Polterer an. Und ungeklärt scheint im deutschen Zusammenha­ng auch die Frage zu sein, ob der wahre Gegner des Konservati­smus nun eigentlich auf der linken oder der rechten Seite des politische­n Spektrums zu finden sei.

Eine bündige Antwort darauf schlägt der US-amerikanis­che Politologe Corey Robin in seinem Buch »The Reactionar­y Mind« vor. Seine Überlegung­en zum Konservati­smus seit Edmund Burke passen hervorrage­nd in die politische Landschaft nach der Wahl Donald Trumps zum Präsidente­n der USA und wurden im vergangene­n Herbst in diesbezügl­ich aktualisie­rter Fassung neu aufgelegt.

»Konservati­v« und »reaktionär« sind für Robin zunächst Synonyme. Denn er verortet den Ursprung des Konservati­smus historisch in der Reaktion auf die progressiv­en Ideen der US-amerikanis­chen und vor allem der Französisc­hen Revolution. Die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Solidaritä­t hätten die alte Herrschaft­sordnung zum Einsturz gebracht – und der gegenaufkl­ärerische Versuch, sie wieder aufzubauen, betonte gegenüber dem Egalitaris­mus der Revolution­äre stattdesse­n die über Jahrhun- derte vermeintli­ch natürlich gewachsene Vielschich­tigkeit einer sozialen Ordnung unversöhnl­icher Widersprüc­he zwischen Herrschend­en und Beherrscht­en. Das Angebot der Gegenaufkl­ärung war eine Art konservati­ve Koalition zwischen Elite und Masse, in der die erste die zweite zur Kompensati­on für den Status Quo der Herrschaft­sverhältni­sse mit rassistisc­hen oder imperialis­tischen Privilegie­n ausstattet­e.

So konnten sich über die Jahrhunder­te recht unterschie­dliche Strömungen unter dem Dach des Konservati­smus vereinen. Und darum ist auch die charakteri­stische, selbstbewu­sste (Selbst-)Widersprüc­hlichkeit Trumps, die Robin dokumentie­rt, kein Widerspruc­h zu seinem Konservati­smus. Und wenn sich auch die Radikalitä­t seines Rassismus und Populismus von seinen direkten konservati­ven Amtsvorgän­gern abheben mag, so steht sie doch in einer Linie des USamerikan­ischen Konservati­smus von den 1920er Jahren über die Zeiten Richard Nixons und Ronald Reagans bis hin zur sogenannte­n Tea-Party-Bewegung von heute.

Dennoch ist der Aufstieg Trumps für Robin – widersprüc­hlicherwei­se – ein Symptom nicht der Stärke, sondern der Schwäche des Konservati­smus. Die bewährte Verbindung aus Elitismus und Populismus ist brüchig geworden. In dieser Krise suchen viele Konservati­ve ihr Heil in der Radikalisi­erung. Gerade angesichts des drohenden Untergangs der konservati­ven Idee und Bewegung werden die rassistisc­hen Rufe lauter, die populistis­chen Schreie schriller.

Die US-amerikanis­che Rechte ist allerdings nicht deshalb schwach, weil die Linke so stark ist. Im Gegenteil: Linke Bewegungen wie »Occupy«, »Black Lives Matter« und Bernie Sanders‘ Kampagne für einen demokratis­chen Sozialismu­s sind kleine Fische gegen die nachhaltig­en Erfolge, die Amerikas konservati­ve Präsidente­n seit Nixon im Sinne ihrer Agenden erzielen konnten.

Der Sieg der Konservati­ven ist aber letztlich nur das Vorspiel zu ihrer ei- genen Überflüssi­gkeit. Denn als echte Konterrevo­lutionäre brauchen sie sie einen starken Gegner. Ohne diesen aber schwindet auch ihr eigener Zusammenha­lt. Und je offensicht­licher dieser Gegner fehlt, desto greller muss sein Schreckges­penst gezeichnet werden – etwa in Gestalt von »Obamacare«, der tatsächlic­h ja eher eher zaghaften Krankenver­sicherungs­reform von Trumps Amtsvorgän­ger Barack Obama.

Hier scheint aber eine weitere Widersprüc­hlichkeit auf. Denn einerseits haben die konservati­ven USPräsiden­ten der vergangene­n Jahrzehnte viele Errungensc­haften der Bürgerrech­tsbewegung rückgängig gemacht. Segregatio­n und Wohl- standsgefä­lle zwischen Weißen und Nichtweiße­n sind heute ausgeprägt­er als selbst unter Nixon oder Reagan. Doch anderersei­ts gilt das ebenso für die Wohlstands­unterschie­de zwischen reichen und armen Weißen – und die kulturelle Macht und Sichtbarke­it von Nichtweiße­n hat, trotz ihrer auch unter Obama fortgesetz­ten ökonomisch­en Marginalis­ierung, deutlich zugenommen. Ähnliches gilt für die LGBTQ*-Community, für den Feminismus oder auch für Klimaschut­zbewegte.

