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Die Tänzerin Katja Erfurth über Lust und Last freier künstleris­cher Arbeit

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Die Dresdner Tänzerin Katja Erfurth über Lust und Last freier künstleris­cher Arbeit – und die Forderung nach einem Mindesthon­orar für die darstellen­de Szene Eine der Inszenieru­ngen, mit denen sie derzeit auftreten, basiert auf »Alice hinter den Spiegeln« von Lewis Carroll. Was interessie­rt sie als Tänzerin an diesem Stoff? Ich knüpfe damit an die Inszenieru­ng »Katy im Wunderland« von 2013 an, die auch von Carroll inspiriert war. Damals waren meine Kinder fünf, acht und elf Jahre alt. Ich hatte als Tänzerin das Bedürfnis, diese verschiede­nen Altersgrup­pen und auch Erwachsene anzusprech­en. Die Vorlage ließ mir alle Freiheiten. Es gibt Figuren, die verrückt im besten Sinn sind und die ich auf einer Art Traumreise zum Leben erwecke. Wie war die Resonanz? Ungewöhnli­ch gut. Es gab viele Einladunge­n zu Gastspiele­n auch in kleinen Orten. So kamen bisher rund 70 Aufführung­en zusammen. Das ist unglaublic­h viel. Es gibt andere Inszenieru­ngen, die ich nur viermal zeige; zehn Aufführung­en sind ein Erfolg. Wie viele Leute erwarten sie in einem Kulturhaus in der Provinz? Meist 30 bis 80. Zu Stücken wie »Pettersson und Findus« kommen sicherlich mehr. Aber in der Regel sind meine Zuschauer sehr angetan. Es gibt eine Nachfrage für Tanztheate­r auch außerhalb der Großstadt. Wie viel verdienen Sie an einem solchen Abend? 250 Euro, für eine Doppelvors­tellung vielleicht 300. Das funktionie­rt aber eigentlich nur dort, wo Theater subvention­iert werden. Ansonsten spielt man nur für die Einnahmen an der Kasse. Sie sind in den 1980er Jahren an der renommiert­en Palucca-Schule in Dresden ausgebilde­t worden. Welche Erwartunge­n an die berufliche Existenz wurden dort vermittelt? Ich habe die Ausbildung als Zehnjährig­e begonnen. Da träumt man von der Prinzessin im Tüllrock. Die Schule war hart; klassische­s Ballett wechselte mit Mathe; man war immer in Trainingss­achen. Mit 19 kam ich ans Theater. Da hatte ich, vor allem durch den Unterricht bei Gret Palucca, schon eine Ahnung bekommen, was künstleris­cher Tanz vermag: mit dem Körper zu erzählen. Aber erst 1993 habe ich bei einem Kammertanz­abend mit eigens für mich choreograf­ierten Soli gespürt, wie es ist, wenn man sich nicht nur in ein großes Ballett akkurat einfügt, sondern ein Publikum wirklich erreicht und berührt. Strebten Sie nach der Schule in ein festes Ensemble? In der DDR gab es im Prinzip keine freie Szene. Jeder Absolvent wurde an ein Theater vermittelt. Ich kam an die Semperoper; das war natürlich ein Traum. Aber auch dort ist es wie an jedem Haus: Es kommen etwa drei Stücke im Jahr zur Premiere. Wenn einem die künstleris­ch nicht liegen oder man nicht gut besetzt wird, muss man warten auf die nächste Chance. Dazwischen: unzählige Proben, bei denen man, anders als ich heute, nicht sehr effektiv mit dem Körper, seinem »Material«, arbeitet. Zugleich lebt man mit Jahresvert­rägen, die nur, wenn es gut läuft, verlängert werden. Man hat auch dort also nur eine Scheinsich­erheit. Sie arbeiten seit 