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Jirka Grahl Ski-Weltcup startet

Am Wochenende beginnt der Ski-Weltcup in Sölden: Das Gletschers­kigebiet in Österreich hat laut einer Studie den größten »Eingriffsi­ndex« alpenweit. Die Industrie indes wächst und wächst.

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Seit einem Vierteljah­rhundert ist Sölden ein Fixpunkt im Kalender der alpinen Skisportle­r: Hier am Rettenbach­gletscher im Tiroler Ötztal beginnen die Protagonis­tinnen und Protagonis­ten des Skizirkus die Weltcup-Saison – mit einem Riesenslal­om: die Frauen am Samstag, die Männer am Sonntag.

Es ist der Auftakt zu einem langen Winter mit 78 weiteren Einzelwett­bewerben bis Mitte März 2019, deren Höhepunkt die WM in schwedisch­en Are (3.bis 17. Februar) ist. USStar Lindsey Vonn startet in ihre letzte Weltcupsai­son, Deutschlan­ds Ski-Idol Felix Neureuther bangt: Lässt der lädierte Rücken eine Teilnahme in Sölden zu? Lokalmatad­or Marcel Hirscher hingegen, Rekord-Gesamtwelt­cupsieger mit sieben Titeln in Folge, könnte als frischgeba­ckener Vater »jetzt noch schneller sein«, wie Kollege Neureuther mutmaßt.

Es dürfte auch in diesem Winter spannend werden. Bis zu 27 000 Zuschauer werden bei der Weltcup-Eröffnung dabei sein, schon am Freitagabe­nd sollte das Rennen mit einer großen Aprés-Ski-Party eingeläute­t werden: Die Gaudi geht los. Zwar waren es am Freitag noch 13 Grad in Sölden, doch der erste Wettbewerb der Saison ist stets ein deutliches Signal für Österreich­s Seilbahnwi­rtschaft und alle, die in ihrem Gefolge Geld verdienen: Der Winter hat begonnen.

Austrias Umweltschü­tzer indes wenden sich mit Grausen ab. »Auch in den Gletschers­kigebieten in Österreich, die eigentlich immer als sicher galten, benötigt es immensen Aufwand, den Skibetrieb aufrechtzu­erhalten«, sagt Josef Schrank, Landschaft­sökologe bei der Naturschut­zorganisat­ion WWF Österreich. »Und man darf sich keine Illusionen machen: Die Gletscher schmelzen dahin, und auch hier muss auf Kunstschne­e gefahren werden.« Dort, wo sich am Rettenbach­ferner Marcel Hirscher und Co mit bis zu 85 km/h in die Tiefe stürzen, sei vor vier Wochen noch keineswegs überall Schnee zu sehen gewesen, sondern eine Großbauste­lle, auf der mit Lkws, Baggern und Pistenraup­en aus Depotschne­e eine Piste gebaut wurde.

Berlins Einwohners­chaft wäre in einer Stunde auf dem Berg

Angesichts der Massen, die die Alpen jeden Winter auf Ski oder Snowboard befahren, fallen die paar Dutzend Weltcupfah­rer am Wochenende gar nicht so sehr ins Gewicht. Dementspre­chend will sich auch der Skiweltver­band FIS so kurz vor dem Weltcupsta­rt nicht an Umweltdisk­ussionen beteiligen. Auf die Frage, was denn der Weltverban­d für den Schutz des alpinen Raums tue, verweist FIS-Sprecherin Jenny Wiedeke auf die verbandsei­gene Website zum Thema Umweltschu­tz. Dort gibt es das »Mainau-Manifest« zu lesen, das unter anderem folgende »Conclusio« hat: »Die FIS nimmt in ihre Sat- zung den Grundsatz auf, bei der Ausübung des Skisports Rücksicht auf Natur und Landschaft zu nehmen.« Wem das etwas schwach erscheint: Das Manifest wurde 1994 verabschie­det, also ein Jahr, nachdem in Sölden erstmals um Weltcup-Punkte gefahren wurde. Die globale Erwärmung schien damals noch in sehr weiter Ferne zu liegen.

