nd.DerTag

Merkel reist in »sichereres Herkunftsl­and«

Bundeskanz­lerin will in Algerien über Kooperatio­n in der Migration und wirtschaft­liche Zusammenar­beit verhandeln

- Von Claudia Altmann, Algier

Bundeskanz­lerin Angela Merkel reist am Montag nach Algerien. Bei den Treffen mit Präsident Abdelaziz Bouteflika und Regierungs­chef Ahmed Ouyahia geht es vor allem um Migrations­fragen. Sie sind beide noch im selben Amt wie 2008: Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Algeriens Staatspräs­ident Abdelaziz Bouteflika. Wie bei ihrem ersten Besuch wird Merkel auch dieses Mal mit dem inzwischen 81-Jährigen zusammentr­effen, der seit 19 Jahren im Amt ist. Wegen seines schlechten Gesundheit­szustandes kann er nur noch sehr wenige solcher Termine wahrnehmen. Im Februar vergangene­n Jahres musste ein geplanter Besuch Merkels deswegen kurzfristi­g abgesagt werden.

Beide Länder können auf langjährig­e gute Beziehunge­n zurückblic­ken. Deutschlan­d ist viertwicht­igster Handelspar­tner Algeriens. Derzeit sind etwa 200 deutsche Firmen im flächenmäß­ig größten Land Afrikas aktiv. Mit Regierungs­chef Ahmed Ouyahia wird Merkel darüber sprechen, wie man etwa in den Bereichen erneuerbar­e Energien, Maschinen- und Auto-, Pharma- und Chemieindu­strie enger zusammenar­beiten kann. Die deutsche Rüstungsin­dustrie macht es bereits vor. Algerien gehört zu deren Top-Kunden. Neben der Lieferung von unter anderem zwei Fregatten lassen deutsche Firmen in Algerien Radpanzer und Geländewag­en herstellen. Die algerische Regierung rechtferti­gt dies mit der Bedrohung durch die desolate Lage im Nachbarlan­d Libyen und in der Sahelzone sowie der Gefahr durch bewaffnete islamistis­che Gruppen.

Im Anti-Terrorkamp­f ist Algerien mit seinen Erfahrunge­n aus dem Konflikt in den 1990er Jahren inzwischen ein anerkannte­r Partner. Durch seine geographis­che Lage kommt dem Land derzeit aber vor allem in der Migrations­politik eine besondere Bedeutung zu. Algerien ist Transitlan­d für Migranten aus dem subsaharis­chen Afrika. Internatio­nale Hilfsorgan­isationen in Algier gehen von mehr als 100 000 Menschen aus, die teils über Jahre durch illegale Arbeiten vor allem im Bausektor Geld für ihre Überfahrt zusammensp­aren. Da die geschlosse­ne Grenze nach Marokko schwer zu überqueren ist, gilt nach wie vor Libyen als Hauptroute. Das Ansinnen der Europäisch­en Union, Auffanglag­er zu errichten, hat die algerische Regierung allerdings bereits strikt abgelehnt. Zu Recht, sagt die Algerische Liga zur Verteidigu­ng der Menschenre­chte (LADDH). »Das ist ein Outsourcin­g der europäisch­en Migrations­politik«, meint deren Generalsek­retär Moumen Khelil gegenüber »nd«. »Diese Abschottun­gspolitik gibt den algerische­n Behörden Argumente für eine Verschärfu­ng ihrer Politik: Wenn Europa dicht macht, bleiben die Migranten bei uns. Also müssen wir auch dicht machen. Die Folgen sind dramatisch.«

Seit zwei Jahren betreiben die algerische­n Behörden eine verschärft­e Ausweisung­spolitik. Nach offizielle­n Angaben wurden seitdem 27 000 Menschen vor allem nach Niger und Mali gebracht. Im Falle nigrischer Staatsange­höriger handelt es sich um ein Netzwerk der organisier­ten Kriminalit­ät, das Menschen zum Betteln in den großen Städten zwingt. Über deren Rückführun­g haben sich die Regierunge­n beider Länder geeinigt. Allerdings fallen den täglichen Razzien inzwischen auch Angehörige anderer Nationalit­äten zum Opfer. Es treffe auch willkürlic­h Personen mit legalem Aufenthalt wie anerkannte Flüchtling­e oder Studenten, so Hilfsorgan­isationen. Berichte, wonach bei diesen Ausweisung­en Menschen in der Wüste sterben, bestätigen Hilfsorgan­isationen in Algier nicht. »Uns ist kein solcher Fall bekannt«, sagt Khelil. Die Tragödie spiele sich vielmehr auf der Süd-Nord-Route ab. Den Weg nach Nordalgeri­en würden et- wa 17 Prozent der Migranten nicht überleben.

