Nicolas Šustr Hurra, die Straßenbahn ist da!
Feierliche Stimmung im Betriebshof der Schöneicher-Rüdersdorfer Straßenbahn (SRS). Sekt und Schnittchen stehen bereit und sogar die Brandenburgische Verkehrsministerin Kathrin Schneider (SPD) ist aus Potsdam angereist. Grund ist ein neuer Straßenbahnzug, der am Mittwoch den Betrieb auf der Überlandstrecke zwischen dem Berliner S-Bahnhof Friedrichshagen und Alt-Rüdersdorf 14 Kilometer weiter östlich aufnahm. »Zuletzt wurden 1924 für unseren Betrieb Fahrzeuge auf dem Stand der Technik beschafft, danach gab es nur Provisorien«, sagt SRS-Geschäftsführer Detlef Bröcker. Anfang kommenden Jahres soll ein zweiter Wagen folgen, damit sollen ab Frühjahr planmäßig alle Fahrten mit wenigstens zum Teil niederflurigen Fahrzeugen durchgeführt werden können. Ein Segen für Rollstuhlfahrer, Gebrechliche und jene, die mit Kinderwagen unterwegs sind. Immerhin eine Million Fahrgäste nutzen die SRS pro Jahr.
Möglich gemacht hatte das der Brandenburger Nachtragshaushalt 2018. Bis 2022 will das Land zusammen 48 Millionen Euro Förderung für die Beschaffung neuer Straßenbahnen gewähren. Viele Jahre waren die klammen Kommunen bei dieser Investition völlig auf sich allein gestellt. Während Brandenburg/Havel, Frankfurt (Oder) und Cottbus noch in der Ausschreibungsphase sind, konnte die SRS sofort zuschlagen. Denn die zwei Bahnen werden gebraucht aus Helsinki übernommen. Der dortige Verkehrsbetrieb wollte die 2013 produzierten Prototypen als technische Sonderlinge zu den Serienfahrzeugen nicht behalten.
»Die Schöneicher-Rüdersdorfer Straßenbahn ist der erste Betrieb, der mit dem Geld etwas vorweisen kann«, freut sich Verkehrsministerin Schneider.
Fast zeitgleich wird in Cottbus protestiert. Die Beschäftigten des dortigen Verkehrsbetriebs demonstrieren gegen die mögliche Einstellung einer Straßenbahnstrecke. Eigentlich hatte Cottbusverkehr ausgerechnet, dass 20 neue Trambahnen benötigt werden, die Zuschüsse aus Potsdam reichen gerade für sieben neue Züge. Und auch für die Instandhaltung der Infrastruktur reicht das Geld in den Kommunen kaum, von Neubaustrecken gar nicht zu sprechen. Über zusätzliche Zuschüsse möchte Schneider nicht reden. »Erst mal gibt es die 48 Millionen Euro bis 2022, dann muss man weitersehen«, sagt die Ministerin.
Fehlendes Geld für Instandhaltung und Fahrzeugbeschaffung ist nicht nur ein Problem von Brandenburger Kleinbetrieben. Bundesweit wurde mehr als ein Jahrzehnt der kommunale Schienenverkehr auf Verschleiß betrieben. In Duisburg fahren seit über zwei Jahren Busse statt Bahnen auf einer Linie, weil die bis zu 32 Jahre alten Fahrzeuge aufwendig saniert werden müssen. Sie waren für eine Einsatzdauer von 25 Jahren ausgelegt. Auch in Bremen stehen weniger Züge zur Ver- fügung, als benötigt. Betriebswirtschaftlich optimiert spulten sie viel mehr Kilometer pro Jahr ab als ursprünglich angenommen – und waren so auch schneller verschlissen. In Berlin ist vor allem die U-Bahn betroffen. Jahrelang verschleppte Bestellungen neuer Fahrzeuge führten zu eklatantem Wagenmangel.
Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) beziffert den bundesweiten Sanierungsstau bei kommunalen Verkehrsbetrieben derzeit auf über vier Milliarden Euro. Im Herbst 2013 nannte der Verband noch einen Instandhaltungsrückstand von drei Milliarden Euro. Trotz jahrelanger Steuerüberschüsse wird die Lücke größer und nicht kleiner. »Es holen uns die Fehler der Vergangenheit ein«, sagt Gisbert Schlotzhauer, Personalvorstand der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahn (BOGESTRA). »Es ist irre, dass ein Industrieland wie Deutschland nicht in die Infrastruktur investiert hat.«
Ihn treibt noch ein ganz anderes Problem um, vor dem die Branche steht: Personalmangel. »Von den rund 150 000 Beschäftigten bei kommunalen Verkehrsunternehmen geht die Hälfte in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand«, berichtet Schlotzhauer, der auch Vorsitzender des VDV-Personalausschusses ist. »Es fehlen zum Beispiel die Leute, die früher von der Bundeswehr mit Führerschein zu uns gekommen sind.«
Die Auswirkungen spüren die Fahrgäste landauf, landab. In Potsdam mussten die Verkehrsbetriebe im Sommer den Fahrplan ausdünnen, die Münchner werden noch Jahre auf nötige Taktverdichtungen bei der U-Bahn warten müssen und in Berlin gehören ausfallende Fahrten zur Tagesordnung.
»Auch bei uns ist die Personaldecke knapp«, sagt Sebastian Stahl, Betriebsleiter der Schöneicher-Rüdersdorfer Straßenbahn. Im Gegensatz zu größeren Netzen könne man nicht einfach eine Fahrt ausfallen lassen. Dann käme 40 Minuten lang kein Zug. In dem Kleinbetrieb setzt man auf sogenannte Gastfahrer. Das sind Studenten oder Rentner, die mal eine Schicht übernehmen können. »Für einen Studenten ist ein Dienst von 17 Uhr bis Mitternacht durchaus attraktiv«, so Stahl. Er selbst habe als Student so den Weg zur SRS gefunden.
Die Bezahlung sei ein wichtiges Thema, räumt Schlotzhauer ein. Doch in vielen Verkehrsbetrieben müsse sich der Umgang mit den Beschäftigten ändern. »Wertschätzung und gute Führung sind der Schlüssel, um Menschen gesund und im Betrieb zu halten«, so Schlotzhauer. Mit Wunschdienstplänen müsse den Bedürfnissen junger Menschen entgegengekommen werden. Bei der BOGESTRA scheint das ganz gut zu klappen. In der letzten Befragung gaben 90 Prozent der Beschäftigten an, gerne oder sogar sehr gerne dort zu arbeiten, sagt Schlotzhauer.
»Zuletzt wurden 1924 für unseren Betrieb Fahrzeuge auf dem Stand der Technik beschafft.« Detlef Bröcker, Geschäftsführer