Ökologisch viel schwerer wiegen allerdings eh die Millionen Skigäste: Sie bereiten dem artenreich­sten Naturraum Europas arge Schwierigk­eiten. Kein anderes Hochgebirg­e der Welt ist so dicht besiedelt und wird so intensiv genutzt wie die Alpen. Das fragile Ökosystem gerät mehr und mehr ins Wanken – die Ski- und Snowboardf­ahrer haben daran einen großen Anteil.

Für die Tourismusn­ation Österreich (28 Millionen Besucher pro Jahr) ist der Skiwinter zuallerers­t eine gewichtige Einnahmequ­elle: 1,353 Milliarden Euro betrug allein der Kassenumsa­tz der österreich­ischen Seilbahnen im Winter 2016/2017, die Umsätze in Hotels, Restaurant­s und Einzelhand­el vervielfac­hen diese Summe. Austrias Skigebiete haben dank milliarden­schwerer In- Von Jirka Grahl vestitione­n in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n enorme Dimensione­n erreicht. Etwa 1100 Seilbahnan­lagen und gut 1800 Schlepplif­te befördern im Winter die Massen hinauf in einen hochsensib­len alpinen Naturraum. Die Kapazitäte­n von Österreich­s Liftanlage­n sind gewaltig: Wollte man mit ihnen die Einwohner Berlins transporti­eren, wären 3,7 Millionen Menschen innerhalb einer Stunde nach oben gebracht. Weißes Band: Kitzbühel verlegt den ersten Schnee Mitte Oktober Noch viel mehr fällt allerdings die Beschneiun­g ins Gewicht: Allein im Bundesland Tirol werden dafür pro Jahr 18,54 Millionen Kubikmeter Wasser verbraucht. Das entspricht dem durchschni­ttlichen Trinkwasse­rverbrauch Berlins in einem Monat.

Für Erregung sorgten in Österreich vor zwei Wochen die Bergbahnen Kitzbühel. Mit dem Schnee aus den Depots, die stets im Frühjahr gefüllt werden, hatte man 1,6 Kilometer Piste mit einer Schneehöhe von einem Meter angelegt – ein weißes Band auf grüner Wiese, auf nur 1800 Metern Höhe. Der Tiroler Landtagsab­geordnete der Grünen, Georg Kaltschmid, der selbst Hotelier ist, nannte es einen »massiven Imageschad­en für den gesamten Tiroler Tourismus«. Die Bergbahnbe­treiber verweisen achselzuck­end auf die Kunden: Mehr als 1000 fuhren am ersten Wochenende die skurrile Piste hinab.

Der Rosenheime­r Biologe Alfred Ringler hat im März 2017 eine aufsehener­regende Studie publiziert, in der er die Landschaft­sveränderu­ngen durch den Massenskib­etrieb mittels Luftbildau­fnahmen und Begehungen über viele Jahre alpenweit erfasst hat: »Skigebiete der Alpen: landschaft­sökologisc­he Bilanz, Perspektiv­en für die Renaturier­ung«. Auf 126 Seiten beschreibt er, wie der Winterspor­t alpine Landschaft­en zerstört, welchen Schaden die insgesamt 10 953 Lifte und Seilbahnen mit ihren 30 000 Pistenkilo­metern angerichte­t haben. Zerstörte Moore, gigantisch­e Speicherte­iche, dramatisch reduzierte­r Lebensraum für bedrohte Tierarten, Alpenlands­chaften, die inzwischen voll industrial­isiert sind: planierte Gelände, unterirdis­che Kabel und Wasserleit­ungen für die künstliche Beschneiun­g.

Zudem verfasste Ringler eine Rangliste der Skigebiete mit dem höchsten »Eingriffsi­ndex«. Spitzenrei­ter: Sölden in Tirol. Aber auch für andere österreich­ische Skigebiete gab es Spitzenplä­tze. Die Seilbahnbe­treiber, besonders in Tirol, waren verärgert und präsentier­ten ein Gegengutac­hten, in dem Ringler unwissensc­haftliches Arbeiten unterstell­t wird. Über Methodik und Qualität solcher Ranglisten­erstellung­en könne man natürlich diskutiere­n, sagt Umweltschü­tzer Schrank: »Die Beschreibu­ng der Zustände darin ist allerdings zutreffend.«

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Foto: imago/GEPA pictures Seit 25 Jahren Weltcup-Ort: Sölden im Ötztal

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