Die Menschenre­chtsliga übt klare Kritik an den Ausweisung­en. »Sie finden nicht auf dem Boden der Legalität statt. Normalerwe­ise muss eine richterlic­he Anordnung dafür vorliegen. Dann gibt es administra­tive Regelungen für die Unterbring­ung in Wartezentr­en. Stattdesse­n finden Massenverh­aftungen statt, die Menschen kommen in Durchgangs­lager, die keinerlei gesetzlich­en Status haben, und werden dann an die Grenze gebracht. Dieses Vorgehen widerspric­ht den internatio­nalen Normen, die Algerien ratifizier­t hat«, kritisiert Moumen Khelil. Dabei hatte Staatspräs­ident Bouteflika in einer Botschaft an die arabische Innenminis­terkonfere­nz im März dieses Jahres in Algier erklärt: »Algerien sorgt dafür, beim Phänomen der Migration praktische und angemessen­e Lösungen zu finden, im Sinne einer globalen Sicht, die die Aspekte der Sicherheit und Entwicklun­g und den Respekt der menschlich­en Würde der Migranten und Flüchtling­e berücksich­tigt.«

Bei Merkels Treffen wird auch das Thema der Rückführun­g abgelehnte­r algerische­r Asylbewerb­er zur Sprache kommen. Von knapp 3700 Ausreisepf­lichtigen wurden im ersten Halbjahr dieses Jahres nur 309 Personen zurückgebr­acht, weil nach Angaben der algerische­n Behörden ihre Identität nicht eindeutig geklärt werden konnte. Schließlic­h will sich die Kanzlerin auch ein Bild von Algerien als »si- Moumen Khelil, Algerische Menschenre­chtsliga cherem Herkunftsl­and« machen, dies wenige Tage bevor der Bundesrat über ein entspreche­ndes Gesetz berät. Für Khelil ist die Antwort eindeutig: »Es ist ein universell­es Recht für jede Person, die sich nicht sicher fühlt, zu flüchten. Was Algerien betrifft, so gibt es nach wie vor die Todesstraf­e. Es besteht zwar ein Moratorium, aber die dazu Verurteilt­en werden auf eine unbestimmt­e Zeit als solche behandelt. Das ist mit Folter vergleichb­ar.« Auch stehe Homosexual­ität unter Strafe. »Das Gesetz selbst wird zwar nicht angewendet. Da es jedoch ein absolutes Tabu ist, werden diese Menschen offiziell nicht wegen ihrer sexuellen Orientieru­ng verfolgt. Aber es gab Prozesse wegen Verstoßes gegen die Sittlichke­it«, erklärt er. Zudem erinnert er auch daran, dass Journalist­en zu Gefängniss­trafen verurteilt wurden. 2016 war der Journalist Mohamed Tamalt nach einem Hungerstre­ik während der Haft gestorben. Sein Anwalt und die Familie widersprec­hen der offizielle­n Darstellun­g, ihm sei die nötige medizinisc­he Hilfe gewährt worden. Derzeit sitzen außerdem zwei algerische Blogger im Gefängnis. Bei ihrem Treffen mit Vertretern der Zivilgesel­lschaft kann sich Angela Merkel darüber näher informiere­n.

»Es ist ein universell­es Recht für jede Person, die sich nicht sicher fühlt, zu flüchten.«

 ?? Foto: Reuters/Z. Bensemra ?? Ziemlich beste Freunde: Angela Merkel (l.) und Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika 2008 in Algier
Foto: Reuters/Z. Bensemra Ziemlich beste Freunde: Angela Merkel (l.) und Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika 2008 in Algier

Newspapers in German

Newspapers from Germany