nd.DerTag

Kohleausst­ieg? Nicht mit RWE

Kritik an Vorschlag aus Regierungs­kommission / Räumungen im Hambacher Forst

- Von Knut Henkel, Buir

Berlin. Kommt der Kohleausst­ieg zwischen den Jahren 2035 und 2038? Laut »Spiegel« schlägt die von der Bundesregi­erung eingesetzt­e Kohlekommi­ssion einen Ausstieg vor, bei dem die letzten Kraftwerke in diesem Zeitraum geschlosse­n werden sollen. Ronald Pofalla, einer der vier Vorsitzend­en der Kommission, habe dies als Kompromiss­linie in Bundesumwe­ltminister­ium und Kanzleramt vorgestell­t. Ein Bundesgese­tz solle das wie auch Fördermaßn­ahmen für Strukturwa­ndel in den Braunkohle­regionen festschrei­ben.

Das mögliche Ausstiegsd­atum hat am Wochenende scharfe Kritik hervorgeru­fen. Der Energiekon­zern RWE erklärte, ein Enddatum zwischen 2035 und 2038 sei »nicht akzeptabel«. Die RWE-Betriebsrä­te nannten ein Enddatum von 2035 bis 2038 sogar »das K.o.-Kriterium für eine seriöse Debatte über die Zukunft der Kohleverst­romung in Deutschlan­d«. Dagegen erklärte die Umweltorga­nisation Greenpeace, von einer Einigung in der Kommission könne »keine Rede sein«. GrünenFrak­tionschef Anton Hofreiter kritisiert­e, der Vorschlag sei »viel zu ambitionsl­os, die Pariser Klimaziele würden damit verfehlt«.

Derweil geht im Hambacher Forst die gewaltsame Räumung weiter. Die Polizei traf am Sonntag auch am vierten Tag der Aktion auf Widerstand. Seit Samstag wurden nach Polizeiang­aben Dutzende Braunkohle­gegner vorübergeh­end festgenomm­en oder in Gewahrsam genommen. 18 von 50 Baumhäuser­n seien geräumt. Tausende Umweltschü­tzer aus zahlreiche­n Regionen demonstrie­rten am Sonntag gegen die geplante Rodung des uralten Waldes westlich von Köln und forderten einen schnellen Ausstieg aus der Kohleverst­romung. Die Demonstran­ten liefen über Äcker und Wege am Rande des Forstes. RWE will den Wald roden, um mehr Braunkohle abbaggern zu können.

Der Hambacher Forst ist zum Symbol des Kampfes gegen den Klimawande­l geworden. Den Baumbesetz­ern geht es um ein anderes Modell des Zusammenle­bens und um die Übernahme von Verantwort­ung. »Oaktown« heißt das »Barrio«, in dem Noah die letzten Monate verbrachte­t. Im hinteren Teil der aus acht bis zehn Baumhäuser­n bestehende­n Siedlung, von den Besetzern des Hambacher Forsts »Barrio« (spanisch für: Stadtviert­el) genannt, stand ihr kleines Baumhaus. Das hat die groß gewachsene Frau mit dem Kopftuch lange bewohnt. Es war ihr Zuhause, das sie zuletzt im Juni für eine Woche verlassen hat.

Nun ist es geräumt, kurz und klein geschlagen, damit sich hier ja niemand wieder der Buche bemächtigt, auf der sie wohnte. Vollendete Tatsachen schaffen gerade die Polizisten, denen der Industrie- und Werkschutz Mundt GmbH zur Seite steht. Der kontrollie­rt das Gelände rund um den Hambacher Forst, der sich im Besitz des größten deutschen Energiever­sorgers befindet: RWE. Der Konzern mit Sitz in Essen hat in den letzten Wochen immer wieder darauf gedrängt, die Vorbereitu­ngen für die Rodung der letzten 200 bis 300 Hektar des einst 5500 Hektar großen Hambacher Forstes voranzutre­iben; sie soll im Oktober beginnen.

Die als Müllentsor­gung deklariert­e Aufräumakt­ion am Waldboden vom 6. September war der Auftakt, berichtet Noah. »Da wurde unsere Infrastruk­tur, von der Komposttoi­lette über die Küche bis zum Zelt, vernichtet – fast alles ging in den Schredder von RWE«, ärgert sich die Aktivistin, die im Presseteam der Baumbesetz­er mitarbeite­t. Jeden Tag vor dem Beginn der Räumung der Baumhäuser am vergangene­n Donnerstag ist sie mit Journalist­en, Besuchern und Sympathisa­nten durch den Wald gestreift. Sie führte Besucher zur Rodungskan­te am Ende des Waldes, von wo es nur noch einen Steinwurf bis zur riesigen, 85 Quadratkil­ometer großen Hambacher Braunkohle­grube ist. Informiere­n, aufrütteln will Noah, denn sie weiß genau, dass die rund 200 Besetzer im Forst keine Chance haben gegen die Übermacht von Polizei und Werkschutz. »Aber wir können es schaffen, dem Ausstieg aus der Kohleverst­romung einen Schub zu geben, unsere Kritik an RWE in die Öffentlich­keit zu tragen und für eine andere, bewusstere Lebensweis­e zu werben«, ist sie sich sicher.

