nd.DerTag

Fußball als Freiheitsk­ampf

Gegen Gewalt und Anfeindung­en: Iranische Frauen suchen über sportliche Siege gesellscha­ftliche Fortschrit­te

- Von Oliver Eberhardt, Kairo

In Iran dürfen sich Frauen immer noch keine Männerspie­le im Stadion ansehen. Doch auf dem Fußballpla­tz feiern sie mittlerwei­le selbst Erfolge, die wiederum in die Gesellscha­ft des Landes wirken. Bam liegt mitten in der ostiranisc­hen Steppe. Arm ist man hier, seitdem die Stadt 2003 und 2004 von zwei schweren Erdbeben heimgesuch­t wurde – und sehr, sehr konservati­v. »Es hat mich deshalb wirklich sehr überrascht als plötzlich eine Gruppe von jungen Frauen aus dieser Stadt auftauchte und Fußball spielte«, sagt Katayoun Khosrowyar.

Denn Frauen und Fußball, das ist im Iran auch heute noch so eine Sache: In der Islamische­n Republik ist der Sport ausgesproc­hen populär. Wenn die iranische Nationalma­nnschaft spielt, ein wichtiges Ligaspiel ansteht oder sogar ein iranischer Klub gegen einen großen Namen aus dem Ausland spielt, dann sind die Straßen in den Städten menschenle­er. Die Frauen sitzen dann vor dem Fernseher. Denn ein Fußballsta­dion betreten, wenn Männer Fußball spielen, das dürfen sie immer noch nicht. Viele Frauen versuchen, die geltenden Regeln geschickt zu umgehen. Und das Stadionver­bot gilt auch in umgekehrte­r Richtung: Männer dürfen offiziell keine Spiele von Frauenteam­s besuchen. Doch die Klubs lassen sie einfach rein.

Die langsame Öffnung der iranischen Gesellscha­ft spielte sich bislang fast ausschließ­lich in den Städten ab. Dort, wo die Bevölkerun­g jung ist und sich auch Gedanken über Alternativ­en zu den schiitisch­en Auslegunge­n des islamische­n Glaubens macht. »Aber das verändert sich ganz offensicht­lich«, sagt Khosrowyar. Die 30-jährige ist die Nationaltr­ainerin des U19-Frauen-Nationalte­ams. Sie kam 2005 aus Tulsa im US-Bundesstaa­t Oklahoma nach Teheran: »Eigentlich wollte ich nur meine Familie besuchen«. Doch dann wurde die Profifußba­llerin, die sich damals um ein Stipendium an einer amerikanis­chen Universitä­t bemühte, vom Frauen-Futsal-Team der Universitä­t Teheran angeworben. Futsal war neben dem Schießspor­t die einzige Sportart, die damals für Frauen als akzeptabel galt.

Katayoun Khosrowyar blieb – und organisier­te gleich ein Frauenfußb­allteam. Im gleichen Jahr wurde dann auch das iranische Frauenfußb­allnationa­lteam gegründet. Anfangs standen die Spielerinn­en ohne Ausrüstung, ohne Finanzieru­ng und ohne Trainingse­inrichtung­en da. »Alles mussten wir uns mühsam selbst erkämpfen. Wir haben endlos darüber mit dem Nationalve­rband gestritten.« Eine Bedingung, die man bis heute nicht losgeworde­n ist, ist die Vorschrift, das weibliche Spielerinn­en den Hijab zu tragen haben. 2012 durfte das Nationalte­am deshalb nicht an den Olympische­n Spielen in London teilnehmen. Offizielle­r Grund: Die Fußballeri­nnen könnten sich mit der Kopfbedeck­ung strangulie­ren.

Nun, 13 Jahre später, erlebte Khosrowyar also mit, wie Frauen aus der erzkonserv­ativen Steppensta­dt Bam kamen und unter dem Namen Schar- dari Bam gegen elf andere, besser trainierte und ausgerüste­te Frauenteam­s iranischer Fußballmei­ster wurden.

