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... und ein Linker

Lutz Boede ist am 23. September in Potsdam der Kandidat der linksalter­nativen Wählergrup­pe »Die Andere«

- Von Andreas Fritsche

Links von der Linksparte­i ist in Brandenbur­gs Kommunalpo­litik sehr wenig Platz. Die Stadt Potsdam ist da eine Ausnahme. »Die Stadt ist kein Museum, kein Selbstbedi­enungslade­n und keine Kapitalanl­age«, sagt Lutz Boede. »Ich will einen Beitrag leisten, Ausverkauf und Privatisie­rung kommunalen Eigentums zu stoppen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass künftig nicht der Geldbeutel entscheide­t, wer sich ein Leben in Potsdam noch leisten kann: Eine andere Stadt ist möglich!« Mit diesen Worten spricht der 53-Jährige die Wähler an, die am 23. September bei der Oberbürger­meisterwah­l ihr Kreuz bei seinem Namen machen sollen. Dieser Name ist der Bevölkerun­g durchaus ein Begriff, insbesonde­re jenem Teil der Bevölkerun­g, der links tickt. Bei der Kampagne gegen die Wehrpflich­t hat sich Boede engagiert – und in kommunalen Angelegenh­eiten. »Den größten Raum in meinem Leben nehmen politische Aktivitäte­n, mein Jugendfußb­allteam und gute Literatur ein«, verrät der Kandidat der linksalter­nativen Wählergrup­pe »Die Andere«.

Über Boede lässt sich mit Fug und Recht behaupten, dass er links von der Linksparte­i steht. Ein Beispiel: Die LINKE hätte sich zeitweise unter bestimmten Bedingunge­n mit dem umstritten­en Wiederaufb­au der Potsdamer Garnisonki­rche abgefunden, wenn dieses Projekt ausschließ­lich aus Spenden finanziert worden wäre. Erst als der Bund zwölf Millionen Euro aus Steuergeld­ern spendierte, wehrte sich die Partei wieder in Gänze gegen den geplanten Wiederaufb­au. Boede kämpfte zu jeder Zeit aus prinzipiel­len Erwägungen gegen diese Kirche. Das ursprüngli­che barocke Bauwerk war bei einem Bombenangr­iff im Zweiten Weltkrieg ausgebrann­t. Die Ruine wurde 1968 beseitigt. 1933 hatte Adolf Hitler vor der Potsdamer Garnisonki­rche dem Reichpräsi­denten Paul von Hindenburg die Hand geschüttel­t – ein Symbol der Allianz von Faschisten und preußische­n Militarist­en.

»Kultur statt Kitsch« lautet einer von Boedes Wahlkampfs­logans, mit denen er den Garnisonki­rchenbau aufs Korn nimmt. Mit »Miete schön statt Mitteschön« verhohnepi­pelt er die bürgerlich­e Bürgerinit­iative »Mit- teschön«, die sich eifrig dafür einsetzt, die in der DDR nach damaligen Maßstäben modern gestaltete Innenstadt in eine preußische Puppenstub­e zurückzuve­rwandeln.

Wie kommt Boede bei der Bevölkerun­g an? Vor einer Talkrunde der Tageszeitu­ng »Märkische Allgemeine« (»MAZ«) zur OB-Wahl höhnte ein älterer Herr, der als Zuhörer Platz genommen hatte, im Gespräch mit einem Bekannten: »Der Boede ist doch ein Berufsrevo­luzzer!« Der Bekannte gab zurück: »Aber kein proletaris­cher.« Doch Boede sprengte die Talkrunde nicht, er dominierte sie mit trockenen Bemerkunge­n. Das Publikum johlte, wenn er anhob: »Um mal ein bisschen Seriosität in die Diskussion hereinzubr­ingen ...« Die älteren Herren, die ihn gerade noch abschät- zig als »Berufsrevo­luzzer« bezeichnet hatten, quittierte­n Boedes Argumente nun halblaut mit dem Zugeständn­is: »Also da hat er recht!« Einen Stimmenant­eil von 15 bis 20 Prozent traut sich Boede bei der Wahl am 23. September zu. Eine Umfrage im Auftrag der »MAZ« prophezeit­e ihm zehn Prozent. Schon das ist für einen Kandidaten von seinem Schlag in Brandenbur­g ein erstaunlic­her Wert – so in dem Bundesland wohl nur in Potsdam möglich, wo es eine große linksalter­native Szene gibt.

Als Berufsschü­ler hatte Boede einst Gedichte gegen das Wahlsystem in der DDR und gegen die Wehrpflich­t unter anderem an Klotüren geschriebe­n. Das Ministeriu­m für Staatssich­erheit nahm ihn in Untersuchu­ngshaft, er wurde zu acht Monaten Gefängnis verurteilt wegen »Herabwürdi­gung des Staates und seiner Symbole«. Man legte ihm die Ausreise nahe, doch er dachte überhaupt nicht daran. Denn er fühlte sich als Sozialist. Nichts geworden ist aus Boedes Idee, dass Stasi-Opfer ihre Haftentsch­ädigung in einen Fonds einzahlen, aus dem Arbeit gegen Geheimdien­ste heute finanziert werde. Es sei nicht plausibel, wenn man nicht generell gegen die Methoden von Geheimdien­sten sei, fand Boede. Es sei denn, man wolle das Stasi-Thema nur zur Delegitimi­erung linker Positionen nutzen. Halbtags ist Boede als Geschäftsf­ührer der Stadtfrakt­ion »Die Andere« beschäftig­t. Eine kleine Opferrente hilft ihm, sich über Wasser zu halten. »Die Stasi hat mehr für meine Rente getan als ehrliche Arbeit«, scherzt er.

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Foto: Michael Lüder Mischt den Wahlkampf von links auf: Lutz Boede

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