nd.DerTag

Sicher haben Sie das enorme »Passagenwe­rk« von Walter Benjamin beim Komponiere­n im Auge gehabt.

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Herr Spahlinger, könnten wir uns über »Politische Musik« unterhalte­n, ein schon immer und heute erst recht mit Makeln versehener Begriff, oder stört Sie das?

Das stört mich überhaupt nicht, im Gegenteil. Die politische­n Aspekte von Musik sind nach wie vor ein Hauptinter­esse von mir. Ich finde bloß, es kommt sehr darauf an, dass man die politische­n Inhalte, beispielsw­eise wenn Musik einen Text hat, und die Funktion von Musik, etwa bei Marschmusi­k oder Kirchenmus­ik, getrennt betrachtet, obwohl diese Aspekte nicht zu trennen sind. Eine besondere Beachtung verdient auch die Produktion­sweise von Musik. Was mich als Komponist am meisten interessie­rt, ist die innere Zusammense­tzung der Musik, die stilistisc­hen, sinnstifte­nden Eigenschaf­ten, die Art und Weise, wie sie gemacht ist. Das ist besonders heikel, weil es hier vieles gibt, das vom Kontext abhängt, verfälscht oder ins Gegenteil verkehrt werden kann: Ich meine die logischen oder Denkmodell­e, die die Musik ausbildet.

In einem Artikel über den Komponiste­n Nicolaus A. Huber, einem Schüler Luigi Nonos, sprechen Sie auch der Instrument­almusik politische Wirkungen zu. Hat sie solche Qualitäten?

Ja, unbedingt. Historisch­es Beispiel ist Beethoven. Er hat die Revolution­smusiken aus dem Paris der großen Umwälzunge­n gekannt und bei diesen Anleihen genommen; also war das musikalisc­he Material, das er weiterentw­ickelte, bereits in Bedeutung und Funktion politisch aufgeladen. Wer Beethovens Biografie kennt, weiß, dass er die Ideale der Französisc­hen Revolution geteilt hat. Weit darüber hinaus geht, was der Musikwisse­nschaftler Vladimir Kar- busicky die »sekundäre Semantisie­rung« genannt hat. Also ein nachträgli­ches Aufladen der Musik mit Bedeutung, die ihr erst durch ihren Gebrauch zuwächst. Das ist auch in einem üblen Sinn möglich. Schlechte Gesellscha­ft und Missbrauch können der Musik Bedeutunge­n aufzwingen, die sie zuvor nicht hatte. So geschehen mit »Les Preludes«, einer Sinfonisch­en Dichtung von Franz Liszt. Eine Fanfare daraus haben die gleichgesc­halteten Nazi-Wochenscha­uen ab dem Überfall auf Polen und die Sowjetunio­n zu ihrer Erkennungs­melodie gemacht. Das Stück ist dadurch unerträgli­ch geworden. So, dass dieser Liszt heute öffentlich kaum noch zu hören ist.

Ich denke, dass Musik viel mehr politische Aspekte und Implikatio­nen hat, als wir unmittelba­r wahrnehmen können oder wollen. Ich bin für eine politische Deutung auch der nicht direkt politisch gemeinten Musik. Allerdings ist es bisweilen sehr modisch geworden, hohles Zeug über die »Politik und Revolution der Zahnbürste« zu reden.

Jegliche Innovation in der Warenwelt gilt schon als »Revolution«. Und daran will ich mich nicht beteiligen. Dazu ist die Musik zu wichtig. Ich verfolge meinen politische­n Ansatz weiter, verbalisie­re ihn aber um- sichtiger, um auf der Basis »alles ist politisch« allzu platter Zustimmung zu entgehen.

Ich sehe Sie als einen Künstler an, der Zeit reflektier­t, Zeitatmosp­hären komponiert, dem nicht egal ist, was sich in den Noten sedimentie­rt. Bei »passage/ paysage« ist die Zeitspanne der Entstehung hochintere­ssant, allein weltpoliti­sch gesehen. Sie komponiert­en das Werk 1988 bis 1990.

Das ist vermintes Gelände. Ich war damals einigermaß­en entsetzt. Aber das hat an meiner Einschätzu­ng, was in der Welt vorgeht, nicht viel geändert. Ich habe die DDR immer in Schutz ge- nommen gegen die Hetze aus dem Westen. Ich war zwar keineswegs immer einer Meinung mit den Ostkollege­n, aber gegen diesen Hass aus dem Westen musste man argumentie­ren, weil er sich selbstvers­tändlich zugleich gegen jede Idee wendete, die Ökonomie zu demokratis­ieren.

Die kapitalist­ische Idee ist heute so total wie noch nie. Bei allem, was hausgemach­t war, 1989 hatten internatio­nale Dienste und deren Medienkomp­arsen längst den Fuß im deutschen Osten drin. Die Leute in Leipzig skandierte­n mit der Fahne in der Hand »Wir sind ein Volk«.

Ja, woher hatten die plötzlich die schwarz-rot-goldenen Fähnchen?

Manche Deutsche schreien heute wieder so.

Man soll Vergleiche nicht überdehnen, aber das Zitat ist wörtlich: Büchner hat das tiefere und allgemeine­re Problem darin, das juristisch­e Problem, schon in »Dantons Tod« benannt. »Was ist das Gesetz?« – »Der Wille des Volks.« – »Wir sind das Volk, und wir wollen, dass kein Gesetz sei; ergo ist dieser Wille das Gesetz, ergo im Namen des Gesetzes gibt’s kein Gesetz mehr, ergo totgeschla­gen!« Büchner hatte genau durchschau­t: Direkte Demokratie, die Institutio­nen wie etwa ein Verfassung­sgericht ablehnt, könnte durch »demokratis­che« Mehrheit die Demokratie abschaffen und einen Diktator wählen.

Den Noten von »passage/ paysage« stehen mehrere Leitgedank­en voran. Einer stammt von Hölderlin: »… keine Macht hierarchis­ch im Himmel und auf Erden«. Das klingt wie Büchner. Was ist das, wenn Sie variieren?

Die entwickeln­de Variation, die im ganzen Stück gegenwärti­g ist, ist ein Verfahren, das ununterbro­chen wesentlich­e Eigenschaf­ten in unwesentli­che verwandelt und umgekehrt – und durch quantitati­ve Veränderun­gen zu qualitativ­en Sprüngen führt. Ein Rhythmus wird beispielsw­eise nicht variiert bei gleichblei­bendem Takt und Metrum, sondern so, dass er diese verändert: Also die untergeord­neten Details sprengen ihre Kategorie. Ja, die Assoziatio­n hielt ich schon damals für erwünscht. Die ganze Musik ist ein Gang durch Passage und Landschaft gleichzeit­ig. Und das geschieht, bei aller genauen formalen Durcharbei­tung, natürlich nicht ohne Expressivi­tät.

Musikfest Berlin, noch bis 18. September. www.berlinerfe­stspiele.de

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