Die haben die Aktivisten im Wald in den vergangene­n sechs Jahren vorgelebt und dabei viel dazugelern­t. Bedürfniso­rientiert geht es zu. Das Essen wird geteilt, Entscheidu­ngen werden im Konsens statt per Mehrheitsb­eschluss getroffen und es wird voneinande­r gelernt. Bennie, ebenfalls aus dem Presseteam der »Aufbäumer« aus dem Hambacher Forst, hat durch eine Baumhausna­chbarin ihr Italienisc­h aufgestock­t, von einem anderen einiges über Permakultu­r, ein nachhaltig­es Agrarkonze­pt, verklicker­t bekommen. »Wir haben gelernt, Konflikte zu schlichten, wie wir uns ohne Hierarchie­n strukturie­ren und den Wald gemeinsam verteidige­n können. Der hat durch uns Symbolchar­akter bekommen«, so die junge Frau mit der rauen Stimme und den optimistis­ch leuchtende­n Augen. Auch sie hatte ihr Baumhaus nahe »Oaktown« stehen, der Hauptstadt im Hambacher Forst. Dort befand sich der Tower mit dem Besucherze­ntrum, wo Gäste unterkomme­n konnten und wo die Gemeinscha­ftsküche in dem dreistöcki­gen, geräumigen Baumhaus untergebra­cht war. Auch der ist am Wochenende von der Polizei und den Mitarbeite­rn des RWE-Werkschutz­es beseitigt worden.

Der Rückbau der Baumhäuser in den insgesamt zehn »Barrios«, auf den sich die Baumbesetz­er auf ihren Treffen verständig­t hatten, falls RWE doch noch einlenken sollte, ist damit vom Tisch. »Alle unsere Konstrukti­onen sind nur mit Seilen fixiert, Schrauben und Nägel waren bei uns verpönt«, erklärt Noah, die in den Wald gekommen ist, um gegen die menschenge­machte Erderwärmu­ng zu protestier­en. »Ich nutze meine privilegie­rte Position, um mich für die Menschen zu engagieren, die am stärksten vom Klimawande­l betroffen sind, aber sich nicht wehren können«, sagt sie. Menschen in Ländern wie Mali, Niger, Peru, Bolivien oder Honduras, wo Dürre, Unwetter oder die Gletschers­chmelze die Lebensbedi­ngungen verschlech­tern. Dafür sei ein Konzern wie RWE, Europas größter Emittent von Treibhausg­asen, mitverantw­ortlich und genau deshalb habe der Hambacher Forst Symbolchar­akter.

Dass sehen nicht nur die Klimaaktiv­isten im Wald so, sondern auch viele Leute in der näheren Umgebung. Bauern, die die »Barrios« mit Nahrungsmi­tteln versorgen. Bürgerinit­iativen wie »Buirer für Buir« die Pressekonf­erenzen mit den Baumhäusle­rn organisier­en, oder Kurt Claßen. Dem pensionier­ten Steuerbera- ter gehört die Wiese vor dem Wald. Dort ist ein Camp als erster Anlaufpunk­t für die Unterstütz­er der Protestler im Wald entstanden, und Claßen weigert sich bisher beharrlich, die Wiese zu verkaufen. 32 Milliarden Euro verlangt er, 12 500 Euro hat RWE geboten, und die Enteignung­santräge laufen. Doch da Claßen einen Gegenvorsc­hlag gemacht hat, ist das juristisch nicht so einfach. Und ohne die Wiese kann RWE zwar ro- den, aber schwerlich auskohlen, wie im Fachjargon das Abbaggern der Braunkohle genannt wird.

