Das Chamäleon
Bei Hashimoto können nicht nur Symptome verwirren, sondern auch Laborwerte
Morbus Hashimoto ist eine Autoimmunerkrankung, bei der die Schilddrüse zerstört wird. Dabei kann es zuerst zu einer Über- und dann zu einer Unterfunktion des kleinen Organs kommen. Hakaru Hashimoto wurde 1881 in eine japanische Medizinerdynastie hineingeboren: Einige Vorfahren waren Ärzte, der Großvater Chirurg und der Vater leitete eine kleine Klinik. Die Entscheidung für den künftigen Beruf schien dem Jungen in die Wiege gelegt. Nach dem Studium arbeitete Hashimoto als Assistenzarzt in einem Krankenhaus, in dem viele Schilddrüsenoperationen durchgeführt wurden. Ihm fiel auf, dass sich bei einigen Patientinnen viele Lymphozyten in der Schilddrüse fanden. Bekannt war damals schon, dass diese weißen Blutkörperchen eine wichtige Funktion in der körperlichen Abwehr haben. Hashimoto vermutete nun, dass es einen noch unbekannten Auslöser für die Menge der Lymphozyten geben musste. Er machte die Beobachtung zum Thema seiner Doktorarbeit, die auch eine deutsche Fachzeitschrift veröffentlichte.
Erst fast 20 Jahre später bestätigten Studien in England und den USA, dass die beschriebene Schilddrüsenentzündung ein eigenes Krankheitsbild ergibt. Dafür bürgerte sich die Bezeichnung Hashimoto-Thyreoiditis ein. Mit der Entdeckung von Antikörpern gegen das körpereigene Schilddrüsengewebe stand fest, dass es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt. Hashimoto selbst bekam davon nichts mehr mit, er forschte später zu Tuberkulose und infizierte sich als Landarzt in Japan mit Typhus, woran er im Alter von 52 Jahren starb.
Inzwischen scheint aus der Hashimoto-Erkrankung fast eine Modediagnose geworden zu sein. Das macht es für die Betroffenen jedoch nicht einfacher, zumal die Symptome diffus sind. Die Erkrankung betrifft Frauen zehnmal häufiger als Männer, sie kann sich in Müdigkeit, Verstopfung, Haarausfall, Gelenkschmerzen oder Konzentrationsstörungen bis hin zu Depressionen zeigen. Nicht umsonst gilt Hashimoto aber als das Chamäleon der Schild- drüsenleiden, denn seine Anzeichen können auch ganz verschieden ausfallen: Gewichtsverlust oder -zunahme, Herzklopfen oder zu niedriger Puls, Unruhe oder Antriebsarmut, Schwitzen oder Frieren. Die genannten Unterschiede können mit möglichen Hashimoto-Stadien erklärt werden: Eine Überfunktion der Schilddrüse kann es am Beginn der Erkrankung dann geben, wenn in dem Organ gespeicherte Hormone durch die Zerstörung der Zellen plötzlich in zu großem Maße freigesetzt werden. Ist diese Phase beendet, kommt es zu einer Unterfunktion, da die Hormone nun nicht mehr bereitgestellt werden.
Die Frage ist nun, wie Hashimoto eindeutig diagnostiziert und von anderen Über- und Unterfunktionen der Schilddrüse abgegrenzt werden kann. Auch für Patienten ist die Unterscheidung nicht unwichtig. Joachim Feldkamp, Chefarzt am Klinikum Bielefeld, Internist und Endokrinologe, begegnete nicht wenigen Betroffenen, die jahrelang auf eine Unterfunktion hin behandelt wurden, aber nicht wussten, dass es sich um Hashimoto handelte.
Schon bei der körperlichen Untersuchung sind Hinweise auf die Krankheit zu finden: Ein festeres Gewebe als bei der gesunden Schilddrüse kann vom Arzt ertastet werden. Haarausfall, Zustand und Temperatur der Haut können ebenso wie Wassereinlagerungen im Gesicht und an den Füßen äußerlich festgestellt werden. Eine Ultraschalluntersuchung gibt Auskunft über Form, Größe und Strukturveränderungen der Schilddrüse.
Der wichtigste Laborwert ist der TSH-Wert, der bei einer Überfunktion sinkt, bei einer Unterfunktion ansteigt. TSH ist das Schilddrüsensteuerungshormon, das in der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) entsteht. Es sorgt dafür, dass in der Schilddrüse Hormone gebildet werden werden. Das Problem sind aber gerade bei TSH die nicht einheitlichen Normwerte, die sich je nach Gerätehersteller, Labor oder sogar Untersucher unterscheiden. Nach Feldkamp sind Abweichungen von 40 Prozent keine Seltenheit, wie er in seinem Ratgeber »Gut leben mit Hashimoto« schreibt.
Im Ergebnis vieler Abgleiche und Untersuchungen verwenden Labore meist 2,15 mU/l (Tausendstel Einheiten in diesem Falle des Hormons pro Liter) als oberen TSH-Grenzwert. Allgemein gilt jedoch in Deutschland ein Wert von bis zu 4 mU/l als noch normal. Berücksichtigt werden müssen hier zudem Faktoren wie die Tages- und Jahreszeit der Messung, Übergewicht, Eisenmangel, Lebensalter, Medikation und eine bestehende Schwangerschaft. Sie alle beeinflussen die Höhe des TSH-Wertes.
Bei einer Studie in Banja Luka (Bosnien-Herzegowina) wurde der Wert bei Gesunden bestimmt. Bei der ersten Messung waren alle Teilnehmer nüchtern, für die zweite, 140 Minuten später, blieb ein Teil dieser Gruppe ebenfalls nüchtern. Ein weiterer Teil der Probanden hatte aber mittlerweile gefrühstückt. Bei beiden Gruppen fiel die TSH-Konzentration um 29 Prozent ab. Bei einer dritten Gruppe erfolgte die zweite Blutabnahme nach 24 Stunden, hier sank der Wert gegenüber dem Vortag um 13 Prozent. Auch bei anderen Studien zeigte sich, dass ein grenzwertiger TSH-Wert allein nicht einmal zuverlässig auf eine behandlungsbedürftige Unterfunktion hinweist. Dagmar Führer vom Universitätsklinikum Essen empfahl daher in einer Veröffentlichung 2017 eine Verlaufsuntersuchung mit einem Intervall zwischen sechs und zwölf Wochen.
Untersucht werden sollten zudem die beiden freien Schilddrüsenhormone T3 und T4 sowie ihr Verhältnis zueinander. Wichtig wäre außerdem, die Antikörper nachzuweisen, die entstehen, wenn Zellen des Immunsystems eben auch körpereigene Eiweiße als feindlich einordnen. Ein Teil der Antikörper zu typischen Schilddrüsenhormonen ist allerdings auch bei Gesunden zu finden. Auf jeden Fall reicht die alleinige Bestimmung des TSH-Wertes nicht zur Diagnose von Hashimoto. Sollten Ärzte auf dieser Basis entscheiden, wird in Foren im Internet ein Wechsel des Behandlers empfohlen.
Das Problem sind aber gerade bei TSH die nicht einheitlichen Normwerte, die sich je nach Gerätehersteller oder Labor unterscheiden.
Zum Weiterlesen: Feldkamp, Joachim: Gut leben mit Hashimoto. Trias Verlag Stuttgart 2018, Taschenbuch, 142 Seiten, 17,99 Euro.