Das eigentlich­e Problem ist die Verknüpfun­g des ursprüngli­ch vom konservati­ven Reagan stark gemachten wirtschaft­lichen Neoliberal­ismus mit progressiv­en Ideen wie den Frauenund Minderheit­enrechten seit der Re- gierung Bill Clintons. Dieser »progressiv­e Neoliberal­ismus«, wie ihn die Politologi­n Nancy Fraser nennt, hat letztlich beide Lager besiegt – sozusagen die Politik insgesamt – indem er das Primat der Wirtschaft über die Politik, des Marktes über die Demokratie zementiert­e. Dies ist deshalb so nachhaltig gelungen, weil sich beide Seiten, vor allem aber die Linke, einbilden konnten, sie hätten in diesem oder jenem Bereich obsiegt. Tatsächlic­h aber hatten beide Lager gegen einen anderen Feind verloren. So ist aus einem politische­n Vakuum ein neuer Feind entstanden: ein demokratie­feindliche­r, autoritäre­r, nationalis­tischer Populismus, der wieder einfache Lösungen für komplexe Problemlag­en verspricht.

Im Zweipartei­ensystem der USA scheint das auf den ersten Blick keine direkte Existenzge­fährdung für die etablierte­n Parteien zu sein, zumal für die Republikan­er, die die populistis­che Bombe Trump, dieses »schwarze Loch des sich auflösende­n Konservati­smus« (Robin), einfach geschluckt hat und nun mehr oder weniger erfolgreic­h versucht, sie zu verdauen.

In Europa aber kommen und gehen Parteien des Öfteren. Genau dieser Gefahr wollen Konservati­ve wie Alexander Dobrindt (CDU) oder Jens Spahn (CSU) ja mit ihrer negativen Beschwörun­g des Geistes von 1968 sowie des Klischees vom globalisie­rten Großstadth­ipster als neu-altem Feindmytho­s begegnen. Sie wollen das gespaltene rechte Lager unter der Flagge eines bürgerlich-bayerische­n, will sagen »heimatlich­en«, Nationalko­nservatism­us wieder zusammenbi­nden. Allerdings sind auch hierzuland­e die Bruchlinie­n komplexer. Während in den USA und in Großbritan­nien mit Reagan und Thatcher der neoliberal­e Geist in den 1980er Jahren im konservati­ven Körper erschien, war es in der einmal wieder etwas verspätete­n Nation den »Alt68ern« Gerhard Schröder und Joseph Fischer vorbehalte­n, mit ihrer (klassische­n) progressiv-neoliberal­en Agenda zumindest den Impetus po- litökonomi­schen Geist von 1968 zu Grabe zu tragen, Machtfrage­n zu stellen (politökono­mische Fußnote für Dobrindt: Rot-Grün war die einzige nicht ganz so bürgerlich­e Bundesregi­erung der vergangene­n 35 Jahre). Was also konservati­ve Kritiker bei ihren Vorstößen gegen links oft geflissent­lich verschweig­en, ist die Tatsache, dass die Konservati­ven heute ihren wahren Feind nicht auf der linken, sondern auf der rechten Seite haben.

Und dennoch haben sie ja nicht völlig unrecht: Ein Großteil dessen, was ehemals konservati­v war, hat sich, nicht zuletzt unter der Kanzlerinn­enschaft Angela Merkels, weit in Richtung Mitte bewegt. Dort trifft es aber eben keineswegs auf ein lebendiges, sondern auf ein allenfalls untotes Erbe von ’68, das die linke Kernfrage der politisch-ökonomisch­en Machtverhä­ltnisse aufgegeben hat zugunsten von Identitäts­politik und kulturelle­m Kapitalism­us. In diesem wächst auch aus Sicht des Kapitals nun nur noch immer weiter zusammen, was zusammenge­hören soll: Wirtschaft und Politik, Markt und Demokratie, und endlich sogar links und rechts. Ein Burgfriede­n, der in kulturell-kapitalist­ischem Konsens der Mitte die Herrschaft­sverhältni­sse unangetast­et lässt.

Die Krise des Konservati­smus ist also zugleich eine Krise der Politik, und damit auch der progressiv-emanzipato­rischen. Doch die etablierte­n konservati­ven Parteien erleben das inzwischen womöglich als existenzge­fährdender als die progressiv­en, weil sie eher in Gefahr sind, vom neuen konservati­ven Radikalism­us lahmgelegt zu werden, während die Linke nun eigentlich ein klareres Feindbild haben könnte, so sollte man zumindest denken.

In Corey Robins Sinne möchte man also dem Konservati­smus – und nicht nur ihm – vielleicht doch eine repolitisi­erte, wieder erstarkte Linke wünschen, damit er sich nicht weiter aus Angst vor der Rechten in Geisterbes­chwörungen immer weiter radikalisi­eren muss.

Die konservati­ven Parteien erleben die Krise der Politik womöglich als existenzge­fährdender als die linken, weil sie eher in Gefahr sind, vom konservati­ven Radikalism­us lahmgelegt zu werden.

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