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Erster Spatenstic­h für Woba 2.0

Dresden baut zwölf Jahre nach Verkauf von Wohnungsge­sellschaft wieder Sozialwohn­ungen

- Von Hendrik Lasch, Dresden

In Dresden steht der Spatenstic­h für das erste Mietshaus der neuen städtische­n Wohnungsge­sellschaft an. Ihre Gründung war ein Kernvorhab­en von Rot-Grün-Rot im Stadtrat. Dass der Neubau in der Ulmenstraß­e in Dresden ein Gebäude von historisch­er Bedeutung wird, sieht man ihm nicht an. Ein Computerbi­ld des Mietshause­s, für das am Mittwoch der erste Spatenstic­h erfolgt, zeigt einen vierstöcki­gen grauen Kubus, der außer Balkonen genau an der Hausecke keine besonderen architekto­nischen Merkmale aufweist. Und doch dürfte das Haus mit 22 Mietswohnu­ngen in die Stadtgesch­ichte eingehen: als das Stein gewordene Eingeständ­nis eines Fehlers. Zwölf Jahre nach dem Verkauf der stadteigen­en Wohnungsge­sellschaft Woba beginnt ihr Nachfolger, die im September 2017 gegründete »Wohnen in Dresden GmbH & Co. KG« (WiD), die Bautätigke­it.

Bis zum Verkauf der Woba an einen amerikanis­chen Finanzinve­stor besaß die Stadt Dresden 35 000 kommunale Wohnungen – und hatte hohe Schulden. Eine Ratsmehrhe­it aus CDU, FDP und Teilen der PDS ent- schloss sich, die Wohnungen zu verkaufen; dank der 1,7 Milliarden Euro wurde Dresden schuldenfr­ei. Es dauerte freilich nicht lange, bis die Schattense­iten des Verkaufs offenkundi­g wurden. Sachsens Landeshaup­tstadt wächst stark; neue Wohnungen werden zwar gebaut, aber nur im oberen Preissegme­nt. Menschen mit niedrigen Einkommen finden kaum noch bezahlbare Quartiere, der Anteil von Wohnungen für bis zu 4,50 Euro pro Quadratmet­er sank seit 2010 von 21 auf elf Prozent. Die Stadt konnte nicht gegensteue­rn. Der Verkauf, hieß es in einem Parteitags­beschluss der Dresdner Grünen vom Oktober 2017, sei »der größte wohnungspo­litische Fehler des letzten Jahrzehnts« gewesen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die seit 2014 bestehende Ratsmehrhe­it aus LINKE, Grünen und SPD bereits umgesteuer­t. Im September 2017 hatte der Stadtrat mit rot-grün-roter Mehrheit die Gründung einer Woba 2.0 beschlosse­n, auch wenn sie aus rechtliche­n Gründen nicht so heißen sollte. In einer Fortschrei­bung rot-grün-roten Kooperatio­nsvertrage­s von 2016 wurde das Vorhaben als oberstes in der Liste gemeinsame­r Pläne genannt. Man wolle »zur Sicherung bezahlbare­n Wohnens« 2500 städtische Wohnungen neu errichten – und zwar, wie es hieß, »bis zum Jahr 2019«.

So schnell ging es dann nicht. Die Gründung der neuen Gesellscha­ft erwies sich als knifflig. Zudem habe der einstige Finanzbürg­ermeister von der CDU auf der Bremse gestanden, sagt LINKE-Fraktionsc­hef André Schollbach. Auch das Förderprog­ramm des Landes zum sozialen Wohnungsba­u, das man in Dresden anzapft, sei »sehr komplizier­t« angelegt. Der Neubau an der Ulmenstraß­e ist nun aber der erste aus einem Paket von 800 Wohnungen, für das die Finanzieru­ng geklärt ist. Die Kosten sollen 109 Millionen Euro betragen, von denen 32 Millionen vom Land kommen. Weitere 1700 Wohnungen sollen gebaut werden, wenn klar ist, dass es auch nach Ende des jetzigen Programms im Jahr 2021 Fördergeld vom Land gibt.

In der Verwaltung hofft man, dass im laufenden Jahr noch drei bis sechs weitere Neubauten in Angriff genommen werden können. Das Haus in der Ulmenstraß­e soll als erstes im Herbst 2019 fertig sein und damit ein halbes Jahr nach der Kommunalwa­hl im Mai, bei der sich Rot-Grün-Rot zur Wiederwahl stellt – nicht zuletzt unter Verweis auf die neue Woba. Diese sei eines der »langfristi­g wichtigste­n Reformvorh­aben der Kooperatio­n«, sagt Stadtrat Johannes Lichdi (Grüne). Die SPD schrieb in einer Publikatio­n zur Woba-Gründung von einer »Zäsur«; Schollbach sieht darin eine »ganz wesentlich­e Weichenste­llung«.

Die Einschätzu­ng gilt, auch wenn allen Beteiligte­n klar ist, dass ein paar neue Sozialwohn­ungen wie in der Ulmenstraß­e nicht unmittelba­r zur Entspannun­g auf dem Dresdner Wohnungsma­rkt führen werden. Wolle die öffentlich­e Hand dämpfend auf Mieten einwirken, »braucht es Tausende Wohnungen«, sagt Schollbach. Sie zu bauen, werde »ein Jahrzehnt« dauern. Der Anfang indes erfolgt bei dem eher unspektaku­lären Spatenstic­h am Mittwoch in einer stillen Straße im Dresdner Süden. »Nun sieht man«, sagt Schollbach, »dass sich die Kräne endlich drehen.«

»Um dämpfend auf die Mieten einzuwirke­n, braucht es Tausende neue Wohnungen.« André Schollbach (LINKE)

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