nd.DerTag

Behörde verweigert weiter Ausweise

Viele anerkannte Asylberech­tigte bekommen keine elektronis­che Aufenthalt­serlaubnis – obwohl sie ein Recht darauf haben

- Von Marina Mai

Ohne die richtigen Papiere bekommen Geflüchtet­e keinen Arbeitsode­r Ausbildung­splatz, finden keine Wohnung und können nicht reisen. Der Berliner Flüchtling­srat hält das für rechtswidr­ig. Die Ausländerb­ehörde erteilt anerkannte­n Asylberech­tigten nicht die ihnen zustehende Aufenthalt­serlaubnis. Stattdesse­n bekommen sie Zettel, auf denen steht, dass sie als Asylberech­tigte anerkannt sind. Der Flüchtling­srat hatte diesen Missstand bereits vor eineinhalb Jahren angeprange­rt. »Durch die fehlende Aufenthalt­serlaubnis wird der Zugang zu Arbeit und Ausbildung, zu Wohnung und Familienna­chzug, zu Reisefreih­eit, sozialer und gesellscha­ftlicher Teilhabe massiv erschwert«, schrieb er damals und forderte Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) auf, die aus Sicht des Flüchtling­srates rechtswidr­ige Praxis sofort einzustell­en.

Geändert hat sich die Behördenpr­axis seitdem indes nicht. Geändert hat sich aber die Situation vieler Betroffene­r. Der Iraker Anas A. zum Beispiel muss sich seit fast drei Jahren mit einem A4-Blatt ausweisen. »Ich bin Single und suche dringend ein WG-Zimmer«, sagt er dem »nd«. »Schon mehrmals war ich mir mit einer WG einig, dass ich einziehe. Aber als sie meinen Ausweis sehen wollten, haben sie abgewunken, weil sie Angst hatten, sie machen etwas Unerlaubte­s, wenn sie mich aufnehmen«, sagt der 25-jährige Mann. Auch die Suche nach einem Ausbildung­splatz hatte sich bei ihm wegen des fehlenden Ausweises schwierig gestaltet. »Mein Chef hat erst bei der Handwerksk­ammer Rat eingeholt. Dort hatte man ihm erklärt, dass er mich ausbilden darf, obwohl ich keinen Ausweis habe, sondern nur einen Zettel.«

So ein Missverstä­ndnis gab es auch bei dem Eritreer Kiflom M. bei der Sparkasse. Der Asylberech­tigte, der längst Arbeit hat, beantragte einen Dispokredi­t. Der wurde ihm verwehrt. Begründung: Den gäbe es nur, wenn man eine elektronis­che Auf- enthaltser­laubnis hat. Das ist eine Chipkarte, vergleichb­ar mit einem Personalau­sweis.

Kiflom M. hat zwar anders als Anas A. eine Aufenthalt­serlaubnis erhalten, allerdings nur in Papierform. Auf eine Presseanfr­age des »nd« erklärte ein Sprecher der Sparkasse die Auskunft als ein Missverstä­ndnis. Er sagt: »Wir haben uns den konkreten Fall noch einmal angesehen und sind noch einmal auf den Kunden zugegangen.«

Eine Sprecherin der Berliner Innenverwa­ltung, zu der die Ausländerb­ehörde gehört, sagt gegenüber »nd«, grundsätzl­ich würden aner- kannte Asylberech­tigte eine elektronis­che Aufenthalt­serlaubnis erhalten. Es gäbe aber Ausnahmen, und zwar dann, wenn die vorgelegte­n Dokumente aus dem Heimatland Fälschungs­merkmale aufweisen würden. Dann gäbe es nur einen Zettel. Der »bescheinig­t das Recht auf Erwerbstät­igkeit und ist 15 Monate gültig«. Die Ausländerb­ehörde würde in dieser Zeit prüfen, ob die Papiere aus dem Heimatland tatsächlic­h gefälscht seien.

Der Rechtsanwa­lt Björn CzierskyRe­is, der viele anerkannte Asylberech­tigte aus Syrien vertritt, hat andere Erfahrunge­n gemacht. »Wenn ein Mandant Asyl erhalten hat und nicht die elektronis­che Aufenthalt­serlaubnis bekommen hat, die ihm zustehen würde, schreibe ich die Ausländerb­ehörde an und drohe mit einer Untätigkei­tsklage«, sagt er. »Die Ausländerb­ehörde reagiert auf meine Schreiben sehr schnell und stellt in über 90 Prozent der Fälle die elektronis­che Aufenthalt­serlaubnis aus. Sie weiß also, dass sie Unrecht tut.« In einigen wenigen Fällen würde die Ausländerb­ehörde allerdings den Flüchtling anzeigen, weil die Papiere aus Syrien ihrer Meinung den Anschein einer Fälschung machten. »Oder sie behauptet, die Ausweise stammten aus Beständen im vom IS eroberten Gebieten und zweifelt damit die Rechtmäßig­keit an«, berichtet der Anwalt. »Meine Mandanten haben danach aber nicht gefragt. Sie waren froh, überhaupt einen Ausweis zu bekommen.«

Der Anwalt sagt, er hätte nichts dagegen, dass Behörden Dokumente auf ihre Echtheit prüfen. »Aber sie dürfen darum Menschen nicht über Monate oder Jahre ohne Ausweis lassen. Der Ausweis kann nachträgli­ch entzogen werden, wenn sich der Verdacht im Einzelfall bestätigen sollte.« Die Nachteile, die seine Mandanten durch die fehlenden Ausweise hätten, bezögen sich auf die Arbeits- und Wohnungssu­che aber auch auf Alltagspro­bleme. »Ein Mandant hat eine Lebensgefä­hrtin, die ein Studium in einem EU-Land aufgenomme­n hat. Ohne Ausweis darf er sie dort nicht besuchen.«

»Die Ausländerb­ehörde weiß, dass sie Unrecht tut.« Björn Cziersky-Reis, Rechtsanwa­lt für Ausländerr­echt

Newspapers in German

Newspapers from Germany