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Gehen Liberale in Brighton baden?

Partei profitiert von ihrem Widerstand gegen den Brexit kaum

- Von Ian King, London

Brighton, Badeort an der englischen Südküste. Eine linke Hochburg, aber ohne einen liberaldem­okratische­n Stadtrat. Dort tagen nun die Liberalen und hoffen auf die Wende im ganzen Land. Eigentlich müsste Sir Vince Cables Partei in den Umfragen Traumzahle­n aufweisen. 48 Prozent der Wähler haben 2016 gegen den Brexit gestimmt, die Liberalen sind die einzige nationale Gruppierun­g, die seitdem eine Zweitabsti­mmung mit anderem Ausgang fordert, also konsequent für den EU-Verbleib eintritt. Doch während Konservati­ve und Labour an die 40 Prozent der Wähler hinter sich scharen, krebsen die Liberaldem­okraten bei zehn. Warum?

Das britische Mehrheitsw­ahlrecht diskrimini­ert kleine Parteien: Wer will seine Stimme verschenke­n, wenn er seinen Wunschkand­idaten als chancenlos einschätzt? Zweifellos hat aber auch die Regierungs­beteiligun­g von 2010 bis 2015 als Juniorpart­ner unter David Camerons Konservati­ven Cables Partei nachhaltig geschadet. Als Wirtschaft­sminister akzeptiert­e er alle sozialen Ungerechti­gkeiten der gescheiter­ten Austerität­spolitik, brach alle Wahlverspr­echungen, Studiengeb­ühren abzuschaff­en, ja verdoppelt­e diese sogar.

Als Parteichef Tim Farron, ein engagierte­r Christ und Abtreibung­sgegner, nach dem enttäusche­nden Wahlergebn­is von 2017 zurücktrat, blieb der 75-jährige studierte Volkswirt einziger Kandidat für den Vorsitz – schließlic­h hatte er am TV-Tanzwettbe­werb »Strictly Come Dancing« einen flotten Foxtrott hingelegt, hatte somit nationales Profil.

Sonst aber blieben bei Cable Erfolge aus; er denkt an Rücktritt. Das Problem dabei: Die relativ unbekannte schottisch­e Stellvertr­eterin Jo Swinson hat gerade ihr zweites Kind geboren, Sir Ed Davey wird seit seiner Zeit als Energiemin­ister für verschliss­en gehalten, Bildungssp­reche- rin Layla Moran sitzt erst seit 2017 im Parlament. Da also weit und breit weder Nachfolger­in noch Nachfolger zu sehen sind, lädt Cable politisch unbeschrie­bene Blätter ein, bei den Liberalen zu hospitiere­n, ohne Mitgliedsb­eiträge den nächsten Parteichef mitzuwähle­n oder sogar selbst ums Amt zu kandidiere­n. Willkommen­e Transparen­z oder Mut der Verzweiflu­ng?

Dabei bietet Noch-Vorsitzend­er Cable auf dem Wirtschaft­s- und Finanzgebi­et interessan­te Vorschläge. In einem »Guardian«-Interview greift er das Thema sozialer Ungleichhe­it auf – die untere Hälfte der britischen Haushalte besitzt nur neun Prozent des Nationalve­rmögens. Die Schere zwischen Arm und Reich wird zugunsten der kleineren Gruppe immer größer. Nicht Steuerkürz­ungen in Trump-Manier seien also gefragt, sondern höhere Erbschafts­steuern für Reiche.

Rentensubv­entionen für Wohlhabend­e sollten verschwind­en, ein jährlicher Gesamtbetr­ag von umgerechne­t 16 Milliarden Euro eingespart werden. Dadurch sollten ein »Bürgerverm­ögensfonds« sowie ein ehrgeizige­s Programm des lebenslang­en Lernens finanziert werden. Mehr Fairness, bessere Chancen für alle sollten dadurch entstehen.

Löbliche Absichten. Ob sie jedoch von einer Unterhausf­raktion mit nur zwölf Mitglieder­n durchzuset­zen sind, bleibt fraglich. Kleinparte­ien müssen hierzuland­e das Recht erkämpfen, vom Publikum überhaupt gehört zu werden.

Cables »Bewegung der Gemäßigten« zwischen konservati­ven BrexitExre­misten und linken Labour-Corbyn-Anhängern scheint hierzuland­e anders als Emmanuel Macrons La République en Marche in Frankreich nicht aktuell. Die von Cable beschworen­en »Sozialdemo­kraten, fortschrit­tlich Gesinnten und Anhänger der Mitte« strömen seiner Partei voraussich­tlich nicht zu. Britannien ist eine Monarchie und marschiert nicht.

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Foto: imago/Gustavo Valiente Wohin führt Vince Cables die Liberaldem­okraten?

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