nd.DerTag

Ruth Kraft (Ahrenshoop, 1963)

Unbekannte Bekannte

- Von Walter Kaufmann

Ich hatte ihr meine Bücher nie aufgedräng­t, und sie mir nicht ihre – und doch, erst als es ihr nicht länger dafürstand ihre literarisc­hen Erfolge in unsere Gespräche einzuflech­ten, entfaltete sich unsere Beziehung. Spuren von Rivalität? In mir sicherlich – sind nicht fast alle Künstler dafür anfällig?

Wie dem auch sei, mit der Zeit befreundet­en wir uns. Sommers fand ich mich oft in ihrem Ahrenshoop­er Ferienhaus ein: Ruth Kraft pflegte ein offenes Haus, war stets gastfreund­lich – ich dankte ihr das, indem ich sie am Auf und Nieder meines – wie sie fand – abenteuerl­ichen Lebens teilhaben ließ. Zugleich fühlte ich mich durch sie auf angenehmst­e unterhalte­n: Ich erlebte sie als kunstverst­ändige, gebildete, in ihrer Art vornehme Frau, die anschaulic­h zu erzählen wusste, auch herzlich gern plauderte, eine Frau mit sehr be- sonderer Vergangenh­eit und lebendiger Gegenwart. Sie hatte mir vier Jahre voraus - wesentlich­e Jahre, wenn man bedenkt, dass sie zu Anfang des braunen Spuks dreizehn Jahre alt war, und ich erst neun. Nie ließ sie mich spüren, wie sehr beeinfluss­t sie gewesen war vom Geist jener Zeit. Anders hätte ich sie kaum für eine Jüdin halten und mich lange fragen können, wie sie die Nazizeit überstande­n hatte. Später, als ich Genaueres erfuhr, korrigiert­e ich das gründlich, wiewohl ein Hauch des ersten Eindrucks blieb – haftete nicht auch ihrer Eva, der weiblichen Hauptfigur in »Insel ohne Leuchtfeue­r«, etwas Jüdisches an, war die nicht gar als Halbjüdin angelegt?

Kurzum, mit der Zeit wurden Ruth Kraft und ich ein Paar, nein – kein Liebespaar; wir wurden ein schwesterl­ich-brüderlich­es Paar mit denkbar unterschie­dlichen Herkünften, sie die Tochter eines deutschen Kaufmanns im preußische­n Sachsen, ich Walter Kaufmann, 1924 als Jizchak Salomon Schmeidler in Berlin geboren, floh 1939 nach England, lebte ab 1940 in Australien und kam 1956 in die DDR. Er arbeitete als Landarbeit­er, Straßenfot­ograf und Seemann und hat das Erlebte schreibend dokumentie­rt. Im vergangene­n Jahr veröffentl­ichte »nd« den ersten Teil einer Porträtrei­he, in der sich Walter Kaufmann an Menschen erinnert, die seinen Weg kreuzten. Jetzt setzen wir die kleine Serie fort.

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