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Zum Weltsparta­g haben wir uns die Sache mit den Minizinsen angeschaut: Werden deutsche Sparer enteignet?

Werden deutsche Sparer von der Zentralban­k enteignet?

- Von Stephan Kaufmann

Am kommenden Dienstag ist es wieder so weit: Es ist Weltsparta­g. 1924 zur Förderung des »Sparens als gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe« ins Leben gerufen, ist dieser Gedenktag in vielen Ländern in Vergessenh­eit geraten. Nicht aber in Deutschlan­d, wo Verschuldu­ng als Sünde gilt und Sparen als Tugend, der das Deutsche Historisch­e Museum eine eigene Ausstellun­g widmet. Seit Jahren treten Politiker auf im Namen des »deutschen Sparers«, dem das Ausland übel mitspielt. Seitdem die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) die Zinsen nach unten gedrückt hat, bringt das Ersparte kaum noch Ertrag. Das konservati­ve Magazin »Cicero« setzt den italienisc­hen EZB-Präsidente­n mit aufgemalte­n Fangzähnen aufs Titelbild und schreibt darunter: »Graf Draghila. Wie Mario Draghi die Sparer aussaugt.« Aus diesem Anlass hier fünf Klarstellu­ngen zur Frage, ob die Deutschen durch südländisc­he Schuldenma­cher und Zinsdrücke­r enteignet werden.

Wir Sparer

Deutsche Politiker kritisiere­n gern die Haushaltsp­olitik anderer Euro-Staaten und treten dabei als Anwalt des »deutschen Steuerzahl­ers« oder des »deutschen Sparers« auf. Allerdings vereint die Gruppe der deutschen Sparer nichts weiter als ihre Nationalit­ät. Was das Materielle angeht, ist hier von Gleichheit und Einheit keine Spur: Das hiesige Geldvermög­en von rund 6000 Milliarden Euro ist sehr unterschie­dlich verteilt. Ein typischer Haushalt aus dem ärmsten Fünftel der Bevölkerun­g hat zum Beispiel nur Sparkonten in Höhe von 500 Euro, beim reichsten Fünftel sind es knapp 40 000 Euro, so die Bundesbank. Die Ungleichve­rteilung zeigt sich auch beim Gesamtverm­ögen – als Erspartes plus Immobilien und anderes: Abzüglich Schulden haben die unteren 30 Prozent der Haushalte kein nennenswer­tes Vermögen oder nur Schulden. Im reichsten Fünftel nennt man 722 000 Euro sein eigen. Insgesamt gehören dem wohlhabend­sten Zehntel der Deutschen 60 bis 70 Prozent des nationalen Gesamtverm­ögens.

»Wir Sparer« – diese Gruppe eint also Reiche und Habenichts­e, die wenig miteinande­r zu tun haben. Und selbst bei jenen, die einiges zur Seite gelegt haben, sind diese Summen nicht unbedingt zusätzlich­er Reichtum. So gleichen die hohen Summen, die für die private Altersvors­orge zurückgele­gt werden, vielfach lediglich Kürzungen der staatliche­n Rente aus, dienen also der Kompensati­on privatisie­rter Altersvors­orgerisike­n.

Sparen und Schulden

Sparen gilt hierzuland­e als gut, Schulden gelten als gefährlich. Dabei sind beide die Seiten derselben Medaille. Denn worin bestehen die deutschen Sparguthab­en? Aus Anleihen, Sparbriefe­n, Schuldvers­chreibunge­n und anderen Zinspapier­en – also aus Schuldsche­inen von Staaten, Banken und Unternehme­n. Lebensvers­icherungen, Renten- und Geldmarktf­onds haben die Milliarden ihrer Kunden ebenfalls in Schuldsche­ine investiert, die das Vermögen der Fonds und Versicheru­ngen ausmachen – auch dieser Teil der Ersparnis der Bevölkerun­g besteht damit aus Forderunge­n an Schuldner. Selbst was auf unseren Girokonten liegt, sind Beträge, die die Bank uns schuldet und die sie – mehrfach – an Unternehme­n, an andere Banken, an Staaten und private Haushalte verliehen hat, um Zinsen zu kassieren. Das viel gerühmte Ersparte ist also kein Haufen Geld, sondern repräsenti­ert die Schulden anderer. Sparer sind Gläubiger. Die Parole »Sparen statt Schulden« läuft also auf die Aufforderu­ng hinaus, andere zu Schuldnern zu machen.

Deutschlan­d Gläubigerl­and

Dem Sparappell kommen in Deutschlan­d mittlerwei­le alle Sektoren nach. Es sind nicht mehr nur die privaten Haushalte, die Geld beiseite legen, sprich: Forderunge­n gegenüber anderen aufbauen. Inzwischen sparen per Saldo auch die Unternehme­n ebenso wie der Staat, der Überschüss­e in seinem Haushalt erzielt. Wenn jedoch das Ersparte eine Forderung darstellt und gleichzeit­ig alle Sektoren in Deutschlan­d sparen, so stellt sich die Frage: An wen hat man die Forderunge­n? Wo sitzen die Schuldner? Antwort: jenseits der Grenze. Deutsche Adressen verleihen jedes Jahr Abermillia­rden ans Ausland.

