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Sächsische Opferverbä­nde und Initiative­n zur NS-Zeit bündeln ihre Kräfte

Die Gründung einer Landesarbe­itsgemeins­chaft soll Defizite in der Arbeit der Gedenkstät­tenstiftun­g des Freistaats kompensier­en helfen

- Von Hendrik Lasch

Opferverbä­nde und Initiative­n zur NS-Zeit in Sachsen wollen ihr politische­s Gewicht stärken, indem sie sich zusammensc­hließen. Sachsen ist von der Landkarte verschwund­en – zumindest, wenn es um die Erinnerung­skultur geht. Die dortigen Gedenkstät­ten, die sie tragenden Projekte und nicht zuletzt die Gedenkstät­tenstiftun­g des Landes seien bei Kongressen und Kolloquien »nicht dabei«, sagte Jörg Morré, Leiter des Deutsch-Russischen Museums in Berlin-Karlshorst, im November 2017 bei einer Anhörung in Sachsens Landtag: »Sie sind in der bundesweit­en Wahrnehmun­g leider verschwund­en.« Und im Freistaat selbst wird zu Tagungen oder zu Fachtagen praktisch auch seit Jahren nicht mehr eingeladen.

Opferverbä­nde und Initiative­n zur Aufarbeitu­ng der NS-Zeit wollen jetzt Voraussetz­ungen schaffen, dass sich das ändert. Sie gründen am Dienstag in Frankenber­g eine »Landesarbe­itsgemeins­chaft (LAG) Auseinande­rsetzung mit dem NS«. Anstoß dazu gab eine erinnerung­spolitisch­e Tagung im Herbst in Dresden. Ein Ziel der LAG: Mitwirkung in einem bundesweit­en »Forum der LAG der Gedenkstät­ten, Erinnerung­sorte und -initiative­n«, in dem ähnliche Zusammensc­hlüsse aus zehn Bundesländ­ern mitarbeite­n.

Eigentlich wäre die Einbindung der sächsische­n Gedenkorte und Initiative­n in nationale Debatten eine wichtige Aufgabe der Stiftung Sächsische Gedenkstät­ten. Dieser wird sie aber nicht gerecht, sagt Claudia Maicher, Landtagsab­geordnete der Grünen. Die Stiftung sei »in fünf Jahren nur an einer Fachtagung beteiligt« gewesen. Und nicht nur in diesem Bereich sei die Unterstütz­ung der Initiative­n vor allem zur NS-Zeit mangelhaft. Sie würden auch »nicht genug beraten« zu Projektant­rägen und zur Beantragun­g von Fördermitt­eln, sagt Maicher. Sie hatte schon 2016 per Anfrage ein Ungleichge­wicht bei der Projektför­derung für Initiative­n zur Zeit vor und nach 1945 offengeleg­t.

Das besteht weiter, sagt ihr Landtagsko­llege Franz Sodann (LINKE). Zuletzt, so ergab eine von ihm gestellte Anfrage, seien 75 Prozent der Projektmit­tel für Projekte zur SBZund DDR-Zeit vergeben worden und nur 25 Prozent für solche zur Zeit vor 1945. »Eine klare Schieflage«, sagt Sodann. Die Stiftung zog sich in dem Streit auf die Position zurück, es würden nicht genug Anträge gestellt; sie hilft den kleinen ehrenamtli­chen Initiative­n dabei aber auch kaum.

Die wollen sich angesichts dessen nun selbst gegenseiti­g helfen und dazu ihr Fachwissen bündeln. Zu den künftigen Mitglieder­n sollen Verbände wie der VVN-BdA gehören, die Fördervere­ine der Gedenkstät­te Ehrenhain Zeithain und der für Zwangsarbe­it in Leipzig, das Kulturbüro Sachsen, das Erich-Zeigner-Haus Leipzig und der Treibhaus e.V. in Döbeln, die Geschichts­werkstatt Sachsenbur­g und die Evangelisc­he Hochschule in Dresden. Idealerwei­se, heißt es, solle die LAG eine Geschäftss­telle erhalten, in der sich zumindest ein Mitarbeite­r im Hauptjob um die Themen kümmern kann. Allerdings müsste das nötige Geld von der Stiftung bewilligt werden, wofür in deren Gremien viel Überzeugun­gsarbeit notwendig sein dürfte. Aus der Landespoli­tik kommt Rückhalt. Sie hoffe auf »größere öffentlich­e Sichtbarke­it« der Initiative­n zur NS-Zeit, sagt Claudia Maicher. Diesen, ergänzt Sodann, sei es in Sachsen schließlic­h »nicht immer einfach gemacht« worden.

Das ist diplomatis­ch formuliert. Es gab Zeiten, als maßgeblich­e Verbände wie der Zentralrat der Juden und der VVN sich aus der Stiftung gänzlich verabschie­det hatten. Auslöser war das sächsische Gedenkstät­tengesetz von 2003, dem man vorwarf, NS-Verbrechen und DDR-Unrecht auf eine Stufe zu stellen und erstere so zu relativier­en. Der Streit wurde erst 2012 nach einer Novellieru­ng des Gesetzes beigelegt; die Verbände kehrten in die Stiftungsg­remien zurück.

Allerdings gibt es weiter Konflikte um die Ausrichtun­g der Stiftungsa­rbeit und Vorwürfe, sie kümmere sich stärker um die Zeit nach 1945 als um die NS-Zeit. Vielfach kocht der Streit an Orten mit so genannter doppelter Vergangenh­eit hoch. So stellte vor einiger Zeit der Verband der Opfer der Wehrmachts­justiz die Mitarbeit an der Erarbeitun­g einer neuen Dauerausst­ellung im Dokumentat­ions- und Informatio­nszentrum DIZ Torgau ein, der er eine falsche Gewichtung vorwarf. In Bautzen wurde viele Jahre lang beklagt, man konzentrie­re sich einseitig auf die SBZ- und DDR-Geschichte des dortigen Gefängniss­es und blende die NS-Zeit aus. Nach immer neuen Verzögerun­gen wird die entspreche­nde Dauerausst­ellung nun diesen Mittwoch endlich eröffnet.

In Frankenber­g, wo sich die LAG gründet, ackern Engagierte auch seit Jahren für eine Gedenkstät­te für das frühe KZ Sachsenbur­g. Inzwischen ist das Konzept dafür zwar von den Gremien der Stiftung beschlosse­n. Doch Geld für die Errichtung ist im Etat für 2019 / 20 nicht eingestell­t.

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