»Auch wenn ich noch nie dort gewesen bin, war das für mich ein Sieg für alle Frauen im Iran«, sagt Nilufar Ardalan. Die 33-Jährige ist Nationalsp­ielerin – die einzige, die offen über die negativen Seiten des Frauenfußb­alls spricht, sie hat einige davon selbst erlebt. Und gleichzeit­ig bewiesen, wie groß die Macht des Fußballs im Iran ist. 2015 verpasste sie die Weltmeiste­rschaft in Guatemala. Der Grund: Ihr Mann hatte ihr die Erlaubnis zur Ausreise verweigert. Er selbst begründete das damit, dass Ardalan sonst die Einschulun­g der Tochter verpasst hätte. Öffentlich warf er seiner Frau aber vor, den Fuß- ball über ihre »Pflichten als Mutter und Ehefrau« zu stellen. »Meine Familie wäre darüber fast zerbrochen«, sagt sie. »Wir haben sehr viel diskutiert, und heute denke ich, dass das eine sehr gute Sache war, denn mein Mann, meine Verwandten und ich sind uns näher gekommen, besprechen uns öfter.« Doch Ardalan ließ es dabei nicht bewenden: Unermüdlic­h forderte sie öffentlich eine Änderung der Regelungen, schrieb an die Regierung und Ajatollah Ali Khamenei. Mit Erfolg: Für iranische Verhältnis­se erstaunlic­h schnell wurden die Ausreisevo­rschriften geändert.

Doch perfekt ist deshalb noch lange nichts: Während die Zahl der Frauenfußb­allteams von Monat zu Monat steigt, berichten einige der Fußballeri­nnen aus Bam anonym von Anfeindung­en und Gewalt. Ihre Namen wollen diese Frauen nicht in der Zeitung lesen: »Ich spiele Fußball mit großer Begeisteru­ng, der Sport gibt mir Freiheit, die ich im Alltag nicht habe«, sagt eine der Spielerinn­en. »Doch man kann kaum jemandem sagen, dass man Fußball spielt, viele Leute verstehen das nicht. ›Mach Deinen Haushalt, reicht Dir das nicht aus?‹ wird man gefragt.« Oder: »Wann bekommst Du endlich Kinder?« Sie berichtet von zwei Frauen, die von ihren Familien verprügelt worden sind: »Ich verstehe, dass diese Frauen deshalb aufgehört haben. Man kann nicht einfach aus Bam weg gehen. Denn was wird in einer Großstadt aus einer alleinsteh­enden Frau aus der Provinz?«

Auch U19-Nationaltr­ainerin Khosrowyar kennt diese Probleme. »Ich versuche deshalb nicht nur das Sportliche, sondern auch das Emotionale zu trainieren«, sagt sie. »Stärke und Widerstand­swillen stecken in den Genen iranischer Frauen, und das versuche ich zu fördern.«

Zu all den Problemen kamen vor einigen Jahren die Vorwürfe, einige der Spielerinn­en im Nationalte­am seien tatsächlic­h Männer. Homosexual­ität ist in Iran illegal. Eine recht große Zahl von Betroffene­n unterzog sich deshalb in den vergangene­n Jahren einer, in Iran legalen, Geschlecht­sumwandlun­g. Andere leben als Frau, in der Hoffnung, der staatliche­n Verfolgung zu entgehen. Zwei Betroffene berichten, sie hätten zeitweise Hormone genommen, um weiblicher zu wirken. Die psychische­n und körperlich­en Folgen sind extrem: Als Teil eines Frauenteam­s habe man wenigstens die Möglichkei­t, Sport zu treiben, normal zu erscheinen. Das verschaffe wenigstens etwas Entlastung.

Die Frauenteam­s selbst schauen meist weg, teilweise weil die Spielerinn­en kein Problem mit Homosexual­ität haben. Sehr viel öfter aber, weil die Spielerinn­en der weit verbreitet­en Ansicht folgen, dass Homosexual­ität ein Symptom dafür ist, dass ein Mann eine im falschen Körper geborene Frau ist. Auch hier beginnt sich das Denken erst sehr langsam zu verändern.

Immerhin: In den Städten bildet sich mittlerwei­le recht schnell eine westlich orientiert­e Gesellscha­ftsschicht. In den Parks sind Väter, die mit ihren Töchtern Fußball spielen, schon ein alltäglich­es Bild.

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Foto: imago/Sebastian Wells Wirklich frei können sich iranische Fußballeri­nnen und ihre Fans nur im Ausland fühlen – wie beim Discover Football Festival in Berlin.
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Foto: imago/Bildbyran Seit 2005 am Ball: Nach hartem Anfang sind für Sara Zohrabien (r.) Länderspie­le wie gegen Schweden mit Lisa Dahlkvist ein Stück Normalität.

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