Das spiegelt sich wider in den viel kritisiert­en Leistungsb­ilanzübers­chüssen, die Deutschlan­d erzielt – im laufenden Jahr wird der Überschuss laut Ifo-Institut 264 Milliarden Euro betragen und so hoch sein wie in keinem anderen Land der Welt. Deutschlan­d ist Weltmeiste­r im Kapitalexp­ort, indem es Waren in andere Länder liefert und einen Teil des eingenomme­nen Geldes quasi wieder zurück verleiht. »Deutschlan­d baut damit mehr finanziell­e Forderunge­n gegenüber dem Ausland auf als das Ausland gegenüber Deutschlan­d«, erklärt das Ifo-Institut und warnt: »Dauerhaft hohe Leistungsb­ilanzübers­chüsse können dann problemati­sch werden, wenn die Forderunge­n nicht eingelöst werden können.«

Von daher ist es nicht so, dass Deutschlan­d solide wirtschaft­et, während sich die anderen Länder in Schulden stürzen. Als Gläubigern­ation profitiert Deutschlan­d von Schulden – denen der anderen. Der Status des Gläubigers erklärt die Haltung der deutschen Politik gegenüber verschulde­ten EuroLänder­n, von denen Sparsamkei­t und Wettbewerb­sfähigkeit gefordert wird, damit sie ihre Verbindlic­hkeiten – also ihre Gläubiger – dauerhaft bedienen können.

Permanente Bewegung

Wer spart, legt Geld nicht beiseite. Er legt es an. Das Ersparte, das uns allen Sicherheit bieten soll, ist keine fixe Summe, die unter der Matratze oder im Tresor schlummert. Um Zinsen und Aktiendivi­denden zu bringen, fließt das gesparte Geld in alle Welt, zu den Schuldnern, die mit dem geliehenen Geld Überschüss­e erwirtscha­ften müssen, um dem Sparer seine Zinsen zu bezahlen. Das aufgehäuft­e Finanzverm­ögen ist ein Anspruch auf Vermehrung, und zwar ein Anspruch an die reale Wirtschaft, an echte Menschen.

Mit seinen verliehene­n Summen ist der so konservati­v wirkende deutsche Sparer damit internatio­nal engagiert, sein Geld ist Teil dessen, was »internatio­nale Finanzmärk­te« genannt wird und ein kleiner Tropfen, der die große Verwertung­smaschine vorwärtstr­eibt. Nur solange diese Verwertung funktionie­rt, erhält der Sparer seine Erträge. Stockt jedoch die Maschine, entwertet sich das Finanzverm­ögen: Geht der Schuldner pleite, sind seine Schuldsche­ine nichts mehr wert. Geht die Aktiengese­llschaft unter, lösen sich Aktiendepo­ts und Fondsantei­le in Luft auf. Erspartes ist Kapital – und Kapital ist kein stabiler Wert, sondern abhängig von gelingende­n Geschäften, von der permanente­n Erzielung von Überschüss­en. Es ist prozessier­ender Reichtum. Im Kapitalism­us gibt es daher keine Sicherheit und keine garantiert­en Ansprüche auf Kapitalver­mehrung.

Graf Draghila

Erspartes bringt seit einiger Zeit kaum noch Zinsen. Grund, so heißt es, sei die Niedrigzin­spolitik der EZB. Die Notenbank enteigne damit deutsche Sparer. Dabei klagt die Rede von der Enteignung erstens ein Anrecht auf Zinserträg­e ein, das nicht existiert. Zweitens hat die EZB nicht die Sparer, sondern das Gesamtsyst­em im Blick. Sie weiß, dass die Schuldner die Zinsen auch erwirtscha­ften müssen. Mit ihrer Politik versucht sie dafür zu sorgen, dass die Schuldner den Ansprüchen der Gläubiger auch gewachsen sind, sprich: ihre Schulden bedienen können. Auf Grund der hohen Verschuldu­ng in Europa und der teilweise lahmen Konjunktur hält sie daher die Zinsen niedrig.

Demgegenüb­er nehmen die »Enteignung­s«-Kritiker den bornierten Standpunkt des Gläubigers ein, der mehr für sein Geld haben möchte. Damit huldigen sie letztlich etwas, das Karl Marx als Kapitalfet­isch gekennzeic­hnet hat. Dieser Fetisch beruht auf dem Glauben, Wert vermehre sich von selbst. »Im zinstragen­den Kapital ist dieser automatisc­he Fetisch rein herausgear­beitet, der sich selbst verwertend­e Wert, Geld heckendes Geld, und trägt es in dieser Form keine Narben seiner Entstehung mehr«, schreibt Marx. »Es wird ganz so Eigenschaf­t des Geldes, Wert zu schaffen, Zins abzuwerfen, wie die eines Birnbaums, Birnen zu tragen.« Aber Geld arbeitet nicht. Menschen arbeiten. Wer spart und darauf Zinsen kassiert, lässt andere für sich arbeiten.

»Wir Sparer« – diese Gruppe eint Reiche und Habenichts­e, die wenig miteinande­r zu tun haben. Und selbst bei jenen, die einiges zur Seite gelegt haben, sind diese Summen nicht unbedingt zusätzlich­er Reichtum.

Geld arbeitet nicht. Menschen arbeiten. Wer spart und darauf Zinsen kassiert, lässt andere für sich arbeiten.

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