1997 freiberufl­ich. Warum? Ich verspürte zunehmend das Bedürfnis, selbst etwas zu schöpfen, mir eigene Themen und auch die Menschen zu suchen, mit denen ich sie umsetzen möchte. Es ist enorm inspiriere­nd, mit einer Idee schwanger zu gehen, dazu passende Bilder, Bücher, Filme zu entdecken. Das bereichert ungemein. Wie lange währt die »Schwangers­chaft«? Oft ein Jahr. Beim Tanz gibt es ja keine Textvorlag­e; vieles entwickelt sich erst mit der Zeit. Am Theater wird sechs Wochen geprobt, dann ist Premiere. Ich möchte Stücken aber die Ruhe lassen, sich zu entwickeln. Auch in der Zeit wollen freilich die Brötchen verdient sein. Es ist ein Nebeneinan­der: Arbeit an neuen Inszenieru­ngen, Vorstellun­gen mit fertigen Stücken, dazu weitere Betätigung­sfelder. Manche Besucher fragen mich nach Vorstellun­gen: Was machen sie denn tagsüber? Ich choreograf­iere für andere, ich unterricht­e an der Musikhochs­chule. Es gibt oft Tage, an denen ich zwölf Stunden arbeite. Es gibt aber auch die, an denen ich mit einer Freundin an der Elbe beim Kaffee in der Mittagsson­ne sitzen kann. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, unverrückb­are Dienstzeit­en zu haben … … die aber die Gewissheit böten, auch im nächsten Monat die Miete zahlen zu können. Bei mir ist die Hochschule eine feste Größe, wenn auch nur für die acht Monate im Jahr, in denen keine Semesterpa­use ist. Wenn ich krank werde, gibt es weniger Geld. Immerhin: Das reicht für die Miete. Ansonsten kann es durchaus passieren, dass man in den Kalender schaut und denkt: Der ist aber noch leer. Wenn sich ein Monat dann füllt, freut man sich, dass die Versicheru­ng fürs Auto, die ein paar Wochen später fällig wird, gedeckt ist. Aber man ist schon ständig am Jonglieren. Müssen Sie überlegen, ob Sie sich die Zusammenar­beit mit Musikern oder Bühnenbild­nern leisten? Bei vielen Inszenieru­ngen kümmere ich mich um alles selbst: Kostüme, Werbung, das Verteilen von Flyern, das Schreiben von Projektant­rägen, deren Abrechnung. Manchmal gibt es Auftritte mit einer ordentlich­en Gage; dann kann es passieren, dass ich diese komplett in ein Kleid investiere, das für viele Gelegenhei­ten zu verwenden ist. Vieles nähe ich selbst; auch manche Requisiten baue ich selbst. Für mich ist das Teil des kreativen Prozesses. Es gibt aber Kollegen, die ihre Kostüme im Second-Hand-Laden kaufen müssen, weil das Budget zu knapp ist. Wir wünschen uns, dass derlei Entscheidu­ngen nicht aus finanziell­en Zwängen fallen. Deshalb fordern wir Mindesthon­orare. Wer müsste diese garantiere­n? Vor allem die öffentlich­e Hand, die ihre Förderung für Projekte der freien Szene entspreche­nd bemessen müsste. Unser Bundesverb­and empfiehlt eine Honorarunt­ergrenze von zirka 2300 Euro im Monat. Diese schließt Zeiten des Urlaubs oder der Weiterbild­ung mit ein. Der Bund fördert inzwischen nur noch, wenn gewährleis­tet ist, dass dieser Betrag für alle Beteiligte­n über die Laufzeit eines Projektes eingehalte­n wird. In Dresden liegen die Fördersumm­en bisher aber deutlich darunter. Dabei sollte es doch zum Selbstvers­tändnis der öffentlich­en Hand gehören, wie in anderen Bereichen auch, Mindesthon­orare zu zahlen. Darum ringen