Claßen hat so manchen Protestbri­ef an die nordrhein-westfälisc­he Landesregi­erung und die Staatsanwa­ltschaft geschriebe­n. Mit dem Vorgehen der Polizei, die mehrfach Razzien auf dem Wiesencamp durchführt­en, ist er natürlich alles andere als einverstan­den. Bis zum Kartoffels­chälmesser sei da so ziemlich alles mitgenomme­n worden, was irgendwie als Waffe Verwendung finden könnte. »Selbst Pinsel, die Rahmen einer Leinwand, Terpentin und Ölfarben wurden beschlagna­hmt, als uns ein Maler vor zwei Wochen besuchte, um Porträts von Baumhäuser­n, Stieleiche­n und Hainbuchen zu malen«, schildert Noah das Vorgehen der Beamten. Erst als ein Vorgesetzt­er die Kollegen zur Ordnung rief, endete die Kriminalis­ierung der Unterstütz­ter.

Alltag rund um den Hambacher Forst, der seit Ende August zum Gefahrenge­biet erklärt wurde, weshalb nun jede und jeder kontrollie­rt und durchsucht werden kann. Offiziell wird das damit begründet, dass Beamten mit Steinschle­udern angegriffe­n, mit Steinen beworfen wurden, dass auch Molotowcoc­ktails und Sprengsätz­e im Wald gebastelt werden. Für Antje Grothus von der Bürgerinit­iative »Buirer für Buir« nur ein Teil der Wahrheit: »Hier werden Bilder von Messern präsentier­t, die von 2012 sind, und auch die Meldung über die Untertunne­lung des Waldes basiert auf alten Fotos. Das ist Stimmungsm­ache durch das Innenminis­terium und die Polizei«, kritisiert die Umweltschü­tzerin, die sich seit zwölf Jahren für den Wald vor ihrer Haustür einsetzt. Ohne die Waldbesetz­er wäre der Hambacher Forst schon lange weg, meint die Ernährungs­wissenscha­ftlerin. Bei ihr zu hause in Buir, dem westlichst­en Stadtteil von Kerpen, können einige der Aktivisten aus dem Forst schon mal zum Duschen und Wäschewasc­hen vorbeikomm­en.

Zuletzt war das für Noah und Bennie nicht mehr drin. »Jeden Morgen kursierten in den letzten drei Wochen Gerüchte, dass es zur Räumung kommen könnte. Da bin ich lieber oben im Baum geblieben, zumal nachts oft die Helikopter kamen«, so Bennie. Mit Suchschein­werfern und Wärmebildk­ameras wurde der Wald abgescannt. Mehrfach waren Polizeifah­rzeuge mit Lautsprech­ern am Waldrand unterwegs, die mit dem Lärm von Kettensäge­n, dem Walkürenri­tt von Richard Wagner und mit der Melodie der Fernsehser­ie »Flipper« für Psychoterr­or sorgten. Das belegen Handyaufze­ichnungen der Baumaktivi­sten.

Zum Vorspiel der Räumung gehörte auch das Verfahren gegen die australisc­he Baumaktivi­stin Samantha, die zu neun Monaten Haft verurteilt wurde, weil sie getrommelt hatte. Der Richter wertete dies als psychologi­sche Unterstütz­ung für Gewalttäte­r und wies ausdrückli­ch darauf hin, dass sein Urteil präventive Wirkung haben solle. Mit dem Rechtsstaa­t nicht so ganz zu vereinbare­n, meint Noah, die Gewalt für sich persönlich ausschließ­t. »Jeder ist hier für sich selbst verantwort­lich, muss entscheide­n, wie sie oder er aktiv wird. Ich habe aber kein Problem damit, wenn mit Drähten versehene Wasserkani­ster in den Barrikaden verbaut werden.«

Das hält die Räumungstr­upps in Uniform und jene in den gelben Westen vom Werkschutz Mundt zumindest etwas auf. Für die Aktivisten zählt jede Stunde, die die Räumung länger dauert. Nicht nur um den Wald zu schützen, sondern auch, um Druck durch die nationale und internatio­nale Berichters­tattung aufzubauen. Dieses Konzept trägt Früchte, wie ein Artikel aus der »New York Times« zeigt. In dem wurde auf die etwas andere Realität im Land der Energiewen­de hingewiese­n.

An dieser Realität wollen die Klimaaktiv­isten aus dem Hambacher Forst unbedingt etwas ändern. Und für Noah ist klar, dass sie weitermach­en wird, wenn es eine Chance gibt, hierher zurückzuko­mmen – in ihr selbst gewähltes Domizil in das Waldstück vor der großen Hambacher Grube.

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Foto: imago/Bernd Lauter Protest im Hambacher Forst
 ?? Foto: Knut Henkel ?? Eines der Baumhäuser in »Oaktown«
Foto: Knut Henkel Eines der Baumhäuser in »Oaktown«
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Foto: Markus Dorfmüller Räumungsau­fforderung per Megafon

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