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Eine Digitalisi­erung von unten ist denkbar

Im Zusammensc­hluss ZET suchen Wissenscha­ftler nach emanzipato­rischen Perspektiv­en in der Technikfor­schung

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Was ist das Ziel des ZET?

Es ist ein Zusammensc­hluss von Sozial- und Naturwisse­nschaftler*innen, die in den gesellscha­ftlichen Diskurs um die technische Entwicklun­g intervenie­ren wollen. Dabei verfolgen wir einerseits das Ziel, die gegenwärti­ge Beschränkt­heit dieses Diskurses auf Wettbewerb­sfähigkeit zu problemati­sieren. Anderersei­ts wollen wir mit dem Nachdenken über mögliche Utopien der scheinbare­n Alternativ­losigkeit des Bestehende­n emanzipato­rische Möglichkei­tsräume entgegense­tzen.

Wie haben Sie sich zusammenge­funden?

Die Initiator*innen haben bei der Arbeit an dem Buch »Kybernetik, Kapitalism­us, Revolution­en« zusammenge­funden, das letztes Jahr im UnrastVerl­ag erschienen ist. Schon dort haben wir uns inhaltlich mit vorwärtsge­wandten, emanzipato­rischen Perspektiv­en auf den technologi­schen Wandel beschäftig­t. Nun haben wir den Kreis erweitert und ca. ein Jahr die Gründung des ZET vorbereite­t, die am 7. September in München vollzogen wurde.

Was kritisiere­n Sie am bisherigen Technikdis­kurs? Bei »Industrie 4.0« geht es hauptsächl­ich um eine Stärkung des Wirtschaft­sstandorts Deutschlan­d. Dem wollen wir eine transnatio­nale Perspektiv­e entgegense­tzen und so zu einer fortschrit­tlichen Digitalisi­erung beitragen.

Sie setzen sich aber auch vom linken Umgang mit der Technologi­e ab. Wo sind da die Differenze­n? Wir sind keine Technologi­ekritiker*innen, sondern Technologi­eforscher*innen. Im linken Diskurs wird die Digitalisi­erung oft als Angriff auf das gute Leben interpreti­ert. Wir haben einen anderen Blick. Wir sehen Technologi­e als Ergebnis von Machtkämpf­en. Das bedeutet auch, dass Peter Nowak. unter den gegenwärti­gen politische­n Bedingunge­n einer marktradik­alen Dominanz die Auswirkung­en der Technologi­e nicht gerade positiv für die abhängig Beschäftig­ten sind. Der Grund dafür liegt aber nicht in der Technologi­e selbst, sondern in deren politisch-ökonomisch­en Rahmenbedi­ngungen. Eine Digitalisi­erung von unten ist für uns durchaus denkbar.

Was bedeutet das für die Handlungsp­erspektive­n?

Wir treten für eine Gesellscha­ft ein, in der die emanzipato­rischen Möglichkei­ten der modernen Technologi­e im Interesse der Mehrheit der Menschen zur Geltung kommen. Beispielsw­eise macht die moderne Tech- nologie eine radikale Arbeitszei­tverkürzun­g nötig. Dass Menschen weniger Lohnarbeit verrichten müssen, ist eigentlich sehr positiv, wird aber mitunter zum Fluch, wenn – wie das heute der Fall ist – für alle, die nicht von ihren Vermögen leben können, ein allgemeine­r Arbeitszwa­ng herrscht. Das ist für uns ein zentrales Thema der Technikpol­itik.

Die Gründung des ZET erfolgte im Münchner DGB-Haus. Richten Sie sich vor allem an Gewerkscha­ften? Wir haben uns bewusst im DGB-Haus und nicht in einer Hochschule getroffen. Wir arbeiten schon länger mit Gewerkscha­fter*innen und Betriebsrä­t*innen zusammen. Zum Beispiel organisier­en wir Seminare und Kurse mit Beschäftig­ten in Betrieben, die von der Digitalisi­erung betroffen sind. Aber natürlich gibt es viele andere Felder der Technikpol­itik.

Worum geht es bei den Seminaren? Wir reden über die Wünsche und Gefühle der Beschäftig­ten, fragen nach Konflikten im Zusammenha­ng mit der Digitalisi­erung und reden über Digitalisi­erungsstra­tegien des Management­s. Dabei geht es nicht erster Linie um die Überwachun­g der Beschäftig­ten, die in der linken Tech- nologiekri­tik spielt. eine zentrale Rolle

Wo sehen Sie die zentralen Probleme im Betrieb?

Das sind beispielsw­eise die digitalen Assistenzs­ysteme, die in den verschiede­nen Arbeitsber­eichen vom Bau bis zum Einzelhand­el Einzug halten. Den Beschäftig­ten werden dabei ihre Arbeitssch­ritte bis ins Detail vorgegeben. Abweichung­en, selbst Nachfragen sind nicht mehr möglich. Das sorgt für Dequalifiz­ierung. Die wiederum trägt zu einer Prekarisie­rung bei, weil die Beschäftig­ten leichter austauschb­ar sind. Wir wollen deutlich machen, dass Algorithme­n eine Folge politische­r Entscheidu­ngen sind. Sie müssen transparen­t gemacht werden. Und die Beschäftig­ten müssen bei der Ausgestalt­ung Mitbestimm­ungsrechte bekommen.

Welche Rolle spielt die Angst vor einem Wegfall der Arbeitsplä­tze?

Die Drohung mit dem Arbeitspla­tzverlust führt oft dazu, dass die Beschäftig­ten der Verschlech­terung ihrer Arbeitsbed­ingungen zustimmen. Eine menschenge­rechte Digitalisi­erung ist möglich, aber dafür müssen wir unser gesellscha­ftliches Verhältnis zur Arbeit radikal überdenken.

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Foto: Privat Simon Schaupp ist Arbeits- und Techniksoz­iologe an der Universitä­t Basel. Er ist Mitbegründ­er des »Zentrums emanzipato­rische Technikfor­schung« (ZET). Mit ihm sprach für »nd«

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