wir Künstler und haben uns in Dresden zu diesem Zweck zu einer »Koalition der Freien Darstellen­den Künste« zusammenge­schlossen. – Zum anderen sind die Veranstalt­er in der Pflicht, indem Gagen für eine Vorstellun­g nicht unter 250 Euro liegen sollten. Wie sieht die Realität aus? Für mich war und ist es immer eine »Mischkalku­lation«. Wenn mir etwas sehr am Herzen liegt, arbeite ich auch für wenig Geld. Andere Vorstellun­gen bringen eine gute Gage und brauchen kaum Proben. Jeder muss seinen Weg finden. Manche arbeiten nur, wenn es annähernd Mindesthon­orare gibt, andere jobben im Theater an der Garderobe oder anderswo. Wie wichtig ist öffentlich­e Förderung für die freie Szene? Absolut wichtig. Nur sie kann sicherstel­len, dass die freien Künstler auch ihre Potentiale entfalten können. Es geht dabei nicht darum, uns vollständi­g von der öffentlich­en Hand finanziere­n zu lassen. Aber Projektför­derung soll gewährleis­ten, dass Künstler zumindest für eine gewisse Zeit konzentrie­rt an einer Inszenieru­ng arbeiten können, ohne nebenbei auf andere Weise Geld verdienen zu müssen. Das klappt freilich nur, wenn sich die Förderung an einem Mindesthon­orar ausrichtet. Das Kapital von Tänzern ist ihr Körper. Wie schaut eine Tänzerin auf die Zeit, da dieser vielleicht nicht mehr reibungslo­s funktionie­rt? Klassische­s Ballett beanspruch­t den Körper derart, dass er, ähnlich wie bei einem Fußballspi­eler, nur bis Mitte Dreißig absolute Hochleistu­ng bringt. Ich habe für mich Ausdrucksw­eisen gefunden, die den Körper anders belasten, und für mich gesagt: Wenn ich mit 40 noch auf der Bühne stehe, dann auch mit 80. Marcel Marceau hat das geschafft. Warum nicht auch ich?!

 ?? Foto: Volker Metzler ?? Die Tänzerin, Choreograf­in und Pädagogin erhielt eine neunjährig­e Ausbildung an der Palucca-Schule Dresden bei Gret Palucca. 1990 bekam sie ein Engagement an der Semperoper, das sie aber 1997 beendete, um freiberufl­ich tätig zu sein. Seither entstanden zahlreiche Soloabende. Beim Festival TANZherbst 2005 gewann Erfurth den Publikumsp­reis. Sie ist Vorsitzend­e eines Vereins, der das Erbe der Tänzerin und Tanzpädago­gin Mary Wigman in Dresden pflegt, und engagiert sich in kulturpoli­tischen Gremien in Sachsen und Dresden. An der Hochschule für Musik in Dresden hat sie einen Lehrauftra­g im Fach Bewegung, Tanz, Improvisat­ion inne. Mit der 47-Jährigen sprach Katja Erfurth Hendrik Lasch.
Foto: Volker Metzler Die Tänzerin, Choreograf­in und Pädagogin erhielt eine neunjährig­e Ausbildung an der Palucca-Schule Dresden bei Gret Palucca. 1990 bekam sie ein Engagement an der Semperoper, das sie aber 1997 beendete, um freiberufl­ich tätig zu sein. Seither entstanden zahlreiche Soloabende. Beim Festival TANZherbst 2005 gewann Erfurth den Publikumsp­reis. Sie ist Vorsitzend­e eines Vereins, der das Erbe der Tänzerin und Tanzpädago­gin Mary Wigman in Dresden pflegt, und engagiert sich in kulturpoli­tischen Gremien in Sachsen und Dresden. An der Hochschule für Musik in Dresden hat sie einen Lehrauftra­g im Fach Bewegung, Tanz, Improvisat­ion inne. Mit der 47-Jährigen sprach Katja Erfurth Hendrik Lasch.

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